Politik in Rio Reiser's Texten

Rio's politische Einstellung kann aus seinen Texten eindeutig als anarchistisch gesehen werden. In seinem ersten Album bringt er das gleich auf den Punkt. "Und der Planet Erde wird uns allen gehören, und jeder wird haben, was er braucht." ("Mein Name ist Mensch", 1970) faßt die Weltanschauung des Anarchismus beeindruckend zusammen. Besonders klar seine Haltung in dem Album "Keine Macht für Niemand" (1972). Schon allein der Albumtitel drückt es aus: Schafft die Herrschaft ab. Im Song mit dem gleichen Namen wie das Album singt er: "Keiner hat das Recht, Menschen zu regier'n." oder schon zwei Jahre davor schrieb er "Wir brauchen keine Sklaven und wir brauchen keine Chefs." ("der Kampf geht weiter", 1970). Genauer und konkreter ist er zum Beispiel, wenn er singt: "Wir brauchen keine Fabrikbesitzer, die Fabriken gehören uns." ("die letzte Schlacht gewinnen wir", 1972) oder "Der Laden gehört jetzt uns allen, nicht mehr dir allein!" ("Paul Panzers Blues", 1972). Das spiegelt den Sinn des berühmten Satzes "Eigentum ist Diebstahl" des französischen Anarchisten Pierre-Joseph Proudhon wieder. Auch andere Gedanken des Anarchismus kommen in seinen Texten vor. "Alle Türen waren offen, die Gefängnisse leer" ("der Traum ist aus", 1972) und "Wieviel sind hinter Gittern, die die Freiheit wollen?" ("Der Kampf geht weiter", 1970) können als Plädoyer für die Abschaffung des Strafrechts gesehen werden. "Ich will nen Job haben, der mir Spaß macht" ("Mole Hill Rockers", 1983) beschreibt den anarchistischen Gedanken, daß jeder seine Arbeit frei wählen kann und "Das Recht schützen, den Staat schützen. Vor uns! Macht kaputt, was euch kaputt macht!" ("Macht kaputt was euch kaputt macht", 1970) ruft zu einer generellen Abschaffung des Staates zugunsten einer herrschaftslosen Gesellschaft auf.
Er singt außerdem am Anfang oft darüber, wie er diesen Traum verwirklichen will und daß er doch machbar ist. Er ruft dazu auf, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen und dafür zu kämpfen. Immer wieder tauchen Sätze wie "Wir werden es schaffen", "Wir gehen diesen Weg zu Ende", "Reißen wir die Mauern ein", "Macht kaputt, was euch kaputt macht", "Wer will uns halten? Wir durchbrechen die Schranken." und so weiter. Er beschreibt sogar oft deutlich verbale und körperliche Gewalt gegen seinen Chef. "Besuch doch heut' abend deinen Chef und fahr mit seinem Mercedes weg" (aus Feierabend 1972), "Ich schnapp mir 'nen Knüppel ..., geh zum Chef auf's Büro und zieh die Krücke blank." (aus Paul Panzers Blues 1972) und "Ich möchte gern mal meinem Chef die Möbel grade zieh'n." (aus Ich will nicht werden, was mein Alter ist 1971) sind nur einige Beispiele.
Er persönlich ist selber aktiv geworden, in politischen Diskussionen und vor allem in Hausbesetzungen. Der Rauch-Haus-Song (1972) entstand nach der Räumung eines besetzten Hauses, bei dessen Besetzung er selber mitgeholfen hat. Ein anderer Song, in dem er eine klare Meinung zu konkreten politischen Handlungen abgibt, ist "U.S.W." von 1991. Er singt "Jetzt hab'n wir die DDR gekauft" und zeigt damit deutlich, ob er die Wiedervereinigung der BRD und DDR als einen gerechten Zusammenschluß empfindet.
Leider wird Rio Reiser auch in seinem politischen Ansichten immer depressiver und pessimistischer, wie schon in dem Text "Religion in Rio Reiser's Texten" beschrieben. Er glaubt nicht mehr daran, daß er selber etwas verändern kann. "Die Kugel rollt, die Tombola ist offen und wenn du Pech hast, ziehst du ein Arbeitslos. Wenn Dich betrifft, dann bist du halt betroffen..." (aus Über Nacht von 1989) spiegelt diesen Pessimismus deutlich wieder. Auch die Songs "Zwischen Null und Zero" (von 1986) und "Schicht" (von 1989), in dem er singt, "An den Mauern steht, ach, vergiß es! ...die Mauern schrein 'Nix mehr zu hoffen'." sind keine sehr hoffnungsvollen Stücke. Wieso auch immer Rio seinen Lebensmut verloren haben mag, du kannst trotzdem "alles geben, damit dein Traum Wirklichkeit wird"!