Datum
15.03.2018Medium
Masterarbeit FB Phil/Geisteswiss. FU BerlinAusgabe
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AutorIn
Bennet SchusterDas Private ist politisch?
Die Texte von Ton Steine Scherben und die Neue Subjektivität
[Download-Link der Arbeit als PDF ganz unten]
Freie Universität Berlin
Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften
Masterarbeit
im Studiengang Deutsche Philologie
am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie
Thema:
Das Private ist politisch?
Die Texte von Ton Steine Scherben und die Neue Subjektivität
Erstgutachter: Prof. Jürgen Brokoff
Zweitgutachter: Dr. Bastian Schlüter
vorgelegt von Bennet Schuster
Berlin, 15.03.2018
Inhaltsverzeichnis
Einleitung – Historische Einordnung und Forschungsfrage 4
1. Methodische Vorüberlegungen zur Songtextanalyse 9
1.1 Kategorien und Ausgangspunkte 9
1.2 Musik und Text 11
1.3 Lyrics = Lyrik? Lyrisches und empirisches Ich 13
1.4 Songtexte der Siebzigerjahre 15
1.5 Musik und Politik 17
2. Neue Subjektivität 21
2.1 Entstehung und Begriffe 21
2.2 Eigenschaften 23
2.2.1 Privates, Politisches und die Erfahrung 23
2.2.2 Poetologische Konsequenzen 24
3. Ton Steine Scherben 28
3.1 Umfeld und Entwicklung 28
3.2 Selbstverständnis & Lebensweise 29
3.2.1 Die Band-Kommune in West-Berlin 29
3.2.2 Authentizitäts- und Unabhängigkeitsanspruch 31
3.2.3 Künstlerisches Arbeiten 34
3.3 Eigenschaften, Einflüsse und Effekte der Texte 36
3.4 Von West-Berlin nach Fresenhagen 39
4. Songtextanalyse 41
4.1 Macht kaputt, was euch kaputt macht (1970) 41
4.1.1 Entstehung und musikalische Eigenschaften 41
4.1.2 Medien- und Konsumkritik – die 1. Strophe 44
4.1.3 Menschen und Kriegsmaschinen – die 2. Strophe 46
4.1.4 Antwort statt Frage – die 3. Strophe 48
4.1.5 Politische und literarische Dimensionen des Textes 50
4.1.6 Macht kaputt, was euch kaputt macht und die Neue Subjektivität 52
4.2 Mensch Meier (1971) 55
4.2.1 Entstehung und musikalische Eigenschaften 55
4.2.2 Textstruktur 56
4.2.3 Vom Individuum zum Kollektiv 57
4.2.4 Authentizität und Solidarität 59
4.2.5 Narratives Rollenspiel und der Lebensstil der Band 60
4.2.6 Mensch Meier und die Neue Subjektivität 64
4.3 Wir müssen hier raus (1972) 65
4.3.1 Entstehung und musikalische Eigenschaften 65
4.3.2 Mehr oder weniger als ein Generationenkonflikt? 67
4.3.3 Allgemeines und Konkretes – Kollektiv und Individuum 70
4.3.4 Identifikationsmöglichkeit 74
4.3.5 Wir müssen hier raus und die Neue Subjektivität 77
4.4 Halt dich an deiner Liebe fest (1975) 78
4.4.1 Entstehung und musikalische Eigenschaften 78
4.4.2 Textliche Eigenschaften 81
4.4.3 Ansprache und Erfahrungsbericht 82
4.4.4 „Liebe“ und politische Dimension 83
4.4.5 Einsamkeit und andere Probleme 86
4.4.6 Halt dich an deiner liebe fest und die Neue Subjektivität 87
4.5 Jenseits von Eden (1981) 90
4.5.1 Entstehung und musikalische Eigenschaften 90
4.5.2 Textstruktur und „Privatlyrik“ 93
4.5.3 Heroin, die Bibel und das Fernsehen 95
4.5.4 Auschwitz und die Musik 97
4.5.5 Der Tod und die Liebe 99
4.5.6 Jenseits von Eden und die Neue Subjektivität 102
Fazit 104
1. Das Private und das Politische bei Ton Steine Scherben 104
1.1 Die frühe Phase – die Entwicklung des Politischen aus dem Privaten 104
1.2 Die späte Phase – Der Eigenwert des Privaten vor dem Politischen 106
2. Ton Steine Scherben und die Neue Subjektivität 109
Anhang 114
1. Songtexte 114
Macht kaputt, was euch kaputt macht 114
Mensch Meier 115
Wir müssen hier raus 116
Halt dich an deiner Liebe fest 117
Jenseits von Eden 118
2. Diskografie (Alben) 120
Literaturverzeichnis 121
abstract: In der vorliegenden Arbeit werden fünf exemplarische Songs der Band Ton Steine Scherben hinsichtlich des in ihnen verhandelten Verhältnisses von Privatem und Politischem untersucht. Die Untersuchungsergebnisse werden mit der sich zeitgleich entwickelnden Literaturströmung der Neuen Subjektivität verglichen. Der Forschungsgegenstand Songtext macht vorab einige methodische Reflexionen nötig.
Einleitung – Historische Einordnung und Forschungsfrage
Die Siebzigerjahre stellen in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) kulturell eine spannende Zeit dar. Das Jahr 1968 und die gesellschaftlichen Umwälzungen zeitigten ihre Folgen, während die US-amerikanischen Vorbilder noch immer die Kulturlandschaft prägten. Die linke deutschsprachige Liedermacher_innenszene entwickelte sich in Anlehnung an die US-amerikanischen Vorbilder wie Bob Dylan oder Pete Seeger. Die Kinos waren voll von Science-Fiction- und Western-Filmen und Leslie Fiedler hielt in Freiburg den berühmt gewordenen Vortrag, „Close the Gap – Cross the Border: The Case for Post-Modernism“, während „die Kritische Theorie im Thinktank am Starnberger See abtauchte“ und die Gruppe 47 vom Erlanger Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) wegen ihrer vermeintlich unpolitisch-konservativen Ausrichtung infrage gestellt worden war und langsam an dieser Frage, wie politisch sie sein wolle, zerbrach. Eben diese Frage beschäftigte große Teile des Kulturbetriebs. Wie politisch konnte oder sollte Kultur und insbesondere Literatur sein, um als solche anerkannt zu werden, oder musste vielmehr alles gleichwertig als kulturelles Produkt behandelt werden? Solche Fragen stellten sowohl bislang meist als trivial und privat abgetane, als auch bisher als wichtig geltende Themen neu zur Disposition. Dieser Diskurs wurde jedoch nicht nur auf den Kulturbetrieb begrenzt, sondern erstreckte sich auch auf das öffentliche und private Leben der Menschen.
Ein Beispiel dafür ist der aus dieser Zeit stammende Slogan: „Das Private ist politisch“, der darauf abzielt „die bürgerliche Trennung von Privatleben und gesellschaftlichem Leben aufzuheben“. Dies beinhaltete u.a. das Eintreten für Frauen- oder Homosexuellenrechte, wobei das Private zum Politikum gemacht wurde, und das schließlich in den sogenannten Neuen Sozialen Bewegungen mündete. Ebenso wird mit diesem Slogan aber auch der Dogmatismus vieler Linker beschrieben, der dazu führte, dass diese ihr Privatleben gänzlich ihren politischen Zielen unterordneten. Letzteres sorgte gerade im Literaturbetrieb für einigen Widerwillen und vom Dogmatismus abgewandt, aber immer noch politisch engagiert, entwickelte sich so die Neue Subjektivität als Literaturströmung, in der das Private, das Subjekt und seine Empfindungen wieder an erster Stelle standen, ohne das Politische gänzlich zu verdrängen. Peter Handke, Peter Schneider, Verena Stefan, Karin Struck, Jürgen Theobaldy und viele andere schrieben Literatur, die eben dieses Spannungsfeld vom Politischen und Privaten thematisiert. Weitere Aspekte, die in diesem Kontext von den genannten und anderen Autor_innen nun wieder verstärkt thematisiert wurden, waren der Eigenwert von Erfahrungen, Körperlichkeit, Lust und Romantik als Gegenpole zum dogmatischen Rationalismus der Linken. Außerdem stellten die Vergangenheits- und Gegenwartsbewältigung, die Abrechnung mit den Vätern und deren Rolle im Nationalsozialismus, der Arbeitswelt und dem (vermeintlichen) Überwachungsstaat populäre Themen dieser Literaturströmung dar.
Zur gleichen Zeit entwickelte sich die Rockmusik in Deutschland und auch hier gab es deutliche Unterschiede in der thematischen Ausrichtung. Während beispielsweise Udo Lindenberg massentaugliche und kommerziell erfolgreiche Songs sang, hatten Bands wie Floh de Cologne klare politische Vorhaben und animierten ihr Publikum zu Partei- und Gewerkschaftsbeitritten. Zu den Protagonist_innen zählte auch die Band Ton Steine Scherben, welche aus dem Straßentheater Hoffmanns Comic Teater hervorging und mit ihrem Sänger und Texter Rio Reiser (Ralph Möbius) wie kaum jemand anderes die linke Szene der Siebziger- und frühen Achtzigerjahre prägte. Hartmut El Kurdie schreibt, die Band
verblüffte vor allem mit ungewöhnlich ruppigem Garagenrock und Texten, die trotz gelegentlichem Hang zur starken Metapher jegliche poetische Angestrengtheit vermissen ließen. Hier wurde Klartext geredet bzw. gesungen bzw. gebrüllt und geschrien. Die Songs waren eine Mischung aus subjektiver Alltagsbetrachtung, reizend naivem Wunschdenken und dick aufgetragenen Wandzeitungsparolen.
Der Klang der Musik ähnelte den Stücken der Rolling Stones und anderen internationalen Stars der Rockmusik, doch Reiser sang dazu selbstgeschriebene, deutschsprachige Texte mit klar politischem, aber nicht parteilich orientiertem Inhalt, was es in der BRD bis dahin praktisch nicht gegeben hatte. Hier ging „es um Alltagserfahrung und Klassenkampf, formuliert als vollkommen legitimes Bedürfnis nach Unterhaltung und Interesse an der eigenen Geschichte“. Ihren politischen Forderungen verlieh die Band zudem Nachdruck, indem sie beispielsweise nicht nur zu Hausbesetzungen aufrief, sondern sich auch aktiv an solchen beteiligte und in ihrer eigenen Band-Kommune obdachlosen Jugendlichen eine Unterkunft bot.
Eines der wesentlichsten Merkmale von nahezu allen Texten Reisers war dabei stets die Thematisierung des Verhältnisses von Privatem und Politischem, von Individuum und Gesellschaft. Egal, ob es um die Agitation für den Klassenkampf oder um Liebeskummer geht, das Kollektiv spielt immer eine Rolle und steht dabei konstant im Bezug zum Individuum. Das Kollektiv wird dabei sowohl für persönliche, als auch für politische Probleme als Lösung angeboten. Persönliche Probleme sollen durch das Bewusstsein, dass man mit ihnen nicht allein ist, abgemildert werden und politische Probleme sollen sich durch die politische Durchsetzungskraft eines Kollektivs lösen lassen. Dieser Einstellung entsprach auch das Konzept der Band, welches Florian Kreier wie folgt zusammengefasst hat: „Kulturell sind die Scherben ein Produkt der 60er Jahre: die Verbindung von Privatem und Politischem, die gegenkulturelle Lebensweise und die deutliche Prägung der internationalen Jugend- und Subkulturen.“
Die Parallelen zur Neuen Subjektivität fallen direkt ins Auge, allen voran die Thematisierung des Spannungsfelds von Privatem und Politischem. Obwohl die Band und ihr Sänger mit ihren Songs und Texten weit über die linke Szene ihrer Zeit hinaus und bis in die Gegenwart Bekanntheit erlangte und einen nicht unwesentlichen Anteil an den Geschehnissen ihrer Zeit hatte, sind ihre Texte bisher kaum wissenschaftlich untersucht worden. Dabei stellen sie gerade hinsichtlich der gesellschaftspolitischen Entwicklungen in den Siebzigerjahren und wegen des spannungsreichen Verhältnisses der Band zur linken Szene dieser Zeit einen interessanten Untersuchungsgegenstand dar. Die Untersuchung mehrerer exemplarischer Songtexte, welche die 15 Jahre umfassende Diskografie der Band chronologisch repräsentieren, leistet einen Beitrag zur wissenschaftlichen Interpretation ihres Werkes. Zwar ist in den vergangenen Jahren viel über die Siebzigerjahre, ihre linke Szene und deren Kultur geschrieben worden, doch die Verbindung von Literatur, Politik und Musik wurde dabei bislang kaum berücksichtigt. Ton Steine Scherben steht mit den Texten Reisers genau an dieser Schnittstelle. Für ihre Rezipient_innen in der Szene und darüber hinaus wurde die Band durch ihre polarisierende Wirkung zum Idol, oder aber zum Gegner, wobei die Frage nach dem Verhältnis von Privatem und Politischem oft ausschlaggebend für die Bewertung war.
Die zentrale Frage dieser Arbeit lautet dementsprechend, wie in den Texten von Ton Steine Scherben das Private und das Politische thematisiert wird und in welchem Verhältnis diese Themen zu einander stehen. Der Vergleich mit der Neuen Subjektivität liegt dabei nahe und stellt die eben genannte Verbindung von Musik, Politik und Literatur her. Durch diese Verbindung lassen sich kulturelle und gesellschaftliche Diskurse, die ihren Ausdruck sowohl in der Literatur, als auch in der Musik fanden, besser nachvollziehen.
Um dem nachzugehen, werden sowohl Entstehung, Entwicklung und Eigenschaften der Neuen Subjektivität, als auch die Entwicklung und das Selbstbild der Band nachgezeichnet. Die Aspekte der Entstehung und Entwicklung sind dabei besonders interessant, da angenommen wird, dass sich die Entwicklung der deutschsprachigen Literatur von stark politisch geprägten hin zu vermehrt persönlichen Schwerpunkten in der Entwicklung der Band und ihrer Songtexte ebenfalls aufzeigen lässt. In der Bandgeschichte ist eine derartige Schwerpunktverschiebung im Umfeld des Umzugs von West-Berlin nach Fresenhagen 1975 zu beobachten und in der Literatur entspricht sie der Entwicklung der Neuen Subjektivität. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass diese Entwicklungen dynamische Prozesse der kulturellen Diskurse und keine harten Brüche darstellen. So lassen sich auch bereits in der frühen Phase der Band vor 1975 deutliche Ähnlichkeiten zur Neuen Subjektivität erkennen, z.B. dass Kunst und Leben sowohl bei der Band, als auch in der Literaturströmung besonders eng verknüpft wurden. Die Band versuchte zu leben, wovon ihre Songs handelten und in der Neuen Subjektivität wurde darüber geschrieben, was erlebt wurde.
An diese einleitenden Kapitel anschließend werden einige exemplarische Texte Reisers literaturwissenschaftlich untersucht und deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur Neuen Subjektivität aufgezeigt. Dabei wird auch die Analyse der musikalischen und ggf. besonderen aufführungspraktischen Eigenschaften der Band mit einbezogen, um ein möglichst umfassendes Bild der Songs zu erhalten. Im abschließenden Fazit werden die Ergebnisse dieser Songtextuntersuchung mit literaturwissenschaftlichem Schwerpunkt unter Einbeziehung des Kontextes der Bandgeschichte zusammengetragen und sowohl hinsichtlich des Verhältnisses von Privatem und Politischem in den Texten, als auch hinsichtlich des Verhältnisses der Texte zur Neuen Subjektivität reflektiert.
Die Untersuchung wird sich auf die Songtexte beschränken, die Reiser mit Ton Steine Scherben veröffentlichte, da eben diese aufgrund der besonderen Bandgeschichte exemplarisch für ihre Zeit stehen. Die späteren Solowerke und die mit der Band aufgenommenen Hörspiele und Theaterstücke sollen deshalb unberücksichtigt bleiben. Die Untersuchung von Songtexten macht zudem einige einleitende methodische Vorüberlegungen nötig, um dem besonderen Untersuchungsgegenstand gerecht zu werden. Dazu werden einige Diskurse und offene Fragen diesbezüglicher Forschung aufgegriffen und dahingehend untersucht, ob und inwiefern die Songtextanalyse ein besonderes Vorgehen erfordert, das sich von der Analyse anderer Gattungen unterscheidet und welche Aspekte, abgesehen von den gängigen literaturwissenschaftlichen Analysekategorien, noch berücksichtigt werden sollen.
1. Methodische Vorüberlegungen zur Songtextanalyse
1.1 Kategorien und Ausgangspunkte
Die Untersuchung von Songtexten aus der Popmusik hat schlicht aufgrund der Tatsache, dass ihr Untersuchungsgegenstand bei weitem nicht so lange existiert, wie der anderer literarischer Gattungen, noch eine recht junge Tradition. Dennoch ist sie z.B. in der Anglistik bereits ein umfangreiches Forschungsfeld. „Die Germanistik dagegen hat das seit den 1970er Jahren außerordentlich breitenwirksame Phänomen des deutschsprachigen Songs fast völlig vernachlässigt.“ Der heutige Stand dieses Wissenschaftszweigs wird im Folgenden kurz zusammengefasst um für die Songtextanalyse Analysekategorien abzuleiten. An erster Stelle steht dabei die Frage, was bei der literaturwissenschaftlichen Untersuchung von Songtexten alles berücksichtigt werden muss und wovon bei der Untersuchung eigentlich ausgegangen werden kann.
Nach Werner Faulstich müssen die Texte populärer Musik auf drei Zeichen-Ebenen untersucht werden: der extraverbalen Ebene, auf der die Sprache im Zusammenhang mit den musikalischen Elementen Rhythmus und Melodie gesehen wird, der verbalen Ebene, die die Sprache nach ihren formalen und stilistischen Eigenschaften untersucht und auf der Ebene der Präsentation der Sprache als gesungenes Lied.
Neben dieser eher textzentrierten Herangehensweise gibt es aber auch Gegenstimmen, wie die Moritz Baßlers: „Der notierbare Text ist immer nur eine Annäherung an den performierten Text des Songs und bleibt ihm gegenüber sekundär.“ Ole Löding geht ebenfalls von diesem Standpunkt aus und leitet davon Folgeerscheinungen ab.
Zum ersten kann die schriftliche Fixierung des Songtextes (zum Beispiel im Inlay eines Albums) nicht als die primäre Quelle betrachtet werden. […] Songtexte sind Texte in Aufführung. Aus dieser scheinbar einfachen Aussage entsteht für die Interpretation ein merkwürdiger Widerspruch: Die Integration nicht-verbaler aber sinnvermittelnder Elemente – dies ist die zweite Folgeerscheinung – erweitert den möglichen Interpretationsspielraum des Songtextes. […] Gleichzeitig aber – drittens – verliert der Songtext durch die akustische Wiedergabe und die Präsentation durch den Gesang wiederum Interpretationsspielräume.
Baßler und Löding stellen den Text explizit an zweite Stelle, während Faulstich ihn als Ausgangspunkt ansieht, der im Zusammenhang mit Musik und Präsentation untersucht werden sollte. Baßler stellt zudem den Songtext dem Drama gegenüber, da bei letzterem der Text stets Vorrang vor der Aufführungen habe. Löding schließt sich dem an und ergänzt, dass der Songtext demnach eher dem Libretto einer Oper ähnele, bei der das Hören stets Vorrang vor dem Lesen habe. Dass der Song und die Oper die musikalische Dimension gemeinsam haben und somit in erster Linie gehört werden sollen, steht außer Frage. Doch ebenso ist das Drama für die Aufführung gedacht und wird i.d.R. nicht primär für die Veröffentlichung der Textfassung geschrieben. Diese werden zwar auch rezipiert, doch kann man das Gleiche auch von den Libretti der Opern, oder von Songbooks sagen. Zudem weichen die Interpretationen von Songs oft deutlich von der Ursprungsfassung ab, wohingegen das bei Libretti kaum der Fall ist. Bei diesen wird eher die Aufführungspraxis verändert. Die von Löding und Baßler angestellten Vergleiche erscheinen also durchaus fragwürdig, dennoch ist die Relevanz der nichtverbalen sinnvermittelnden Elemente, wie Löding sie nennt, nicht zu unterschätzen. Derselbe Text kann, anders präsentiert, plötzlich ironisch wirken und somit eine komplett gegenteilige Bedeutung vermitteln. Dieses nachvollziehbare Argument lässt sich trotz unterschiedlicher Schwerpunkte in ähnlicher Form bei allen drei Autoren finden.
Simon Frith hingegen geht noch über Faulstichs textzentrierten Ansatz hinaus und erklärt: „Words matter to people, [...] they are central to how pop songs are heard and evaluated. [...] A song – its basic melodic and rhythmic structure – is grasped by people through its words.“ Frith hat sicherlich in manchen Fällen recht, doch ebenso kann die melodisch-rhythmische Struktur und insbesondere seine Präsentation die Rezeption und damit die Bedeutung eines Textes verändern. Zudem ist gerade die Popmusik ein Beispiel dafür, dass Songs auch bei völligem Unverständnis des ggf. fremdsprachigen Textes viel rezipiert und auf ihre Weise verstanden, bzw. interpretiert werden können. Friths absolutem Ansatz muss also widersprochen werden. Die Frage, ob man prinzipiell textzentriert vorgehen sollte, wie Frith und Faulstich fordern, oder den Text grundsätzlich eher hintanstellt, wie Löding und Baßler es vorschlagen, soll hier nicht weiter verfolgt werden. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass die Kategorien Text, Musik und Präsentation, sowie deren Zusammenwirken als Erweiterung oder Einschränkung des Interpretationsspielraumes die zentralen Ansatzpunkte für die Analyse von Songtexten darstellen. Dabei ist es nicht von vorrangiger Bedeutung, ob man vom Text, der Musik oder von seiner Präsentation ausgeht, solange alle drei Kategorien berücksichtigt werden. Für die vorliegende Arbeit richtet sich der methodische Fokus nach dem Untersuchungsgegenstand und der Forschungsfrage. Somit stehen hier die Texte im Mittelpunkt, um das in ihnen verhandelte Verhältnis von Privatem und Politischem, sowie die Vergleichbarkeit mit der Neuen Subjektivität zu untersuchen. Die Musik und die Präsentation werden aber in dem Maße miteinbezogen, wie sie in ihrer jeweiligen Ausgestaltung für die Interpretation relevant sind. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Band sich bei ihren Auftritten kostümiert und deshalb ausgebuht wird, wenn sie aufgrund der Publikumsreaktionen entscheidet, Songs nicht mehr zu spielen, oder wenn sich Betonungen im Text wegen der melodisch-rhythmischen Struktur der Musik verschieben. Weitere Besonderheiten, die bei der Untersuchung der Texte von Ton Steine Scherben berücksichtigt werden müssen, werden im Folgenden erörtert.
1.2 Musik und Text
Im Fall von Ton Steine Scherben nehmen die Texte eine ambivalente Position ein. Einerseits wurde Reisers Stimme absichtlich wie ein Instrument neben den anderen eingesetzt und wird so des Öfteren vom rocktypischen „Krach“ der Instrumente übertönt, andererseits sang Reiser bewusst deutsch um verstanden zu werden. Die Band wollte also beides, verstanden werden und Rockmusik machen. Dahinter stand eine Intention, die Reiser 1970 beim ersten TV-Auftritt folgendermaßen beschrieb. „Wir wollen mit der Musik, die wir machen, die Menschen davon überzeugen, dass sich alle Menschen von ihren Unterdrückern befreien müssen. Und ich glaube, dass die Musik dabei einen wichtigen Faktor spielen kann. […] Weil man mit der Musik Sätze populär machen kann.“ Das hier bewusst angestrebte Zusammenwirken von Text und Musik hat Jean-Martin Büttner wie folgt beschrieben: „Text und Musik, Sound und Phrasierung bilden ein Ganzes; was nicht gesagt werden kann, wird gespielt und umgekehrt.“ Büttner liegt damit zwar richtig, vernachlässigt dabei aber wie auch Frith die Präsentation der Songs und dass diese einen starken Einfluss auf deren Rezeption haben kann. Wie sich aus dem Zusammenwirken der sich gegenseitig ergänzenden Aspekte der Songs und dem besonderen Kontext der Band und ihrer oben zitierten Intention eine schlüssige Gesamtinterpretation ableiten lässt, wird die vorliegende Arbeit zeigen. Dazu werden die oben genannten Aspekte untersucht und mit einander verbunden, wobei der Fokus wie bereits erwähnt auf den Texten liegt. Werner Faulstich hat für solche Songtextanalysen einige (textzentrierte) Leitfragen benannt:
- Welche syntaktischen Merkmale kommen dem Text zu?
- Lassen sich Ellipsen oder Emphasen feststellen und welche Bedeutung haben sie im jeweiligen Kontext?
- In welchem sprachlichen Rhythmus sind die Verse gestaltet und an welchen Stellen mit welcher Bedeutung wird das dominante Versmaß durchbrochen?
- Welche Bedeutung kommt u.U. dem Ausgang der Verse zu?
- Welcher Reim liegt vor und welche Funktion kommt ihm zu?
- Wie wird der Text rhythmisch präsentiert und welche bedeutungsmäßige Akzentuierung einzelner Textteile/Worte folgt daraus?
- Wie ist der Songtext formal aufgebaut (Strophen, Refrain etc.)?
- Welche inhaltlichen Bedeutungen kommen bestimmten Aufbautypen zu?
- Wie verhalten sich die Aufbaumuster eines Songtextes auf verschiedenen Ebenen (Inhalt, Form, Rhythmus etc.) zueinander?“
Diese Fragen stellen allerdings nur gängige literaturwissenschaftliche Untersuchungskriterien für Texte in Aufführung, wie z.B. Slampoetry, dar. Es wird aus diesen nicht ersichtlich, ob und wie ein Unterschied zwischen solchen Texten und Songtexten besteht. Behandelt man die Texte rein literaturwissenschaftlich und bleibt so auf Faulstichs verbaler Zeichenebene, wird das Zusammenwirken der einzelnen Zeichenebenen komplett vernachlässigt. Es ist aber für das methodische Vorgehen wichtig, die einzelnen Aspekte bzw. Ebenen nicht gesondert, sondern direkt im Kontext der anderen zu betrachten. Faulstichs Fragen sind als Anregungen hilfreich, für eine umfassende Analyse greifen sie jedoch sowohl inhaltlich, als auch methodisch deutlich zu kurz. Bei der exemplarischen Untersuchung der Texte von Ton Steine Scherben werden daher neben den Fragen Faulstichs noch weitere Aspekte, wie z.B. die musikalische Gestaltung, die Aufführungspraxis der Band allgemein, sowie bei einzelnen Songs und die Bedeutung der Texte im gesellschaftspolitischen Kontext der Zeit berücksichtigt.
Interessant ist, dass Faulstichs Fragen stark an die in der Lyrikanalyse üblichen Verfahren erinnern und tatsächlich steht die Frage, ob Songtexte (Lyrics) wissenschaftlich genau wie Lyrik zu behandeln seien, in enger Verbindung mit dem oben beschriebenem Diskurs über die Perspektive bei der Songtextanalyse. Diese wissenschaftlichen Diskurse über Gattungen und Perspektiven entwickelten sich u.a. im Anschluss an Leslie Fiedlers bekannten Aufsatz „Cross the Border, Close the Gap“ von 1968 und damit genau in der Zeit, welche in dieser Arbeit in den Fokus genommen wird. Die Entwicklung der Pop- und Rocksongs und ihrer Texte in den Siebzigerjahren verläuft somit zeitgleich mit den Veränderungen des (Selbst-)Verständnisses der Literatur. Die Frage danach, wie ein Text sein muss um Literatur zu sein, stand im Raum als Rio Reiser bewusst begann, deutsche Songtexte im englischsprachig geprägten Genre der Rockmusik zu schreiben. Dies legt es bereits nahe, seine Texte mit zeitgenössischen literarischen Entwicklungen zu vergleichen. Wie in der vorliegenden Arbeit mit solchen Songtexten bzw. Lyrics umgegangen wird und ob sie mit Lyrik gleichgesetzt werden können, wird im Folgenden dargelegt.
1.3 Lyrics = Lyrik? Lyrisches und empirisches Ich
Simon Frith erklärt in seinem Werk Performing Rites: „Lyrics aren’t poetry.“ Michael Behrendt hingegen untersucht in seiner Dissertation über anglo-amerikanische Songtexte dem Titel seiner Arbeit entsprechend „Rocklyrik“. Und Rio Reiser erklärte über die Texte seiner Songs: „Eigentlich finde ich das nicht mehr gut, diese gedruckten Texte auf der Platte. Das ist was völlig anderes: Du liest den Text, aber der Text ist ja für Musik geschrieben, das ist ja kein Gedicht.“ Es stellt sich also die Frage, wie mit Songtexten im Allgemeinen und den Texten von Ton Steine Scherben im Besonderen umgegangen werden soll. Texte, die bis heute Bekanntheit genießen und zur Zeit ihrer Veröffentlichung viele soziale Veränderungen begleiteten, wenn nicht sogar auslösten, müssen entsprechend wissenschaftlich aufgearbeitet werden können. In Ermangelung einer eigenen Analysetradition und angesichts der großen strukturellen Nähe, ist die Verwendung von Lyrikanalysekriterien, wie sie auch Faulstich vorschlug, naheliegend. Auch genuin gleichen sich Gedicht und Songtext, da sich die Lyrik bekanntermaßen vom zur Lyra gesungenen Text herleitet, doch hat sich die heutige Praxis weit davon entfernt. Die Untersuchung von Lyrics bzw. Songtexten bringt zudem die gleichen und eher noch mehr Schwierigkeiten mit sich, wie die Untersuchung anderer Gattungen. Die Frage nach dem Verhältnis von lyrischem und empirischem Ich stellt sich beim Song beispielsweise noch viel drängender als bei der Literatur, da er_sie ja oft im wahrsten Sinne des Wortes hinter seinem_ihrem Werk steht, welches aus den Lautsprechern klingt.
David Brackett moniert mit Recht: „Music magazines and biographies often focus on the parallels between songs and the singer’s lives.“ Das lyrische und das empirische Ich dürfen jedoch nur bei eindeutigen Hinweisen auf eine Identifikation, wie beispielsweise einer entsprechenden Programmatik des_r Künstler_in, gleichgesetzt werden, was eher selten der Fall ist. Dennoch werden beide häufig fälschlich mit einander gleichgesetzt. So erklärte beispielsweise das Magazin „Laut“ in der Rezension zu Herbert Grönemeyers Album „Mensch“ ohne weiteren Beleg: „In dem Song »Mensch« beschreibt der gebürtige Göttinger, wie stark er seine Frau vermisst.“ Dass es sich hierbei um ein Kunstwerk handelt, bei dem von einer gewissen Poetizität und somit von einer Differenz zwischen lyrischem und empirischem Ich ausgegangen werden muss, wird dabei ignoriert. Vom Tod des Autors, wie Roland Barthes ihn beschrieb, ist man hier also sehr weit entfernt. Dieser Trugschluß ist nachvollziehbar, da der_die Musiker_in schon allein wegen der Aufführungssituation direkter mit ihrem_seinem Werk assoziiert wird, als der_die Autor_in eines Buches oder anderen gedruckten Textes. Doch gerade bei der Popmusik muss berücksichtigt werden, dass viele Künstler_innen gar nicht die Autor_innen der von ihnen aufgeführten Songs sind. Oftmals bieten Produzent_innen einen Song sogar mehreren Künstler_innen an, bis jemand ihn übernimmt. Auch wenn dies bei Ton Steine Scherben nicht der Fall war, darf hier nicht vorschnell von einer Gleichsetzung von lyrischem und empirischem Ich ausgegangen werden, auch wenn diese, wie die Analyse zeigen wird, oftmals intendiert wurde.
Bei Songs, wie auch bei anderen literarischen Texten, gibt es zuweilen Ausnahmen, bei denen tatsächlich von einer Verbindung von lyrischem und empirischem Ich ausgegangen werden kann. So macht Löding beispielsweise für politische Songs tendenziell eine besondere Relevanz der Autor_innenbiografie aus, da solche „das autobiographisch geprägte politische Bekenntnis eines Künstlers darstellen“ können. Ebenso können Künstler_innen aber auch bewusst mit solchen Rollenspielen arbeiten, um ihre politischen Zwecke voranzubringen und autobiografische Bezüge nur vortäuschen. Es ist gerade bei Songtexten notwendig, eventuelles Self-fashioning der Autor_innen zu berücksichtigen, da hier oftmals bewusst ein bestimmtes Image erzeugt werden soll. Die Autor_innenschaft ist dabei nur ein Beispiel für die grundsätzliche Ähnlichkeit und gleichzeitige Verschiedenheit von Songtexten und Lyrik oder anderer Literatur. Eine weitere Besonderheit von Songtexten hat Dieter Wrobel herausgearbeitet. Er erklärt, dass die Rezipient_innen von Songs sich durch die direkte Artikulation des Textes und ggf. sogar durch die direkte Ansprache eines Gegenübers im Text selbst angesprochen fühlen können, obwohl sie wissen, dass sie nicht persönlich gemeint sind. Dieser Zusammenhang lässt sich am besten am konkreten Beispiel des Songtextes beschreiben und wird in der Songtextanalyse wieder aufgegriffen und näher erörtert werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Songtext selbst zwar mit den Mitteln der Lyrikanalyse untersucht werden kann, weitere Aspekte, wie beispielsweise die Aufführungssituation, die musikalische Dimension, die Frage der Produktion des Werkes oder das Verhältnis von lyrischem Ich und Rezipient_innen allerdings miteinbezogen werden müssen, um dem Werk in seiner Gesamtheit gerecht zu werden. Eine direkte Gleichsetzung von Lyrics mit Lyrik ist demnach nicht statthaft. Wie Songtexte als Gattung neben Lyrik, oder Prosa einzuordnen sind, ist allerdings für diese Arbeit nebensächlich.
1.4 Songtexte der Siebzigerjahre
In den Sechziger- und Siebzigerjahren war die internationale Rock- und Popmusik in Deutschland zwar bekannt und ihre Texte schrieben sich durch die Verbreitung der Massenkultur in den Alltag der Gesellschaft ein, doch „Deutschsprachigkeit […] [war] für Rockmusiker einfach tabu.“ Von „einer real existierenden deutschsprachigen Popmusik konnte [...] Anfang der Siebziger wahrlich keine Rede sein.“ Ton Steine Scherben mit ihrer Rockmusik und v.a. Reisers deutsche Texte waren somit ein Novum, da es bis dahin im deutschsprachigen populärmusikalischen Bereich fast nur Schlager und Liedermacher_innen gegeben hatte. Dabei kamen letztere der sich nun entwickelnden Rock- und Popmusik noch am nächsten, auch wenn ihre Instrumentierung und das damit verbundene Selbstverständnis deutlich verschieden waren. Über die musikalischen Entwicklungen der Zeit kann hier nicht fundiert geurteilt werden. Die thematische Entwicklung der Texte der Rockmusik der Siebzigerjahre soll jedoch kurz zusammengefasst werden. Laut Martin Rehfeldt „lässt sich ein relativ stabiler Kernbereich feststellen, zu dem neben Rebellion auch Sexualität zählt.“ Und Ole Löding erklärt:
Nahezu alle Themen und Mittel der ästhetischen Umsetzung, die von 1964 bis 1968 sichtbar wurden, lassen sich in den 70er Jahren wiederfinden. Von der kapitalismuskritischen Interpretation des Nationalsozialismus über die Reduktion der Angriffe auf Täter aus der Wirtschaft bis hin zu der Poetik einer Songgeschichtsschreibung »von unten«, die davon ausgeht, dass für ein gesellschaftliches »Lernen aus der Geschichte« die Präsentation objektiver (Gegen-)Information unabdingbar ist, gehen die Songschreiber kaum über die Werke vor der 68er-Revolte hinaus. […] Kaum noch werden wie vor der 68er-Revolte generalisierend Instanzen und Autoritäten wie die Politik, die Wirtschaft, die Väter oder die Universität angegriffen. Jetzt sind häufig reale Einzelpersonen als Täter und als Opfer des Nationalsozialismus geschildert und namentlich benannt. Explizite Begründungen für diese Veränderung liefern die Songs nicht und es scheint zu weit gegriffen, die in den 70er Jahren im Bereich der Lyrik entstehende Neue Subjektivität als Erklärung heranzuziehen
Löding macht hier zwar relevante Themen aus, seiner weiteren Diagnose muss jedoch widersprochen werden. Schon allein das Aufkommen der deutschsprachigen Rockmusik ist ein Mittel der ästhetischen Umsetzung, welches es vorher nicht gab. Ihre Produktion und Rezeption änderte sich dadurch bedeutend, da ihre Texte nun von allen verstanden werden konnten und sich ihr Publikum dementsprechend veränderte und vergrößerte. Zudem sind seit „den 1970er Jahren [...] die meisten deutschsprachigen Songs unmittelbar durch die englische und nordamerikanische Rock- und Popmusik geprägt (z. B. »Puhdys« in der DDR, »Ton Steine Scherben« in der BRD)“ was vorher noch nicht in dem Maße der Fall war. Außerdem ist die von Löding nicht näher untersuchte Zuspitzung auf Einzelpersonen ein wichtiger Schritt in der kulturellen Vergangenheitsbewältigung der Bundesrepublik.
Abgesehen von der politischen Anklage von Täterindividuen wurde sich aber auch verstärkt dem Individuum an sich zugewandt. So schreiben „ab Mitte der 1970er Jahre Liedermacher wie Reinhard Mey, Konstantin Wecker oder Andre Heller radikal subjektive und meist apolitische Songs.“ Die Fokusverschiebung auf das Individuum und das Persönliche stellt somit eine bedeutsame inhaltliche, wie auch perspektivische Veränderung dar, welche auch abseits und in direkter Abkehr vom Politischen im Verlauf der Siebzigerjahre auszumachen ist. Dennoch macht sie nur einen der Aspekte aus, welche den Bezug zur Neuen Subjektivität nahelegen und damit Lödings Diagnose widersprechen. Neben den thematischen und perspektivischen Veränderungen ist den Pop- und Rocksongs eine Nähe zur Umgangssprache eigen, welche von einer starken Adressat_innenorientierung herrührt.
Die Dominanz von Parataxen entspricht ebenso der Alltagssprache bzw. der Einstellung auf die Hörer wie der häufige Gebrauch von Ellipsen […] oder der häufige Gebrauch von Emphasen […] Der Rhythmus der Songtexte ist häufig dem musikalischen Rhythmus untergeordnet […]. Gleichwohl formt er in der Regel den Vers (häufig gemäß dem musikalischen Segment) zu einer Einheit.
Die oftmals zu beobachtende Orientierung des Textes an der Musik führt allerdings nicht selten zu katalektischen Versen. Ähnliche Eigenschaften finden sich im deutschsprachigen Raum bereits seit dem 16. Jahrhundert im Bänkelsang und Gassenhauer, welcher „im städtischen Umfeld entsteht und durch einen »schnoddrigen Ton«, das heißt umgangssprachliche und parodistische Sprachverwendung, bestimmt wird.“ Dabei wird die Verbindung von Text und Musik als Medium der Gesellschaftskritik genutzt, was sich insbesondere bei den Liedermacher_innen der Sechzigerjahre und auch bei Rockmusiker_innen wie Ton Steine Scherben wiederfindet. Wie bereits erörtert, stellt eben diese Verbindung von Musik und Text als Medium der politischen Intention einen Schwerpunkt der Songtextanalyse dar.
1.5 Musik und Politik
Die soeben genannten thematischen Schwerpunkte der Musik der Siebzigerjahre zeigen bereits das intensive Verhältnis von Musik und Politik in jener Zeit, sowohl in verbindender, als auch in abgrenzender Form. Bevor darauf näher eingegangen wird, soll an dieser Stelle kurz reflektiert werden, was in der vorliegenden Arbeit damit gemeint ist, wenn etwas als politisch bezeichnet wird. Zum Begriff des Politischen gibt es gerade in der Politikwissenschaft hinlänglich Forschung, die hier nicht in ihrer Gänze wiedergegeben werden kann. Stattdessen sei auf das Konzept von Ulrich Beck verwiesen, der neben der institutionellen Politik, die offensichtlich politisch ist, die politische Dimension des sog. Subpolitischen entwickelt hat. Beck weist darauf hin, dass
(a) auch Akteure außerhalb des politischen oder korporatistischen Systems auf der Bühne der Gesellschaftsgestaltung auftreten (also Professions- und Berufsgruppen, die technische und ökonomische Intelligenz in Betrieben, in Forschungsinstitutionen, im Management, Facharbeiter, Bürgerinitiativen, Öffentlichkeit usw.); und (b) [...], daß nicht nur soziale und kollektive Akteure, sondern auch Individuen mit jenen und miteinander um die entstehende Gestaltungsmacht des Politischen konkurrieren.
Dieses weitere Verständnis dessen, was als politisch bezeichnet wird „bietet die Möglichkeit, verschiedene zumindest nicht im klassischen Sinn politische Aktionen, Organisationsformen und Gruppen politisch zu bewerten.“ Demnach können also auch Individuen, Aktionen etc. außerhalb des institutionellen politischen Spektrums als politisch angesehen werden. Wie die folgenden Ausführungen zeigen werden, kann dieses Prinzip auch auf Musik, Auftreten, äußeres Erscheinungsbild u.v.m. ausgedehnt werden, sobald diese Aspekte als im politischen Sinne bedeutsam angesehen, d.h. hinsichtlich der Gesellschaftsgestaltung interpretiert werden. Die Bezeichnung eines Sachverhaltes als politisch bezieht in dieser Arbeit somit die von Beck beschriebene Dimension des Subpolitischen mit ein. Demgegenüber wird als privat bezeichnet, was persönlich und damit vom Individuum selbst prinzipiell nicht für die Öffentlichkeit freigegeben ist.
Im Folgenden wird das Verhältnis von Politik und Musik näher untersucht, wobei nur diejenigen Aspekte dieses komplexen Verhältnisses in den Fokus genommen werden, die für die Untersuchung der Songtexte bedeutsam sind. Eine grundlegendere Auseinandersetzung mit dem Thema findet sich z.B. in „Politische Musik?“ von Tibor Kneif. Nachdem die Fünfzigerjahre stark apolitisch geprägt waren, hatten seit dem „Beginn der 1960er Jahre W. Neuss, F. J. Degenhardt, D. Süverkrüp u. a. den westdeutschen Protestsong“ entwickelt. „Sie knüpfen wie gleichzeitig Wolf Biermann in der DDR auch an die Balladen-, Bänkelsang- und Couplet-Tradition an“, was sich z.B. im umgangssprachlichen, oder erzählerischen und auf die bildhafte Schilderung von Situationen ausgerichteten Ton widerspiegelt. Der zunehmende Wohlstand in der Gesellschaft führte dazu, dass Musik als Ware der Unterhaltungsindustrie immer wichtiger wurde und auch die Musik internationaler Künstler_innen gerade bei Jugendlichen immer größere Verbreitung fand. Die Rockmusik brachte dabei neben den oft explizit politischen, oder explizit unpolitischen Texten der Liedermacher_innen eine eher implizite politische Dimension von Musik mit sich.
Zwar waren die Texte der Beat- und Rockmusik nicht unbedingt politisch, aber dafür wurde der typische Sound und das Auftreten der Musiker als gesellschaftskritisch betrachtet. Insbesondere konservative Kreise fühlten sich sowohl durch die Beat-Musik als auch durch Rockbands, wie die Rolling Stones herausgefordert. Ihr Erscheinungsbild, die provokante Musik und das auffällige Gebaren erschreckten Bürger und Politiker in Ost- und Westdeutschland.
Musik wurde also immer öfter als politisch wahrgenommen, ohne dass ihre Texte explizit politisch waren. Dies hatte v.a. für die linke Szene der Sechziger- und Siebzigerjahre, die oftmals als Neue Linke bezeichnet wird, eine große Bedeutung. Ihre politische Praxis beschränkte sich nun nicht mehr vorrangig auf Demonstrationen o.ä., sondern beinhaltete weite Teile des täglichen Lebens, da nun auch Kleidung, Auftreten, Medienkonsum etc. als politische Aussagen wahrgenommen wurden. Dies traf auch auf Ton Steine Scherben zu, die, indem sie ihre Musik nicht nur spielten, sondern auch lebten, ein ganzes Lebensgefühl verkörperten. „Nicht die Texte, sondern das ganze Auftreten und das soziale Umfeld machten eine Band zum Politikum“, schreibt Wolfgang Seidel, Gründungsmitglied der Band. Die Musik der Siebzigerjahre und v.a. die von Ton Steine Scherben wurde als Teil dieses Bedeutungszusammenhangs, also insbesondere hinsichtlich ihrer symbolischen Bedeutung beurteilt, nachdem dies in den betont apolitischen Fünfzigerjahren kaum der Fall gewesen war. Beate Kutschke beschrieb diesen Wandel hinsichtlich der politisch linksgerichteten Musik wie folgt:
Die Grenzlinien verlaufen nicht mehr zwischen eindeutig politisch ausgerichteten Werken auf der einen und thematisch anders orientierten Werken auf der anderen Seite (das duale Modell). Werke mit eindeutig politischem Impetus und thematisch anders ausgerichtete Werke müssen demgegenüber in der gleichen Gruppe zusammengefasst werden, wenn sie mittels ihrer kompositorischen Gestaltung an der symbolisch-kognitiven Praxis der Neuen Linken partizipieren.
Der Grad der Partizipation an einer derartigen symbolisch-kognitiven Praxis entsteht jedoch oftmals erst durch eben diese Praxis der Rezipient_innen und ist dadurch z.T. unabhängig von der Künstler_innenintention. Videos, die sich heute in sozialen Netzwerken viral oder aber kaum verbreiten, sind das beste Beispiel für dieses Prinzip. In den Siebzigerjahren hing die Verbreitung von Musik jedoch noch deutlich stärker als heute von der Plattenindustrie ab, welche als Teil des kapitalistischen Systems allerdings gerade von linksgerichteten Musiker_innen oftmals abgelehnt wurde. Diese hatten es dadurch deutlich schwerer, ihre Rezipient_innen zu erreichen. Ihre als Kunst für die Massen gemeinte politische Musik führte dadurch eine „paradoxe Existenz oder Pseudo-Existenz einer Volkskunst für Eingeweihte.“ Ein Dilemma war entstanden, da die Musiker_innen entweder ihrer politischen Linie entsprechend die Plattenindustrie ablehnten und somit schwerlich Verbreitung fanden, oder entgegen ihrer Ideale Plattenverträge bei großen Labels annahmen. Dadurch wurde ihre Musik jedoch automatisch zur Ware der Unterhaltungsindustrie, was „selbst die schärfste politische Aussage [...] – wie Adorno schon lange Zeit zuvor festgestellte hatte – zu einer fetischisierten, affirmativen Stütze der etablierten Ordnung“ machte. Ton Steine Scherben hat versucht dieses Dilemma in Eigenregie aufzulösen, indem sie ihr eigenes Label gründeten, worauf im Kapitel 3. Ton Steine Scherben näher eingegangen wird. Trotz derartiger Probleme hatte die Musik der Sechziger- und Siebzigerjahre und gerade die von Ton Steine Scherben jedoch einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung der linken Szene, da sie deren Botschaften als Medium, bzw. deren Diskursen als Plattform diente und im Zusammenspiel mit Mode, Auftreten usw. eine neue Form der Selbstidentifikation ermöglichte.
Ton Steine Scherben und Pink Floyd, sie alle haben die Welt eine Zeit lang durchaus im neulinken Sinne verändert – und zwar, weil es ihnen gelang, den Geist ihrer Zeit in musikalische Formen zu fassen. Durch ihre Musik erreichte der Geist der Rebellion auch die Herzen jener Menschen, die in der tiefsten Provinz lebten – fernab von den politischen Auseinandersetzungen dieser Tage. So konnte sich auch der Seppl aus Niederbayern ein paar Wochen lang als Straßenkämpfer fühlen.
Die unterschiedlichen Formen der in den Texten angelegten Identifikationsmöglichkeiten werden in den jeweiligen Songtextanalysen konkret behandelt. „Immer jedoch finden sich, mehr oder weniger explizit, jene drei von Gert Hagelweide für die kommunistische Liedpublizistik aufgezeigten wiederkehrenden Elemente: »Akteur (»Wir«), »Rufempfänger« (Arbeiter, Konzertbesucher, alle Menschen, usw.) und »Feind«.“ Diese drei Elemente und v.a. die Funktion ihres Zusammenspiels werden neben dem hier nicht erwähnten einzelnen lyrischen Ich in der Songtextanalyse immer wieder eine Rolle spielen, auch wenn sie nicht immer aufzufinden sind, wie Löding schreibt.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Musik vom apolitischen Unterhaltungsmedium zum politische Bedeutung tragenden Element der Selbstidentifikation vieler Jugendlicher wurde, das den Zeitgeist verkörperte und vermittelte. Dies verlief häufig über die Kombination der vier eben genannten Elemente. Dabei ist es wichtig festzuhalten, dass nicht nur der Text eine Rolle spielte, sondern eben auch Erscheinungsbild, Gebaren etc. der Musiker_innen, sowie die musikalische Gestaltung. Durch diese Kombination entstand neben den bekannten explizit politischen Songs eine implizit politische Musik. Durch die Wechselwirkung von Text, Musik, Auftreten, etc. konnten die Songs so die politische Dimension scheinbar unpolitischer Texte aufzeigen. Gerade Themen wie Arbeit, Eltern-Kind-Verhältnisse oder Sexualität wurden so auch in ihrem politischen Gehalt verstanden.
2. Neue Subjektivität
2.1 Entstehung und Begriffe
Im Folgenden werden Entstehung und Eigenschaften der Neuen Subjektivität nachgezeichnet, damit Parallelen in der Entwicklung der Band und Bezüge zu den Eigenschaften der Texte nachvollzogen werden können. Der Entstehungszeitpunkt der Literaturströmung, welche u.a. als Neue Subjektivität bezeichnet wird, wird je nach Definition unterschiedlich datiert. Dabei variieren die Daten zwischen Mitte der Sechziger- und Mitte der Siebzigerjahre. Hiltrud Gnüg datiert den Beginn dieser Strömung beispielsweise relativ früh:
Während die Literaturkritik erst Mitte der siebziger Jahre eine neue Subjektivität diagnostiziert und sie gleichzeitig von einer neuen Sensibilität spricht, war schon mit der Politisierung der Literatur in der APO-Zeit gleichzeitig auch eine Gegenbewegung entstanden, die gegen die kritische Reflexion der linken Intellektuellen und gegen den Rationalismus politischer Aufklärung eine neue Sinnlichkeit, Körperlichkeit, Lusterfahrung, eine neue Spontaneität des Erlebens propagierte.
Ähnlich sieht das Rainer Nägele, der zudem anführt, dass Literaturströmungen oftmals parallel und selten klar begrenzt ablaufen:
Haupttexte der sogenannten neuen Innerlichkeit erschienen mitten in der politischen Phase. Thomas Bernhard und Peter Handke, deren Texte zum Inbegriff von Innerlichkeit und Subjektivität wurden, hatten ihre Signatur zwischen 1965 und 1970 voll ausgebildet. Andererseits erschienen eine ganze Reihe politisch-realistischer Romane in den siebziger Jahren.
Andere verorten den Beginn der Strömung deutlich später, wie z.B. Thomas Anz oder Marcel Reich-Ranicki: „etwa um 1975“. Eine genaue Datierung vorzunehmen ist allerdings, wie schon Nägele nahelegt, wenig sinnvoll. Für die Verbindung der Literaturströmung mit den Texten Reisers ist der Zeitraum ihrer Entstehung, also Mitte der Sechziger- bis Mitte der Siebzigerjahre, jedoch von Bedeutung. Neben der Debatte um den Beginn gibt es zudem deutliche Unterschiede in der Definition und der Bewertung der Literaturströmung, wie sich bereits in den soeben zitierten Passagen andeutet. Während die einen von einer Rückbesinnung auf eine dezidiert unpolitische Innerlichkeit sprechen und z.T. sogar vor ihr warnen (z.B. Christoph Buch oder Franz Joseph Degenhardt ), betonen andere eben gerade den politischen Aspekt dieser Bewegung (z.B. Jürgen Theobaldy) und machen sich für sie stark. Das Verhältnis zum Politischen wird also sowohl unterschiedlich wahrgenommen, als dann auch unterschiedlich bewertet. Demgegenüber wird die Ausrichtung auf das Private stets als wichtiges Merkmal der Literaturströmung genannt. Reich-Ranicki versuchte diesen scheinbaren Widerspruch der Ausrichtung auf das Private bei gleichzeitiger Auseinandersetzung mit dem Politischen aufzulösen:
Nachdrücklich wurde gewarnt vor einem Rückzug aus der Öffentlichkeit, vor dem Weg in die Weltfremdheit, in die Innerlichkeit. […] Indes: Die neue Innerlichkeit bleibt uns erspart. Viel ist den deutschen Schriftstellern dieser Jahre vorzuwerfen, daß sie aber den Weg in die Weltfremdheit, in die Idyllik und in die Sentimentalität gewählt hätten, wird man schwerlich behaupten können. Gewiß, Selbstbeobachtung, Selbsterforschung und Selbstdarstellung sind dominierende Kennzeichen unserer neuen Prosa und unserer neuen Lyrik. Aber Introspektion und Zeitkritik bedingen und beglaubigen sich in diesen Büchern gegenseitig. Das Private, ja das Intime ist zugleich das Öffentliche.
Reich-Ranickis Absage an den Begriff der Innerlichkeit ist in diesem Kontext nachvollziehbar. Wenn man ihm des Weiteren dahingehend folgt, dass Introspektion und Zeitkritik einander bedingen und Privates zugleich Öffentliches ist, wird deutlich, dass diese Literaturströmung eben dadurch politisch wird, dass sie das Private betont. Auch Theobaldy erklärte, dass die Leistung der Strömung genau darin besteht, das Subjekt und sein Leben nicht von der politischen Geschichte abzutrennen, sondern beides erst wirklich miteinander zu verbinden. Eben diese Verbindung wird auch bei der Untersuchung von Reisers Texten zentral sein. Ob nach der Absage an den Begriff der Innerlichkeit dem der Neuen Subjektivität, oder dem der Neuen Sensibilität der Vorzug gegeben werden sollte ist, wie schon mehrfach in der Forschung festgestellt wurde, irrelevant, da diese sich nicht nennenswert unterscheiden. Für die vorliegende Arbeit ist zum Zwecke der Einheitlichkeit jedoch der Begriff der Neuen Subjektivität gewählt worden. Entscheidend sind bei der Auseinandersetzung mit dieser Literaturströmung vielmehr die Merkmale, die inhaltlichen Themensetzung, die zeitliche Verortung und die stilistischen Eigenschaften der zu dieser Strömung gezählten Texte, wie sie im Folgenden ausgeführt werden sollen.
2.2 Eigenschaften
2.2.1 Privates, Politisches und die Erfahrung
Als Grund dafür, dass das Private wieder in den Mittelpunkt der Literatur rückte, wird oft angeführt, dass es in der vorangegangenen Zeit vernachlässigt wurde. Im Zuge der Politisierung der Gesellschaft durch die Studierendenbewegung war gerade in der politisch links ausgerichteten Kultur die Beschäftigung mit dem Menschen als Person hinter eine unpersönliche Perspektive auf denselben als Zoon politikon zurückgetreten.
Die Neue S. artikulierte sich als Unbehagen an gesellschaftstheoretischen Abstraktionen und politischen Aktionismen, die sich gegenüber der Befindlichkeit des einzelnen Subjekts gleichgültig gezeigt hatten. […] [Die Aufwertung persönlicher Belange] ging innerhalb der Protestgeneration einher mit der Wiederaufwertung der »schönen«, wenige Jahre zuvor (im »Kursbuch« 15. November 1968) noch für gesellschaftlich funktionslos erklärten Literatur überhaupt.
Doch konnte genau diese Abwendung von Aktionismen und Abstraktionen und „dieses neue Interesse für [...] Individuelles und Empfindlichkeit auch ein politischer Fortschritt sein, nachdem »links« schon fast ein Synonym für borniert und engstirnig und vergammelt geworden“ war. Bereits 1967 hatte Rudi Dutschke die „subjektive Sensibilität“ als „Basis“ für die „emanzipierende Tätigkeit des Revolutionärs“ propagiert und dennoch waren eine starke Politisierung, sowie Theoretisierung und ein wachsender Dogmatismus in der linken Szene und dadurch auch in Teilen der Literatur eingetreten, die solch subjektive Ansätze ablehnten.
Die Neue Subjektivität wird als Reaktion auf ebensolche Literatur, wie sie z.B. Hans Magnus Enzensberger, Peter Hamm und Peter Rühmkorf vertraten, oder aber als sich parallel entwickelnde Bewegung verstanden. Genaue Datierungen sind auch hier fraglich. In jedem Fall entstand so paradoxerweise durch die Abkehr vom vermeintlich Überpolitisierten bei gleichzeitiger Hinwendung zum Privaten eine neue politische Dimension im Leben und in der Literatur der linken Szene. Das Private war politisch strukturiert worden, doch nun drehte sich die Perspektive um und die politische Dimension des bisher rein Privaten wurde beleuchtet. Gabriele Gockel erinnert daran, dass bereits 1975 Wolfgang Schütte darauf hinwies, dass die Neue Subjektivität als Versuch verstanden werden kann „wider die Verfügungen einer Technokratie der außengesteuerten Sinne ein Widerstandspotential zu erhalten und zu entwickeln, in dem wir unsere Identität finden und […] autonome Selbstbestimmung verwirklichen.“ Beim Versuch, das Politische im Privaten selbst sichtbar zu machen, ohne es von außen zu politisieren, stellte die persönliche Erfahrung der_s Einzelne_n das zentrale Element dar. „Die Aufarbeitung von durch Kollision des Selbst mit der Umwelt produzierten Erlebnisstoffen“ ist dabei der Modus durch den die politische Dimension des Privaten und Alltäglichen erschlossen wird. Dies erklärt auch Theobaldy in „Veränderung der Lyrik“. Für ihn beinhaltet der Bezug auf das Selbsterlebte allerdings noch mehr. Er ist „der Versuch, verlässlicher Überprüfbares zu sagen angesichts der öffentlichen Parolen.“ Auch hierin kann man die Abkehr vom überpolitisierten Diskurs erkennen, dessen Elemente als abstrakt, nicht direkt erfahrbar und somit als nicht authentisch wahrgenommen werden. Stattdessen wurde dem Bericht über das persönlich Erlebte mehr Authentizität zugesprochen, da dies wahrhaftiger sei als politisch intentional vorgeprägte Äußerungen. Darin spiegelt sich eine weitere Tendenz der Neuen Subjektivität wieder. Neben den Bestrebungen, die politische Dimension in scheinbar unpolitischen Sachverhalten aufzuzeigen, wurde auch der Thematisierung des tatsächlich Unpolitischen eine politische Bedeutung beigemessen, da diese sich gegenüber den offensichtlich politisierten Texten abhob. Es war in dieser politischen Zeit also bereits ein Politikum, unpolitische Texte zu verfassen.
2.2.2 Poetologische Konsequenzen
Als poetologische Konsequenz aus diesen Überlegungen zielten Theobaldy und andere Autor_innen darauf ab, „die Differenz zwischen lyrischem Ich und empirischem Ich aufzuheben“ um möglichst direkt von den gemachten Erfahrungen zu berichten und größtmögliche Authentizität zu gewährleisten. Daraus ergab sich ein Schwerpunkt auf autobiografischem Schreiben und Authentizität wurde zu einem Schlüsselbegriff der Neuen Subjektivität. Doch es gab auch Autor_innen, die sich noch weiter vom Rationalismus entfernten. Für Peter Handke war es beispielsweise zentral, Träume, Ängste, alltäglichen Gedanken und Stimmungen in die Texte einfließen zu lassen, ohne dabei direkt ihre politische Dimension aufzeigen zu wollen, oder das tatsächlich selbst Erlebte ins Zentrum zu stellen. Die persönliche Abstraktion löste hier gewissermaßen die politisch-theoretische ab und stellte dadurch für viele Autor_innen und ihre Lesenden eine direktere Verbindung zur Realität her, da sie als authentischer angesehen wurde.
Handke und andere entsprachen damit auch Leslie Fiedlers Thesen, der u.a. forderte, die Grenze „zwischen dem Wunder und dem Wahrscheinlichen, zwischen Wirklichkeit und Mythos, der Welt des Schlafzimmers, der Börse und des Märchenhaften, das so lange beim Wahn siedelte, niederzureißen“. Auch Fiedler richtete sich damit in erster Linie gegen die dogmatische Linke, der er vorhielt, „die natürlichen Feinde des Mythischen und der Leidenschaften, der Phantasie und eines veränderten Bewußtseins“ zu sein. Sein Vortrag „Cross the Border – Close the Gap“, sorgte für die sogenannte „Fiedler-Debatte“ in der mehrere bekannte Autoren in eben jener Zeitschrift auf Fiedlers Thesen antworteten. Bis auf Rolf Dieter Brinkmann, der sich ganz im Sinne Fiedlers für die Pop-Literatur stark machte und erklärte, er hasse alte Dichter, griffen die meisten deutschsprachigen Autoren Fiedler an, da er politisch unzuverlässig (Reinhard Baumgart) sei und nur auf die Vermarktbarkeit ausgerichtete (Jürgen Becker) amerikanische Kultur propagiere, welche die westliche Lebensart verderbe (Martin Walser).
Autor_innen wie Brinkmann jedoch forderten, dass die Literatur sich nicht an den Klassikern wie Homer o.ä., sondern an aktuellen Filmplakaten, täglichen Schlagzeilen, Comics oder Schlagern orientieren solle. Eben darin liege die Möglichkeit zu Politisieren und nicht in Texten, die die alltäglichen Träume und Phantasien der Menschen vernachlässigten. Fiedler hatte erklärt, dass Pop-Art „ihrer Natur nach subversiv“ sei und dass die Grundvorstellungen des Pop „also Western, Science Fiction, Pornographie, […] uns auf mythologische, politische und metapolitische Zusammenhänge“ hinweisen. Auch hier wird also die politische Dimension des scheinbar Unpolitischen betont. Wie bereits erörtert, setzte die Neue Subjektivität an eben diesen Punkten an und hob das scheinbar Triviale und Private sowohl auf Grund seiner inhärenten politischen Dimension, als auch auf Grund seines Eigenwertes hervor. Die Auseinandersetzung mit dem Politischen spielte dabei allerdings gerade in der linken Szene immer wieder eine Rolle. Peter Schneider hat deren Konfrontation mit ihrer eigenen Phantasie, ihren Träumen etc. in seinem „Lenz“, einem für die Neue Subjektivität beispielhaften Text, auf den Punkt gebracht:
Schon seit einiger Zeit konnte er das weise Marxgesicht über seinem Bett nicht mehr ausstehen. Er hatte es schon einmal verkehrt herum aufgehängt. Um den Verstand abtropfen zu lassen, hatte er einem Freund erklärt. Er sah Marx in die Augen: »Was waren deine Träume, alter Besserwisser, nachts meine ich? Warst du eigentlich glücklich?«
Bei der Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld von Privatem und Politischem setzen die unterschiedlichen Autor_innen unterschiedliche Schwerpunkte. So vertraten beispielsweise Handke und Theobaldy deutlich verschiedene Ansätze. Die Gleichsetzung von lyrischem und empirischem Ich und der Ausgangspunkt der persönlichen Erfahrung ist jedoch vielen Autor_innen der Neuen Subjektivität gemein, so z.B. Rolf Dieter Brinkmann, Günter Herburger, F. C. Delius, Nicolas Born, Rolfs Haufs, Roman Ritter, Ludwig Fels und Peter Schneider. Eine direkte sprachliche Konsequenz daraus ist z.B. die Tendenz zum Präsens als Grundtempus, „das die Simultaneität von Schreibprozeß und Gedankeneinfall suggeriert, die Identität von lyrischem und empirischem Ich betont; das Imperfekt als Tempus erinnerter Zeit bleibt auf den realen Jetztpunkt des Ich bezogen.“ Georg Jappe hat überdies weitere Eigenschaften einer am Erlebnis orientierten Literatur benannt:
Mut zu Ich und Inhalt, mit Mut zum Außersprachlichen und zur Abbild- und Evokationsfähigkeit der Sprache, einer lebendigen Hochsprache, die von der Preziosität und Sterilität gleichermaßen entfernt ist wie vom Schablonendeutsch der Schlager und Nachrichten, Plastizität und Musikalität wiederfindend, aber ohne die materialen Genauigkeitserfahrungen der Konkreten Poesie und die observativen der Neuen Empfindsamkeit außer acht zu lassen.
Der „Mut zu Ich und Inhalt“ repräsentiert hierbei Privates und Politisches. Die sprachlichen Schwerpunkte, die Jappe nennt, können als Hinweis auf die in der Neuen Subjektivität verstärkt eingesetzte Umgangssprache verstanden werden, die einen direkten Bezug zur Umwelt darstellt. Die „Evokationsfähigkeit“ kann auf die potentiell übertragene Bedeutung verweisen, die Worte transportieren können. Diese Bezüge werden auch bei der Untersuchung der Texte Reisers wiederzufinden sein. Allgemein werden konkrete sprachlichen Formalia und Stilmittel in der Neuen Sensibilität allerdings eher abgelehnt. Hiltrud Gnüg hat dies lapidar auf den Punkt gebracht: „Zeilenbrechung scheint da noch das einzige Merkmal zu sein, das Lyrik von Prosa unterscheidet.“ Dies war auch durchaus von den Autor_innen intendiert.
Die direkte Mitteilung – angestrebt über den Ausschluß der Metapher, die Öffnung zur Umgangssprache und zum aktuellen Gegenstand – macht das Gedicht zwangsläufig wieder leichter verstehbar und entreißt es somit der Verfügungsgewalt weniger, spezialisierter Interpreten. Man kann dies eine Demokratisierung des Gedichts nennen.
Theobaldys Demokratisierung des Gedichts zielt darauf ab einer breiteren Öffentlichkeit Zugang zu Lyrik zu verschaffen, indem ihre Komplexität zu Gunsten eines direkten Bezugs auf die Erfahrungen der_des empirischen Autors_Autorin aufgegeben wird. Dies ähnelt den Motiven Brinkmanns oder Fiedlers. Die Versimplifizierung entsprach zudem allgemeinen zeitgenössischen kulturellen Tendenzen, die u.a. aus der sich von Normen und Formalia abgrenzenden Hippiekultur stammten. Neben diesen formalen Eigenschaften hat Volker Hage zudem folgende thematischen Schwerpunkte der Neuen Subjektivität ausgemacht, von denen sich ebenfalls fast alle bei Reiser wiederfinden lassen: Erinnerung an die Revolte, Abrechnung mit den Vätern, Überwachungsstaat, Autobiografisches, Beziehungsprobleme, Frauenliteratur und die Arbeitswelt.
3. Ton Steine Scherben
3.1 Umfeld und Entwicklung
Zum besseren Verständnis der Band und ihrer Texte soll im Folgenden ein kurzer Abriss Einblick in ihre Entstehungsgeschichte, ihre Entwicklung und ihr Selbstverständnis geben und Bezugspunkte für die Analyse der einzelnen Songs herausstellen.
1969, im Westen Berlins / Und der Himmel hängt voller Bücher […] Die Studenten essen täglich Marx und Lenin, und die glücklich heimgekehrten Indienfahrer können ihr Pfeifchen nicht lassen und trommeln in den Fabriketagen ohne Meldeschein ihr SEIN zur Disposition. Wer nicht in einer Kommune 1-500 eine Matratze sein eigen nennt, hat ein für alle Mal die Welt verpennt. Dem sensiblen Künstler steckt noch der Schock seiner verspäteten Bewußtseinsfindung in den Knochen, und so lässt man sich von der jungen Garde erst einmal entkalken und moralisch ein neues Styling auf den Leib schneidern. Der Zierrad in ihrer Leibnitzstraßen-Wohnung wird entweiht und der Kafka nach ganz weit oben kaltgestellt. Heiße Geistesnahrung vom Politischen Buch darf nun rein zufällig auf dem geerbten Biedermeiertisch herumliegen. Und die Fenster werden erst einmal nicht mehr geputzt.
So beschreibt Gert Möbius die Westberliner Gegenkultur in der Entstehungszeit der Band. Der kritische Ton ist unverkennbar, obwohl der Autor, genau wie seine Kolleg_innen, ebenso zu der Gegenkultur gezählt werden können, die hier beschrieben wird. Doch das Spektrum der linken Szene der Siebzigerjahre in West-Berlin war breit und in vielen Punkten uneins. Es reichte von RAF-Beteiligten über die Kommunard_innen der Kommune 1 und die sich ausdehnende Drogenszene um die „umherschweifenden Haschrebellen“ bis hin zur Studentenbewegung und den sich daraus entwickelnden Neuen Sozialen Bewegungen. „Wir gehörten eigentlich nirgendwo hin. Weder in die Polit-, noch in die reine Künstler-Kultur-Ecke. Ich selbst fühlte mich höchstens zu den Drogenleuten wie Hannibal oder Happy-Dieter [„umherschweifende Haschrebellen“] hingezogen. Nicht zu den Studenten“, schreibt Reiser später, oder: „Die Linken hier, die stinken mir.“ Er erkannte zwar das Engagement der Studierenden an und erklärte, ähnliche Ansichten zu haben, lehnte deren Intellektualismus und Dogmatismus aber strikt ab.
Eine Unterscheidung Detlef Siegfrieds zu den unterschiedlichen Fraktionen der Gegenkultur veranschaulicht die Stellung der Scherben. Siegfried beschreibt die westdeutsche Gegenkultur als Mischung aus überwiegend zwei Lagern: einem emotionalen, eher der Musik-, Drogen und Gewaltkultur zugewandten Teil auf der einen, einem rationalistischen Lager auf der anderen Seite, welches eher studentisch und theoretisch-politisch geprägt war.
Reiser und seine Kolleg_innen sahen sich zwar als Teil der Gegenkultur, wollten sich aber auf keine politische Linie festlegen lassen, was ihnen letztlich viel Kritik aus ebendieser Szene einbrachte. 1970 gründeten Rio Reiser, R.P.S. Lanrue, Wolfgang Seidel und Kai Sichtermann die Band Ton Steine Scherben als Nachfolge des Hoffmanns Comic Teaters (H.C.T.), welche eine (Straßen-)Theatergruppe gewesen war, die Alltagssituationen in Betrieben auf die Bühne brachte und anschließend das Publikum animierte, ihre eigenen Erfahrungen selbst zu spielen. Beim Theater hatten sie sowohl als Schauspieler, als auch als Musiker fungiert. „Zu Beginn ihrer Karriere als Theaterband hatten die Songs die Aufgabe, eine Art Zusammenfassung der gespielten Szenen dem Publikum, vor allem Schüler und Lehrlinge, nahezubringen. Dazu mussten die Texte in deutscher, zudem eher in plakativer als in komplizierter Sprache sein.“ Die ersten Songs von Ton Steine Scherben stammten noch aus dem Repertoire der Theaterstücke. Diese Songs machten die Band in der ganzen BRD bekannt.
3.2 Selbstverständnis & Lebensweise
3.2.1 Die Band-Kommune in West-Berlin
Der Name Ton Steine Scherben wurde „zum Synonym für die nur in dieser Zeit gültige Verbindung von Musik und Politik; vor allem deswegen, weil alles gelebt und erlebt war. Die Scherben waren keine Band, sondern ein Lebensgefühl.“ Diese besondere Wirkung entstand durch die Kombination aus Texten, Musik, Auftreten und v.a. der authentisch verkörperten Lebensweise der Band. Diese Aspekte hingen eng mit einander zusammen und beeinflussten einander maßgeblich, sodass keiner für sich allein betrachtet werden kann. Wie bereits zitiert erläuterte Löding in Anlehnung an Baßler, dass Musik, Text, Auftreten, etc. einer Band sich gegenseitig beeinflussen und dadurch den Interpretationsspielraum eines Popsongs stark prägen. Bei Ton Steine Scherben spielt die Lebensweise und das damit verbundene Selbstbild der Band eine mindestens ebenso wichtige Rolle, da diese die öffentliche Wahrnehmung der Band und ihrer Texte essentiell beeinflussten. V.a. Lebensweise und Selbstbild werden deshalb im Folgenden nachgezeichnet um dadurch die für die Songtextanalyse notwendige Kontextualisierung zu ermöglichen. Die Band selbst hat sich wie folgt beschrieben:
Wie wir leben.
Von uns sechs Scherben arbeitet niemand mehr unter einem Chef. Und wenn wir das jemals wieder tun sollten, dann nur, um im Betrieb Putz zu machen. Wir leben zusammen, kochen zusammen, machen zusammen Musik, heften die Platteneinbände zusammen, machen zusammen den Vertrieb. Es gibt keinen Monatslohn. Wer Geld braucht, nimmt es sich und sagt es den anderen. Wenn es Probleme gibt, kann jeder ‘ne Vollversammlung verlangen, auf der wir so lange reden oder uns anschrein, bis alle das Problem sehn (Unterdrückung, kaputte Fickgeschichten, Unverständnis, Eifersucht, Größenwahn, Lieblosigkeit). Weil jeder weiß, dass ein ungelöstes Problem alle runterbringen kann, versucht meistens jeder, seinen Teil zur Lösung zu tun. Wir sind in keiner Partei und wir wollen auch in keine.
Das gemeinsame Leben bezog sich hierbei ganz konkret aufs Zusammenwohnen, worauf v.a. Reiser bestand. Wer in der Band spielen wollte, musste mit ihr zusammenwohnen. Umgekehrt spielte auch jede_r Mitbewohner_in automatisch in der Band mit, was v.a. nach der Erweiterung der Wohngemeinschaft um eine zweite 8-Zimmer-Altbauwohnung am Tempelhofer Ufer in Kreuzberg zu einer erheblichen Anzahl an Musiker_innen führte. Weitere Besonderheiten dieser Band-Kommune waren z.B. die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, die in der linken Szene der Zeit nicht üblich war.
Ebenso stellt die Selbstorganisation der Band eine Besonderheit dar, da die einzelnen Mitglieder sogenannte Ministerien übernahmen um das Zusammenleben und -arbeiten zu organisieren. Zu diesen gehörten neben Essen, Musik, oder Vertrieb auch das PSI-Ministerium für den richtigen Einfall zur richtigen Zeit am richtigen Ort, welches der Gitarrist Lanrue inne hatte, oder das Ministerium für Astrologie. Diese Organisationsform funktionierte allerdings eher schlecht als recht, jedenfalls hatten die Musiker_innen meistens so wenig Geld, dass sie Lebensmittel stahlen um sich und die oft zeitweise bei sich beherbergten frustrierten Lehrlinge, oder Jugendlichen, welche meist aus ihrem Elternhaus fortgelaufen waren, zu versorgen. Die Aufnahme dieser Jugendlichen führte allerdings zum Bruch mit den Hausbesetzer_innen des Georg-von-Rauch-Hauses, an deren Regeln sich die Jugendlichen nicht hatten halten wollen. In der Band-Kommune gab es bis auf die oben zitierten, so gut wie keine Regeln und so kamen diese Jugendlichen hier unter, was die Hausbesetzer_innen so sehr verärgerte, dass die Band, die maßgeblich zu der Besetzung des Hauses und dessen deutschlandweiter Bekanntheit beigetragen hatte, dort nicht mehr erwünscht war. Dieser und viele weitere Brüche trennten die Band im Laufe der Zeit immer mehr von der linken Szene in West-Berlin. Die politische, aber nicht parteiische, oder sonst ideell festgelegte Ausrichtung der Band, die in dem soeben zitierten Text klar ersichtlich wird, war eine weitere Konfliktlinie, genau wie die Gage bei den Konzerten. Die Bandmitglieder verstanden sich in erster Linie als Musiker_innen, die einen politischen Lebensstil pflegten, nicht als Politiker_innen, die Musik machten. So begründeten sie auch ihre ablehnende Haltung gegenüber den gewaltbereiten Teilen der linken Szene, wie beispielsweise der RAF. Reiser und Lanrue brachten dies auf den Punkt: „Rockmusiker wird man schließlich weil man in die Hitparade will und nicht in den Knast.“ Gewalt gegen Dinge befürworteten sie zwar, Gewalt gegen Menschen jedoch nicht: „Gitarre statt Knarre eben.“
3.2.2 Authentizitäts- und Unabhängigkeitsanspruch
Zu den wenigen festen Grundsätzen der Gruppe zählten Unabhängigkeit, Authentizität und politisches Interesse unter Ablehnung aller Dogmen, womit sie ziemlich genau der sogenannten „Ideologie des Rock“ entsprach.
It was a kind of teen code, almost a sign language that would make rock entirely incomprehensible to adults. In other words, if you weren’t sure about rock, you couldn’t cling to its lyrics. You either had to accept its noise at face value or you had to drop out completely. Aus diesem Zitat wird eine Sprechweise des Rocksongs offensichtlich, die im Zusammenspiel von Text, Musik und Aufführung entsteht und die als »Rockideologie« (Büttner ) oder »Ideologie des Rock« (Wicke ) bezeichnet werden kann. Sie entsteht vornehmlich durch die Behauptung (nicht Faktizität!) von Ehrlichkeit, Integrität und Authentizität der ausführenden Künstler.
Das Zusammenspiel von Text, Musik und Aufführung ist, wie bereits herausgestellt, für jede Art von Pop- oder Rocksong wesentlich. Die Behauptung der Authentizität ist jedoch ein explizit rocktypisches Phänomen, welches sich auch bei Ton Steine Scherben wiederfindet:
Wir waren für unsere Maßstäbe wirklich völlig unabhängig und authentisch. Das musste auch so sein, sonst hätte die Schwingung in der Band nicht stimmen können. Dann kannst du es gleich lassen. Wir wussten genau, was wir machten. Wir wussten nicht, was dabei herauskommt, aber wir wussten schon, wo es hingehen sollte.
Bei Ton Steine Scherben blieb die Authentizität allerdings kein Lippenbekenntnis. Die Band wollte sich auch von der Plattenindustrie unabhängig machen und gründete ihr eigenes Label, die David Volksmund Produktion. Ohne Werbung und trotz bundesweiten Rundfunk- und Fernsehboykotts verkauften sie bis Anfang der 80er Jahre 350 000 Platten. Diese Unabhängigkeit brachte ihnen aber auch große finanzielle Schwierigkeiten und letztlich eine Schuldenlast, die von der Band nicht mehr getilgt werden konnte und die mit ein Grund für ihre Auflösung war. Anfang der Siebzigerjahre jedoch war diese gelebte Absage an jedwede Kommerzialisierung wesentlicher Bestandteil des Selbstbildes der Band und des Lebensgefühls, welches die Band verkörperte und durch welches sie erfolgreich wurde. Damit verbunden waren klar formulierte, aber dennoch allgemein gehaltene politische Ziele, wie sie bereits eingangs zitiert wurden.
Wir wollen mit der Musik, die wir machen, die Menschen davon überzeugen, dass sich alle Menschen von ihren Unterdrückern befreien müssen. Und ich glaube, dass die Musik dabei einen wichtigen Faktor spielen kann. […] Weil man mit der Musik Sätze populär machen kann. Wir wollen Volkslieder machen. Und Volkslieder können ein revolutionäres Moment sein.
Neben solchen allgemeinen Aussagen handelte die Band v.a. nach ihren Konzerten allerdings oft sehr konkret und machte sich schnell einen Namen als treibende Kraft in der Hausbesetzerszene. Zu den bekanntesten Aktionen gehört die bereits erwähnte Besetzung des ehemaligen Diakonissen-Krankenhauses Bethanien 1970 in Kreuzberg (später „Georg-von-Rauch-Haus“), welche im Rauch-Haus-Song besungen wird. Die Band befürwortete nicht nur alle derartigen politischen Aktionen, sie nahm gerade in ihrer frühen Phase auch aktiv an ihnen Teil, was einen wesentlichen Aspekt in ihrem Selbstverständnis ausmachte und v.a. nach außen ein besonderes Maß an Authentizität vermittelte. Die Band wollte die linke Szene vereinen, doch die Brüche in derselben und zwischen ihr und der Band wurden im Laufe der Zeit immer größer. Dogmatische Grabenkämpfe, oder Ausdifferenzierungen in K-Gruppen etc., welche die linke Szene schließlich zersetzen sollten, lehnte die Band bereits frühzeitig ab und versuchte dies direkt zu verkörpern. Z.B. darin, dass „bei uns keine Distanz zum Publikum bestand. Deswegen haben wir uns eine Zeit lang geweigert, auf der Bühne zu spielen. Wir wollten uns nicht künstlich erhöhen.“ Diese Nähe zum Publikum war auch Ausdruck der Bedeutung, welche die Band ihrer Authentizität, bzw. der nicht nur propagierten, sondern selbst praktizierten Lebensweise beimaß. Sie entsprach zudem direkt ihrer musikalischen Ausrichtung. Zu Beginn der Siebzigerjahre, als die Rockmusik noch nahezu gänzlich neu in der Bundesrepublik war, galt dieselbe als die authentischere Musikform, welche sich von der deutschen Musiklandschaft, die trotz der amerikanischen Einflüsse wie Jazz, Rock‘n‘Roll etc. immernoch hauptsächlich von professionell produzierten Schlagern geprägt war, deutlich unterschied. Frank Zappa, einer der Urväter des Rock, beschreibt dies so:
Wenn man einen einzelnen, wenn man den wichtigsten Trend dieser Musik benennen will, dann muß man es, glaube ich, etwa so sagen: Sie ist echt, von den Leuten komponiert, die sie auch spielen, von ihnen geschaffen, [...] so daß es wirklich ein kreativer Akt ist, und nicht ein Haufen Scheiße, zusammengeklatscht von Geschäftemachern.
Löding kommt in seinen Untersuchungen zu einem ähnlichen Ergebnis, drückt sich dabei aber etwas gewählter aus:
Literaturwissenschaftlich gesprochen stellt der Rocksong [...] eine Songform dar, die ein hohes Maß an Subjektivität, Emotionalität und hörerbindender Identifikation enthält. Diese ist eng gebunden an die Vermittlerfigur des Sängers. […] Jetzt kann betont werden, dass ein generelles Charakteristikum des Rock die besonders subjektive Perspektive der Weltdarstellung ist, die durch die »Ideologie des Rock«, seine »Ehrlichkeit«, »Glaubwürdigkeit« und »Authentizität« erzeugt wird. Festzuhalten ist, dass es generell im Rocksong weniger um eine objektive Weltdarstellung geht, als vielmehr um die Darbietung einer authentischen subjektiven Wahrnehmung. Insbesondere hinsichtlich politischer Songs ist dies von zentraler Bedeutung: Geht es im Falle einer objektiven Gesellschaftsanalyse (beispielsweise einer politischen Streitschrift) um die Wahrhaftigkeit und Korrektheit der Aussage, geht es im Rock um die wahrhafte und korrekte Wiedergabe der Spiegelung der Politik im Subjekt.
Die Spiegelung der Politik im Subjekt anstelle von objektiven Gesellschaftsanalysen entspricht genau der These, die in der Neuen Subjektivität vertreten wurde. Die politische Dimension des Privaten wurde also nicht nur von den Literat_innen, sondern auch von den Songpoet_innen erschlossen. Wie dies im Fall von Ton Steine Scherben umgesetzt wird zeigt die Songtextanalyse. Das große Maß an Authentizität der Band und die vielen Identifikationsmöglichkeiten mit dem lyrischen Ich können allerdings schnell zu der bereits angesprochenen Gleichsetzung von lyrischem und empirischem Ich führen, die bei der Pop- und Rocksonganalyse stets überprüft werden muss. Bei Ton Steine Scherben wurde diese allerdings oftmals direkt intendiert, was ebenfalls an die Intentionen der Autor_innen der Neuen Subjektivität erinnert. So schrieb die Band beispielsweise in einer ihrer Veröffentlichungen über Nikel Pallat, den Saxophonisten, Manager und zweiten Sänger und Texter der Band: „Nikel ist Paul Panzer.“ Dies entspricht wiederum dem auch in der Neuen Subjektivität angestrebten Ziel der Gleichsetzung von lyrischem und empirischem Ich. Wie und welche Identifikationsmöglichkeiten die Texte im Einzelnen anbieten, wird in der Songtextanalyse konkret untersucht.
3.2.3 Künstlerisches Arbeiten
Unter dem Titel „Musik ist eine Waffe“ veröffentlichte die Band 1972 eine Art Manifest ihres politisch-musikalischen Arbeitens. Die Wurzeln des H.C.T. sind darin noch deutlich erkennbar.
Musik ist eine Waffe! / Musik kann zur gemeinsamen Waffe werden, wenn du auf der Seite der Leute stehst, für die du Musik machst! / Wenn du mit deinen Texten etwas sagst und eine Situation nennst, die zwar alle kennen, die aber jeder vereinzelt in sich hineingefressen hat, dann werden alle hören, daß sie, nicht die einzigen sind, die damit noch nicht fertig geworden sind und du kannst ihnen eine Möglichkeit zu Veränderung zeigen. / Musik kann also zur Waffe werden, wenn du mit ihr die Ursachen deiner Agressionen (sic!) erkennst. Wir wollen, daß du deine Wut nicht verinnerlichst, daß du dir darüber klar wirst, woher deine Unzufriedenheit und deine Verzweiflung kommen. / Wir wollen die Feinde des Volkes nennen. »Macht kaputt, was euch kaputt macht – zerstört das System, das euch zerstört!« Unsere Musik soll ein Gefühl der Stärke vermitteln. Unser Publikum sind Leute unserer Generation: Lehrlinge, Rocker, Jungarbeiter, »Kriminelle«, Leute in und aus Heimen. Von ihrer Situation handeln unsere Songs. Lieder sind zum Mitsingen da. / Ein Lied hat Schlagkraft, wenn es viele Leute singen können. Unsere Lieder sind einfach, damit viele sie mitsingen können. / Wir brauchen keine Ästhetik; unsere Ästhetik ist die politische Effektivität. Unser Publikum ist der Maßstab und nie irgendwelche ausgeflippten Dichter. / Von unserem Publikum haben wir gelernt Lieder zu machen, nur von ihnen können wir in Zukunft lernen, Lieder für das Volk zu schreiben. / Wir sind in keiner Partei und in keiner Fraktion. Wir unterstützen jede Aktion, die dem Klassenkampf dient. Egal, von welcher Gruppe sie geplant ist. / Wir werden in Berlin und Westdeutschland vor und in Betrieben und in den Jugendheimen der Arbeiterviertel spielen. Dazu zeigen wir Dias, die eine Ergänzung zur Musik und zum Text bilden. / Das Ziel ist es, unsere Aktionen den jeweiligen Situationen in den Betrieben oder Stadtteilen anzupassen, / Dazu brauchen wir die Unterstützung der dort arbeitenden Gruppen.
Obwohl die Band hier jede „Ästhetik“ ablehnt artikuliert sie doch ein recht eindeutiges künstlerisches Konzept. Ihre Musik soll zur „gemeinsamen Waffe“ werden, indem sie sich mit ihren Rezipient_innen, die sie v.a. unter den Jugendlichen, Jungarbeiter_innen etc. verorten, identifizieren und solidarisieren. Dies soll zum einen durch die einfache, zum Mitsingen animierende Sprache geschehen, was die parolenartigen Refrains und die vielen Wiederholungen in den Texten erklärt. Zum anderen soll dies dadurch geschehen, dass sie in ihren Texten problematische Situationen benennen, die den Rezipient_innen bekannt sind. Diese sollen dadurch wiederum erkennen können, dass sie nicht die Einzigen sind, die an dieser Problematik leiden, sondern dass die Band und die anderen Rezipient_innen die gleichen Probleme haben.
Des Weiteren möchte die Band Auswege und Lösungen aufzeigen und so allgemein Optimismus verbreiten, der sich aus eben diesem Bewusstsein der Gemeinschaft ableitet. Statt an den Einzelsituationen zu verzweifeln und deren Symptome zu bekämpfen, sollen die Rezipient_innen erkennen, woher diese Probleme rühren und deren Ursachen gemeinsam angehen. Die genauen Ursachen nennt die Band allerdings nicht. Auch bleibt es bei der Absichtserklärung, die „Feinde des Volkes“ zu nennen und wird nicht konkreter. Ebenso wenig legt sich die Band auf eine konkrete politische Linie fest und unterstützt statt dessen „jede Aktion, die dem Klassenkampf dient.“ Dabei ist das Datum der Veröffentlichung des Textes relevant, da er im Juli 1972 erschien und die Rote Armee Fraktion (RAF) im Mai die sogenannte Mai-Offensive mit Bombenanschlägen auf das Hauptquartier der US-Armee in Frankfurt am Main, das Axel-Springer-Gebäude in Hamburg und mehrere andere Gebäude im gesamten Bundesgebiet durchführte. Eine implizite Nähe zur gewaltbereiten Linken kann der Band zu diesem Zeitpunkt also durchaus unterstellt werden, auch wenn sie sich nicht explizit auf die RAF bezieht und sie sich selbst von gewalttätigen Aktionen abgrenzte, indem sie Musik zu ihrer Waffe erklärte. Durch diese Positionierung blieb die Band anfangs zu allen Teilen der Gegenkultur und der gesamten linken Szene kompatibel, auch wenn genau diese Unverbindlichkeit die einzelnen Fraktionen später gegen sie aufbrachte.
Außerdem wird in diesem Text deutlich, dass in der frühen Phase der Band die musikalische Qualität hintangestellt wurde, während die politische Aussage Vorrang hatte. Das kompositorische Arbeiten, bzw. das Musik-Ministerium, war lange Zeit klar Rio Reiser und Lanrue vorbehalten. Doch zu der Beteiligung aller Bewohner_innen der Band-Kommune an den Auftritten kam noch die Einbindung der Hausbesetzer_innen bei den Aufnahmen, so z.B. bei den Aufnahmen vom Rauch-Haus-Song, Mensch Meier und von Allein machen sie dich ein. Die Texte schrieb allerdings großteils Rio Reiser. Dazu verwandte er jedoch oft mitgeschriebene Gesprächsfetzen aus den Plena oder dem geselligen Beisammensein seiner Freunde und Kolleg_innen. Diese Arbeitsweise trug natürlich ebenfalls zur Authentizität der Texte bei und bot den Rezipient_innen Identifikationsmöglichkeiten. Sie erinnert zudem an die von der Neuen Subjektivität oder auch der Literatur der Arbeitswelt propagierten Methoden, wie z.B. die des autobiografischen Schreibens. Weitere Eigenheiten des künstlerischen Arbeitens lassen sich direkt an den Texten aufzeigen.
3.3 Eigenschaften, Einflüsse und Effekte der Texte
Musikalisch spielten die Musiker der Band
in der Tradition der Rolling Stones, Kinks und Who und machten einfachen, aber aggressiven Rock, mit schneidenden Gitarrenriffs und einer hypnotisch nach vorne treibenden Rhythmusgruppe. Außerdem hatten sie einen gewissen Hang zu Mollakkorden, die den scherbensongs etwas Verzweifeltes und Schmerzvolles verliehen.
David Robb erklärte zu ihrem Klang Folgendes: „A dystopian darkness emanates from the sound, not atypical of West Berlin rock groups of the 1970s and 1980s.“ Gerade dieser Sound und nicht „vorrangig der Text [...] begründet ihre soziale Bildungs- und Mobilisierungsfunktion.“ Er repräsentiert die bereits erörterte Funktion der Musik im Bedeutungszusammenhang mit anderen Aspekten, wie z.B. Auftreten etc., wodurch ein gesamtes Lebensgefühl ausgedrückt wurde. Die Musik der Band setzte somit ihre kulturellen und politischen Einstellungen sowohl durch ihre Texte, als auch durch ihren Klang und auch schon allein dadurch um, dass diese durch die Band bewusst vorgelebt und durch ihr Auftreten, ihre Organisationsform etc. ausgedrückt wurden. Florian Kreier erklärt diesbezüglich Folgendes: „Durch die emotionale Verknüpfung ihrer kulturellen und politischen Vorstellungen in der Musik erhält diese politischen Charakter – selbst wenn sie offensichtlich keine explizit politischen Aussagen tätigt. Umso mehr trifft diese politische Wirkung natürlich in der Kombination mit politischen Aussagen zu.“ Kreier hat auch hinsichtlich der textlichen Schwerpunkte einige interessante Aspekte herausgearbeitet:
[So] sind die zentralen Themen eher unkonkrete Begriffe wie etwa Freiheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit. In einigen Texten finden sich Verweise auf Marxismus und Anarchismus, jedoch auch in den schriftlichen Stellungnahmen der Band oder in Interviews werden die Verweise nicht vertieft. Es besteht sogar Grund zur Annahme, dass die Bandmitglieder nicht sonderlich interessiert waren an Theorie [...]. Der politische oder sozialkritische Gehalt der Texte entfaltet sich eher über Bilder oder Situationen, in diesen kommt die radikal-politische Absicht der Scherben zum Ausdruck: die Befreiung aller Unterdrückten. Im Grunde findet sich in den Äußerungen der Scherben an keiner Stelle eine explizit theoretisch-politische Ebene, auch ihre Sympathie für Anarchismus wird niemals konkret und könnte ebenso gut als Provokation gegenüber marxistisch-theoretisch ausgerichteten Gruppen ausgelegt werden. Eine Gesellschaft aus Freien und Gleichen, die Schnittmenge zwischen Anarchismus und Basisdemokratie, dürfte am ehesten ihren Vorstellungen entsprochen haben.
Der Aspekt der Provokation war sicherlich ein nicht unwesentlicher Bestandteil der Intention der Band. Dies findet man auch in der Gestaltung der Texte: „Viele Textpassagen verwischen zwischen Kunst und Politik oder Spaß und Ernst, bedienen sich dabei jedoch lediglich dem für Künstler legitimen Mittel der Provokation.“ Der Effekt, den diese provokative, teils ironische, meist politische, aber nur selten konkrete und dabei immer auch das Private ansprechende Art zu Texten hatte, war, dass die Hörer_innen angeregt wurden sich selbst mit den Themen auseinanderzusetzen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Die Kombination aus privaten und politischen Aspekten führte dazu, dass sich die Hörer_innen einerseits direkt angesprochen fühlten und sich identifizieren konnten, sie andererseits aber auch ihre eigene Situation als durch den Kontext der Gesellschaft bedingt erkannten.
Durch die Darstellung ihrer Inhalte regten sie Zuhörer an, sich auf individueller und kollektiver Ebene mit ihrer Situation zu beschäftigen und motivierten sie auch, daraus praktische Schlüsse zu ziehen – gewissermaßen eine Kombination aus politischer Willensbildung und Förderung der Teilnahme am öffentlichen Leben. Außerdem vermittelten sie durch ihre vereinfachten Darstellungen politische Inhalte für ihre Klientel der unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen, womit sie eine Teilnahme am politischen Diskurs dieser Gruppen erst ermöglichten. Gleichzeitig vermittelten die Scherben die Komplexe Situation ihrer Klientel an Zuhörer anderer Bevölkerungsgruppen.
Individuum und Kollektiv, Privates und Politisches sind abermals die Schlüsselelemente. Hier werden sie verbunden, um nicht in erster Linie politische, aber doch politisierende Ziele zu erreichen. Dazu wird der Fokus weiter Teile der linken Szene allerdings umgekehrt. Keine dogmatische Ideologie wird erläutert und vertreten um von ihr aus das Private politisch zu strukturieren, sondern Alltagssituationen werden dargestellt, um von ihnen ausgehend politische Kontexte und die Lebensumstände der Arbeiter_innen aufzuzeigen. Abermals erinnert dies an die Tendenzen der Neuen Subjektivität und der Literatur der Arbeitswelt. Allerdings wird bei Ton Steine Scherben direkt eine Lösung der thematisierten Probleme vorgeschlagen:
Zur Durchsetzung der Befreiung wird das Kollektiv beschworen, denn nur gemeinsam lässt sich der Weg aus der Unterdrückung bestreiten. Das Individuum steht dabei meistens im Zentrum, wobei dabei die berühmte Maßgabe der gegenkulturellen Bewegung – Privates und Politisches zu verbinden – im Gegensatz zu Studentenprotest und Splitterparteien umgekehrt wird: Nicht die großen Strukturen sollen verändert werden, sondern die kleinen. Dieses eher unkonkrete Programm der Scherben erinnert eigentlich eher an religiöse oder ästhetische Lebensreformbewegungen, was angesichts Reisers Einflüsse und seiner theoriefeindlichen Grundhaltung, sowie der allgemeinen Ablehnung von Hierarchien nicht wirklich verwunderlich ist.
Zu Reisers Einflüssen gehörte an wesentlicher Stelle tatsächlich das Christentum, auch wenn das in der gegenkulturellen Szene natürlich schlecht angesehen war. Dennoch finden sich immer wieder religiöse Bezüge, oder direkte Bibelzitate in den Texten. So ist die Wiederauferstehung beispielsweise in Steig ein, oder Land in Sicht Thema und auch musikalisch wurden religiöse Anleihen genommen. So z.B. bei Der Traum ist aus.
In diesem Song werden mindestens zwei musikalische Zitate gemacht. Zum einem am Beginn des Instrumentalteils bei Minute zwei, welches die Melodie des Weihnachtsliedes mit dem Titel »Als ich bei meinen Schafen wacht« von Carl Orff ist. Es endet mit dem lateinischen »Benedicamus domino« [Wir wollen den Herrn loben]. Das Lied war zur Entstehungszeit von »Der Traum ist aus« relativ neu und wurde vor allem von progressiven Lehrern verbreitet. Das Ende war ein Ohrwurm. Das zweite Musikzitat ist am Ende des Songs ca. bei Minute neun, wo kurz der Song »Tochter Zion, freue Dich« aus dem Evangelischen Gesangsbuch nachgespielt wird.
Auch das Stück Wie in den Tagen Midians ist „durchsetzt von Bibelanspielungen. Der Text selbst ist wörtlich aus der Luther-Übersetzung der Bibel entnommen aus der Stelle Jesaja Kapitel 9,4.“ Solch religiöse Elemente traten jedoch zum Großteil erst in den späteren Songs deutlich erkennbar hervor. Neben anspruchsvolleren Verweisen, wie den eben erwähnten, waren Reiser die popkulturellen und alltäglichen Inhalte jedoch schon immer mindestens ebenso wichtig. So gibt es beispielsweise auf jedem Album einen Song, der auf einen Roman von Karl May zurückgeht. Außerdem war Reiser begeisterter „Bravo“-Leser und zwang z.T. auch seine Bandkolleg_innen zur Lektüre, um die Verbindung zum Zielpublikum von Lehrlingen und Schüler_innen nicht zu verlieren. Diese popkulturellen Ansatzpunkte stärkten die Verbindung zu den jugendlichen Rezipient_innen und sorgten dafür, dass auch eher unpolitische Jugendliche Zugang zur Musik fanden. Sie erinnern zudem deutlich an die bereits erörterten Thesen Brinkmanns und Fiedlers, die erklärt hatten, dass gerade derartige Inhalte die Möglichkeit zur Politisierung bieten würden. Die idealistische und v.a. oft unkonkrete Formulierung der Texte erleichterte es den Rezipient_innen neben den derartig adressat_innenorientierten Ansatzpunkten zusätzlich, Zugang zu den politischen Forderungen finden. Für die linke Szene
ließen [die Texte] gerade durch ihre unkonkrete Weise nahezu allen Splittergruppen genug Interpretations-Spielraum, um ihre eigenen Interessen darin vertreten zu sehen. […] Die einzelnen Splittergruppen der Gegenkultur und ihre eigenen Vorstellungen von politischer Arbeit oder Widerstand stellten zunehmend Ansprüche an die Band bezüglich ihrer Aussagen und Lebensweisen, worunter Ton Steine Scherben schließlich zerbrachen.
3.4 Von West-Berlin nach Fresenhagen
Der Ruf der Band als Hausbesetzerband, die nach ihren Konzerten überall in der Bundesrepublik dazu aufrief, leerstehende Häuser zu besetzen und sich selbst daran beteiligte, führte dazu, dass die unterschiedlichsten linken Organisationen sich ihrer bedienen wollten.
Wir kamen uns vor wie eine Musikbox. Die lebende Legende der »Scherben«, einer Band, die im kleinsten Ort noch eine Revolution anzettelte. Das machte uns kaputt. Wir sahen, wie unser Publikum sich in Zuschauer verwandelte, die zugucken wollten, wie wir ihre Kleinstadt auf Trab bringen. Das hatten wir nicht zu bieten. In Schwäbisch Gmünd war Ende. Mitten im Konzert, mitten im Song »Schritt für Schritt ins Paradies«, brachen wir ab. Als ob wir‘s verabredet hätten. Ich sagte: »Leute, tut uns leid, aber ich glaube, es ist besser, wenn wir jetzt aufhör‘n. Wir machen da was, an das wir im Augenblick nicht glauben. Vielleicht könnt ihr das versteh‘n, vielleicht auch nicht.«
So beschreibt Reiser selbst den Bruch, der sich 1974 zwischen der Band und ihrem Publikum vollzog, das nun eben doch zur Zuhörer_innenschar geworden war, wodurch die Trennung zwischen Musiker_innen und Rezipient_innen die Band eingeholt hatte. Die zunehmende Instrumentalisierung der Band als Anheizer für Hausbesetzungen etc. verunmöglichte es ihr weiterhin authentisch zu bleiben, was jedoch ein essentieller Bestandteil ihres Selbstbildes war. Außerdem sollte die Band oftmals ohne Gage spielen, da die Einnahmen der Konzerte i.d.R. politischen Zwecken zugedacht waren. Dass die Musiker_innen dadurch ihrer Lebensgrundlage beraubt wurden, wollten viele Veranstalter_innen der linken Szene nicht verstehen. Dazu kam, dass das Lebenskonzept der Band in West-Berlin ebenfalls an seine Grenzen stieß. Lanrue beschrieb die Situation der Band-Kommune später folgendermaßen:
In Berlin hat es nicht mehr funktioniert. Bei uns am Tempelhofer Ufer war immer »Tag der offenen Tür«. Ein unentwegtes Kommen und Gehen. Irgendwann hält man das nicht mehr aus. Wir wollten nicht mehr permanent auf dem Tablett serviert werden. Ein Beispiel: Wir kommen von der Tournee zurück, und bei uns zu Hause ist gerade eine Schulklasse zu Besuch. Da fragt dann ein Schüler: »Was machst du in der Badewanne?«, und man antwortet: »Entschuldigung, ich wohne hier.« Durch Fresenhagen sind wir vom »Wir« zum »Ich« gelangt.
Ein weiteres Problem war, dass die Band in einigen ihrer politischen Einstellungen und v.a. in ihrem Auftreten nicht der Kadermentalität vieler Linker entsprach. Reiser beschreibt die sich daran entzündenden Konflikte beispielhaft wie folgt:
Wir […] hatten das trostlose Audimax der TU mit Bäumen und Blumen bemalt, links und rechts der »Bühne« Vegas‘ Kunstpalmen aufgestellt, uns bunt angezogen und am Schluss des Auftritts die revolutionären Massen mit Glitter beworfen. Als ich am nächsten Tag auf der »Putte muss bleiben«-Demo erschien, dazu die grüne Satinjacke trug, die meine Mutter mir zu Weihnachten geschenkt hatte, wurde ich von vorschriftsmäßig in Parka gehüllten, bärtigen Demonstranten bespuckt und verhöhnt. Niemand wollte gestatten, dass ich mich einreihte.
Die humoristische Art der Band, die sich nicht der symbolisch-kognitive Praxis der linken Szene (s.o.) unterordnen wollte, wurde von vielen nicht toleriert. Dazu kam der „Vorwurf des »Verrats«, wahlweise in den Varianten »Verinnerlichung« oder »Kommerzialisierung«“ Dies machte es für die Band immer schwerer ihrem Anspruch, möglichst viele Menschen erreichen zu wollen, gerecht zu werden. Die großen Interpretationsspielräume ihrer Songtexte, die zuvor zu großer Kompatibilität gerade hinsichtlich der linken Szene geführt hatten, sorgten nun für immer mehr Kritik seitens dieser sich immer weiter ausdifferenzierenden und in sich selbst zerstrittenen linken Szene. Kai Sichtermann erklärte die Konsequenz, die die Band aus diesen Konflikten zog: „Wir hatten das Gefühl, egal was wir machen, es ist sowieso falsch. [...] Und um dem Ganzen zu entkommen war das glaub ich auch die eleganteste Lösung aufs Land zu gehen und erst einmal diesem ganzen Druck zu entgehen.“
Die Band zog nach Fresenhagen in Ostfriesland und sanierte dort einen alten Bauernhof. Die Abkehr vom politischen Umfeld West-Berlins vollzog sich aber auch innerhalb der Band, ihrem Selbstverständnis, ihrer Musik und ihren Texten. Denn erst „durch die Flucht sicherten sich die Scherben die Möglichkeit sich musikalisch weiter zu entwickeln“. Das Album „Wenn die Nacht am tiefsten“, dass 1975 genau zum Zeitpunkt des Umzugs erschien, enthielt bereits neue Schwerpunkte.
Anstatt die Welt zu verändern, tritt eher die Absicht sich selbst zu verändern; […] Die Schilderungen einer besseren Welt auf dem Album gehen einher mit mythologischen und natürlichen Bildern; Schiff, Meer, Wind und ähnliche Begriffe vermitteln eine zuversichtliche Stimmung und enthalten zahlreiche Aufforderungen zur Flucht und zum Neuanfang – aber bleiben genauso unkonkret wie die utopischen Vorstellungen der radikal-politischen Phase.
Die Frustration und die daraus resultierenden eskapistischen Tendenzen der Band schlugen sich also verständlicher Weise in ihren Texten nieder. Daraus ergab sich eine neue Ausrichtung, die Lanrue wie folgt auf den Punkt brachte: „Das war schon eine neue Innerlichkeit mit Liebesliedern und echten Geschichten.“ Hier bezieht sich der Musiker also selbst auf die literarische Strömung der Zeit. Inwiefern sich Elemente der Neuen Subjektivität erst ab diesem Zeitpunkt, oder schon früher in den Texten nachweisen lassen, wird die Einzeluntersuchung exemplarischer Songs zeigen. Aufgrund der größeren Praktikabilität wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit die Zeit vor dem Umzug nach Fresenhagen als frühe, die danach als späte Phase der Band bezeichnet.
4. Songtextanalyse
Die fünf im Folgenden untersuchten Songs Macht kaputt, was euch kaputt macht (1970), Mensch Meier (1971), Wir müssen hier raus (1972), Halt dich an deiner Liebe fest (1975) und Jenseits von Eden (1981) wurden ausgewählt, da an ihnen thematisch, stilistisch und auch chronologisch ein möglichst großer Bereich des Schaffens der Band veranschaulicht werden kann. Wie bereits angekündigt wird dabei ein besonderer Fokus auf die Entstehung und Entwicklung der Band gelegt, weshalb aus der früheren Phase der Band vor dem Umzug nach Fresenhagen mehr Songs untersucht werden, als aus der späteren Phase nach dem Umzug.
4.1 Macht kaputt, was euch kaputt macht (1970)
4.1.1 Entstehung und musikalische Eigenschaften
Macht kaputt, was euch kaputt macht wurde als einer der ersten Songs der Band im Sommer 1970 aufgenommen und zusammen mit Wir streiken auf eine Single gepresst. Es ist bis heute (neben Keine Macht für Niemand ) das wohl bekannteste Stück der Band und machte sie in der gesamten BRD bekannt.
Der Song diente im Sommer 1970 als Musik in einem Fernsehfilm über die neue Linke in Berlin mit dem Titel: »Fünf Finger sind eine Faust«. Nach Ausstrahlung des Films erreichten über 1000 Briefe und Postkarten den Sender mit der Frage, ob und wie man die Musik als Platte erwerben kann.
Entstanden ist der Song wie viele Stücke der Band durch eine Improvisation Reisers, die er aufnahm und später weiterentwickelte. Die Band spielte den Song ab 1975 allerdings nicht mehr. „Dieses Werk war uns nämlich mittlerweile unheimlich geworden.“ So beschreibt Reiser diese Entscheidung in seiner Autobiografie, was bereits auf den soeben beschriebenen Bruch in der Bandgeschichte hinweist.
Text und Musik waren so schwarz wie der Ballsaal, in dem sie aufgenommen wurden. Wir waren die Zauberlehrlinge und wussten es nicht. Wir hatten, ohne danach zu suchen, eine Formel gefunden um die Götter der Zerstörung herbeizurufen.
So steht dieser Song beispielhaft dafür, dass die Band trotz ihrer markanten Formulierungen oft unkonkret blieb und den Rezipient_innen dadurch viel Freiraum zur Auslegung und Umsetzung des Textes ließ. Das eher geschriene als gesungene „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ des Refrains klingt drastisch und ruft direkt zur Tat auf, lässt aber offen, was genau kaputt gemacht werden soll. Der Text wurde bei Konzerten oft als allgemeiner Aufruf zur Gewalt verstanden, was auch dazu führte, dass das gesamte Werk der Band auf diese Interpretation reduziert wurde. Um dem zu entgehen sah die Band nur die Möglichkeit, den Song nicht mehr zu spielen. Die Gitarrenmelodie der Strophe wurde aufgrund ihrer Bekanntheit und der deutlichen politischen Ausrichtung dieses Stückes allerdings noch im Song Samstag Nachmittag zitiert.
Der Text wurde in der Sekundärliteratur wiederholt fälschlicher Weise Norbert Krause, einem Bonner Schauspieler aus dem Umfeld von Hoffmanns Comic Teater zugeschrieben. Tatsächlich hatte dieser aber nur einen älteren englischen Text Reisers übersetzt, in dem es u.a. heißt: „bombs are falling, tanks are rolling, soldiers dying, men are crying…" Diesen hatte Reiser wiederum unter Einfluss von Bob Dylans Subterranean Homesick Blues geschrieben. Diese Textgenese ist relevant, da dieser Text zum einen unter Bezugnahme auf das Vorbild Dylans geschrieben wurde und da er zum anderen also kein ursprünglich in deutscher Sprache verfasster ist, was bei der Analyse berücksichtigt werden muss. Wie bereits erwähnt, wurde dieser frühe Song noch für das Theaterstück „Rita und Paul“ und nicht für eine Schallplatte geschrieben. In dem Stück sieht Paul (gespielt von Reiser) im Fernsehen den Journalisten Matthias Walden, welcher Mitherausgeber der Zeitung „Die Welt“ und der von Axel Springer vorgesehene Nachfolger der Springer-Konzernleitung war. Vor Wut über Walden und dessen Aussagen zertrümmert Paul den Fernseher und greift zur Gitarre. Die Parole „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ richtet sich hier also deutlich an die entstandene Gegenkultur, welche sich gegen den sog. Unterdrückungsapparat des Establishments zur Wehr setzen soll. Wie die Analyse zeigen wird, geht es dabei in erster Linie aber nicht um direkte Gewaltausübung gegenüber Vorgesetzten, Polizist_innen o.ä., sondern um den Widerstand gegen den kulturellen Mainstream und die auf Konsum und wirtschaftlichen Fortschritt fixierten Arbeits- und Lebensumstände in der Bundesrepublik.
Musikalisch ist das Stück einfach gehalten und entspricht in Tempo, Rhythmus etc. der frühen Pop- und Rockmusik. „Alle Instrumente sind manuell eingespielt und es finden sich keine nicht-rocktypischen Instrumente.“ Auch die Länge entspricht mit 3.35 Minuten der typischen Pop- oder Rocksonglänge. Dominiert wird das Stück von dem bereits erwähnten eingängigen Gitarrenriff der Strophe in B-Moll, welches durch die Ausrichtung auf die tonleiterfremde verminderte Quinte den markanten bedrohlichen Eindruck vermittelt. Es wird von einem Down-Backbeat und Offbeatbetonungen des Schlagzeugs begleitet, wodurch die drängende Dynamik entsteht. Dieser wird nur für die Parole im Refrain unterbrochen, welche dadurch eine zusätzliche Betonung erhält. Diese Betonung kommt auch dadurch zu Stande, dass diese Textpassage dadurch deutlich besser verständlich wird als der Rest des Textes. Außerdem wird das B-Moll der Strophe nun in Fis- und Gis-Dur aufgelöst.
Das Stück beginnt mit einem E-Gitarrenintro, das aus einem Wechselspiel von zwei Gitarren besteht. Während dieses Intros setzen Schlagzeug und Bass ein und steigern sich zusehends in der rhythmischen Begleitung der Gitarren. Diese spielen schließlich unisono das pizzicato-Thema der Strophe, woraufhin dieses Thema von der einen Gitarre beibehalten wird, während die andere ebenfalls pizzicato eine zweite Stimme dazu spielt. Der recht kurze Refrain besteht nur aus vier Takten die einmal wiederholt werden, wobei die jeweils ersten beiden von länger klingenden Gitarrenakkorden ohne Gesang eine Art Pre-Chorus darstellen, die zu der von einem kurzen pizzicato Gitarrenriff begleiteten Parole „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ hinführen. Abgesehen von diesen wenigen Takte hält das Schlagzeug den 4/4 Takt, nur von wenigen Fill-Ins unterbrochen, konstant durch. Der E-Bass übernimmt großteils die Gitarrenriffs und spielt im Intro ebenfalls mit den Gitarren im Wechsel. Dadurch kommt ihm keine besonders auffällige Rolle im Song zu, was ebenfalls sehr typisch für die frühe Rockmusik ist. An den Song wird auf der Aufnahme das Einheitsfrontlied Brechts angeschlossen, welches von einem Marschrhythmus des Schlagzeugs begleitet wird. Die eine Gitarre begleitet diesen Rhythmus im staccato, während die andere arpeggiohaft dazu die Harmonien spielt. Das Ende des Songs bilden schließlich die Gitarren, die nochmal wie im Intro die Themen anspielen.
4.1.2 Medien- und Konsumkritik – die 1. Strophe
Die erste Strophe thematisiert, wie schon Hans Giessen herausgearbeitet hat, die Fremdbestimmung durch die Massenmedien und kann damit auch im Kontext der von Theodor Adorno und Max Horkheimer in „Die Dialektik der Aufklärung“ behandelten Kulturindustrie verstanden werden. Dort heißt es: „Amusement ist die Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus“. Und ebenso kann man Reisers Verse der ersten Strophe verstehen. Die rhetorische Frage „Wofür?“ am Ende der Strophe stellt anhand der Beispiele die fortschreitende Medialisierung und Konsumorientierung im Laufe der Sechzigerjahre zur Disposition. Auch wenn nicht nachweisbar ist, ob Reiser diesen Bezug auf die Kritische Theorie intendiert hat, weist dies dennoch starke Ähnlichkeit mit Adornos Kritik auf, die in der linken Szene der Siebzigerjahre viel diskutiert wurde. Ähnlich wie bei den Bezüge zur Neuen Subjektivität kann man hier also von einer diskursiven Verbindung ausgehen, die nicht intendiert worden sein muss.
Stilistisch fällt auf, dass die erste Strophe gänzlich aus trochäisch aneinandergefügten, zweisilbigen Worten besteht (Subjekt, bzw. Objekt und Prädikat). Jeweils zwei Worte bilden ein elliptisches Satzfragment oder einen sehr kurzen Satz, welcher dadurch ebenfalls elliptisch wirkt. Die ersten vier Verse jeder Strophe sind noch in Minimalsätzen verfasst, wohingegen die nächsten vier aus Halbsätzen bestehen. Die Sprache wird also zunehmend reduziert, bis der letzte Vers, die rhetorische Frage, nur noch aus einem Wort besteht. Diese zunehmend reduzierte Versform hat sowohl einen umgangssprachlichen Duktus, als auch eine zum Strophenende hintreibende Dynamik zum Effekt. Gleichzeitig entsteht eine staccatohafte Aneinanderreihung der voneinander getrennten Sätze bzw. Satzfragmente. Diese wird noch dadurch verstärkt, dass jedes Versende eine männliche Kadenz aufweist und somit nicht klingend endet. Die so voneinander getrennten Verse werden dann allerdings durch zwei dreifache identische Reime mit einander verschränkt, was die Trennung der Strophe in zwei Hälften noch verstärkt, bis diese Struktur im die erste Strophe abschließenden „Wofür?“ endet, welches aus diesem Schema ausbricht und dadurch zusätzlich betont wird. Zudem wird in den Versen regelmäßig ein Verhältnis vom Allgemeinen und Konkreten, bzw. vom Großen und Kleinen aufgezeigt (Radios – Platten, Filme – TVs, Reisen – Autos, Häuser – Möbel). Analog zur sprachlichen Reduktion in der Strophe verläuft also eine inhaltliche Gegenüberstellung. Dies kann als ausformulierte Version eines pars pro toto gelesen werden, die den Rezipient_innen den größeren Zusammenhang einzelner Konsumtionen mit dem Komplex der Kulturindustrie aufzeigen soll. Privater Medien- oder anderweitiger Konsum hat demnach immer einen Anteil an größeren wirtschaftlichen Zusammenhängen. Diese Gegenüberstellung und die parataktische Satzkonstruktion unterstützen dabei die drängende Atmosphäre, welche noch durch die musikalische Umsetzung in Form des treibenden 4/4-Taktes vorangetrieben wird.
Neben diesen atmosphärischen Aspekten fällt die bewusste und wiederholende Wortwahl in den Versen auf. In den ersten vier Versen werden Subjekte mit dem Prädikat „laufen“ kombiniert und bilden somit kurze Sätze. In den folgenden vier Versen hingegen werden Objekte mit dem Prädikat „kaufen“ kombiniert und das Subjekt fehlt. Die aktive Rolle fällt also eindeutig den Medien der Kulturindustrie zu und sie agieren auch noch geradezu menschlich indem sie „laufen“ und nicht etwa abgespielt werden o.ä. Zudem kann „laufen“, gerade in der Verbindung mit den Medialisierungsbeispielen mit dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt assoziiert werden. Der hier in keinem konkreten Wort repräsentierte Mensch kann nur „kaufen“ und wird damit auf seine Konsumfunktion reduziert und geradezu aus der erzählten Realität der Strophe verdrängt. Es wird also eine im wahrsten Sinne des Wortes entmenschlichte Konsumgesellschaft gezeigt, welche im dem gegenübergestellten „Wofür?“ dahingehend hinterfragt wird, welchen Zweck die Kulturindustrie und der gesteigerte Konsum letztlich haben.
Dies schließt damit direkt an die Szene des Theaterstücks an. Ebenso tut dies der Refrain (bzw. Kehrvers ), welcher die Zerstörung als Widerstandsform direkt benennt. Es ist dabei allerdings anzumerken, dass hierbei eben nicht blindwütige Gewalt gegen alles und jeden, sondern solche gegen Dinge gemeint ist, welche die Kulturindustrie und den Unterdrückungsapparat repräsentieren, also Fernseher, Platten etc. Dies legt auch die zerstörerische Reaktion Pauls im Theaterstück nahe. Folgt man dieser Deutung, bezieht dies allerdings auch Häuser und Möbel mit ein, was vor dem Hintergrund der Hausbesetzungen, an denen sich die Band beteiligte, durchaus nachvollziehbar erscheint. In der rhetorischen Frage „Wofür?“ und v.a. im anschließenden Refrain spricht ein lyrisches Ich ein nicht näher identifiziertes Gegenüber an. Es herrscht also noch eine klare Trennung zwischen dem lyrischem Ich und seinen Rezipient_innen, die im weiteren Verlauf des Songs aufgebrochen wird.
4.1.3 Menschen und Kriegsmaschinen – die 2. Strophe
Die zweite Strophe beginnt mit einem Wortspiel. Statt des Rubels, rollt der Dollar. Dies kann als Anspielung auf den Kalten Krieg und die wirtschaftliche, aber auch politische und kulturelle Orientierung der Bundesrepublik an den USA verstanden werden. Dass Züge und Dollars rollen, kann demnach als Bild für die Exportorientierung der BRD gelten. Abgesehen von der angesprochenen Konsumkritik gibt es im Text allerdings keine weiteren Verweise auf die USA. Rollende Züge bzw. deren Räder werden in den Texten der Band an anderer Stelle allerdings auch als Bild für die NS-Transporte nach Auschwitz verwandt. So beispielsweise in Jenseits von Eden. Im Kontext des weiteren Verlaufs der Strophe ist diese wenn auch kleine Verbindung bemerkenswert. Das zweihebige trochäische Metrum der ersten Strophe wird in der zweiten Strophe fortgeführt. Im dritten Vers wird es durch das dreisilbige „Maschinen“ mit einem Auftakt eingeleitet, woraufhin es sich dahingehend verändert, dass die elliptischen Satzstücke am Versanfang nun immer dreisilbig eingeleitet werden („Fabriken“, „Maschinen“, „Motoren“, „Kanonen“). Berücksichtigt man die Aufnahmen der Band, so fällt auf, dass jeweils der erste Versfuß deutlich stärker betont wird, als der zweite. Dies betont damit zusätzlich das stets variierte Nomen, wohingegen der zweite weniger betonte Versfuß sich auf dem streckenweise gleichbleibenden Verb befindet.
Gegenüber der ersten Strophe, die nur zwei Verben beinhaltet, wird in der ersten Hälfte der zweiten Strophe stärker variiert. Die zweite Strophenhälfte ist dann allerdings wieder durch identische Reime geprägt. Der dritte und der vierte Vers stellen somit eine Unterbrechung der Struktur dar: „Maschinen laufen / Menschen schuften“. Hier fehlt der identische Reim, doch wieder „laufen“ nicht die Menschen, sondern die Maschinen, während die Menschen „schuften“. Diese Textpassage befindet sich genau in der Mitte der drei Strophen und erhält somit eine besondere Position im Text. Der Vers wird noch weiter exponiert, da statt des identischen Reimes ein einfacher Endreim, der dadurch geradezu unrein wirkt, und eine Anapher verwandt werden („Maschinen“ – „Menschen“) was ebenfalls einen Bruch mit der bisherigen Form darstellt. Zudem wird „Maschinen“ im sechsten Vers als Objekt (Subjekt im dritten Vers) wiederholt und bildet so einen Rahmen um „Menschen schuften / Fabriken bauen“. An dieser Stelle wird der Mensch wieder aktiv ins Geschehen integriert, doch er agiert keineswegs souverän, sondern wird klar dem Geld und den Maschinen untergeordnet. Sie schreiten voran, während er schuftet um ihre Reproduktion zu garantieren. Wie schon in der ersten Strophe wechselt hier die Satzstruktur nach den ersten vier Versen ins Elliptische und der Mensch wird dadurch wieder aus dem Text ausgeschlossen.
Abermals ist eine Gegenüberstellung von Allgemeinem und Konkreten, bzw. Großen und Kleinen erkennbar, die hier zudem eine deutliche Richtung hin zum Konkreten aufweist. „Fabriken“ – „Maschinen“ – „Motoren“ – „Kanonen“, diese Abfolge kann als Verweis auf die allgemeine Verbindung von Schwerindustrie und Kriegsindustrie verstanden werden. Aus dem historischen Kontext ließe sich darin ein Verweis auf die NS-Vergangenheit oder die damalige Kriegsgefahr und die militärische Aufrüstung von Ost und West im Kalten Krieg erkennen, die in der Mauerstadt West-Berlin sehr präsent war. Das Strophenende „Für wen?“ kann in diesem Kontext als Frage danach, wem die kostspielige militärische Aufrüstung, auf die so große Teile der Wirtschaft ausgerichtet werden, eigentlich nützt, gelesen werden. Die allgemeinere Sinnfrage „Wofür?“ wird dabei durch eine personalisiertere Form ersetzt, was der zumindest phasenweisen Rückkehr des Menschen ins Gedicht entspricht. Der Aufruf im anschließenden Refrain kann dementsprechend darauf bezogen werden, sich Industrie und Wirtschaft, die auf die militärische Aufrüstung hinauslaufen, entgegen zu stellen. Darin lässt sich, statt der Kritik an der Kulturindustrie, eine eher klassische Parole der Arbeiterbewegung erkennen, die sich gegen die ausbeuterischen Industriekonzerne und die Kriegsmaschinerie wendet. Dazu passt, dass auf der zweiten Veröffentlichung des Songs auf „Warum geht es mir so dreckig?“, dem ersten Album der Band, das Einheitsfrontlied von Brecht und Eisler ohne Übergang an den Song angeschlossen wurde. Die zweite Strophe richtet sich nach der Kritik an der Kulturindustrie der ersten Strophe also gegen die Schwer- und Kriegsindustrie. Dabei lassen sich sowohl Andeutungen an den Kalten Krieg, als auch an die NS-Vergangenheit erkennen. Die Ausgrenzung des Menschen wird hier an exponierter Stelle kurzzeitig aufgebrochen, doch nur um aufzuzeigen, wie marginalisiert dieser gegenüber den (Kriegs-)Maschinen ist.
4.1.4 Antwort statt Frage – die 3. Strophe
Die ersten vier Verse der dritten Strophe entsprechen ebenfalls nicht dem Schema der identischen Reime, reimen sich jedoch alle auf einander. Die Strophenform ähnelt wieder mehr der ersten Strophe, wobei die enge Verschränkung des Textes mit sich selbst fortgesetzt wird. Das Metrum bleibt im Allgemeinen fallend, allerdings werden nun durch die Verwendung von Artikeln verstärkt Auftakte integriert, die z.B. auch zu Beginn des zweiten Kurz- bzw. Halbsatzes auftreten („Die Aktien schützen“). Außerdem wird der Mensch wieder in den Text integriert. „Polizisten schlagen / Soldaten fallen“ lauten die Verse drei und vier und schließen damit, wie auch schon die ersten Verse, an die Thematik des Krieges an. Doch während in den ersten Versen noch in direktem Anschluss an die vorangegangene Strophe von Kriegsgerät gesungen wird, wird nun der Mensch in den Mittelpunkt gestellt, wenn auch in seiner vielleicht befehlsorientiertesten und damit funktionalisiertesten Form. Die Formulierung, dass „Polizisten schlagen“, und „Soldaten fallen“ reduziert den Menschen darauf, institutionell Gewalt auszuüben, oder zu erfahren. Er wird also nur als funktionaler Teil des Apparates und nicht als souveränes Individuum dargestellt. Seine Funktion ist es dabei „Chefs“, „Aktien“, „Recht“ und „Staat“ wenn nötig mit Gewalt zu schützen, oder dabei zu sterben. Die Verse fünf bis acht, abermals im Gegensatz zu den Versen eins bis vier in elliptischer Form, schließen den Menschen wieder aus dem Text aus. Dabei führen sie scheinbar, wie bereits in den vorangegangenen Strophen, auf die die Strophe abschließende Frage nach dem Sinn der in den vorangegangenen Versen beschriebenen Aspekte hin.
Tatsächlich scheinen die ersten vier Verse jeder Strophe einen kausalen Zusammenhang mit den folgenden vier Versen zu bilden. Die Medien „laufen“, damit konsumiert wird. „Geld“, „Maschinen“ und „Menschen“ werden eingesetzt um noch mehr „Maschinen“ und v.a. „Kanonen“ zu bauen und „Polizisten schlagen“ und „Soldaten fallen“ um die „Chefs“ etc. zu schützen. Diese kausale Konstruktion stellt die inhaltliche Ergänzung der bereits festgestellten sprachlichen Gegenüberstellung vom Allgemeinen und Konkreten dar. Am Strophenende der ersten beiden Strophen wurde der Sinn der in den Strophenversen beschriebenen Elemente hinterfragt. Doch die dritte und letzte Strophe endet nicht mit einer Frage, sondern mit einer Antwort, zu der die Frage nur angedeutet wurde: Die „Chefs“ etc. schützen – „Vor uns!“ Im letzten Strophenvers spricht zum ersten Mal das lyrische Ich, lyrisches Wir müsste man es wohl eher nennen, direkt von sich. Hier findet sich im Gegensatz zum agitierenden, aufheizenden Aufruf des Refrains an eine nicht näher definierte Gruppe Menschen eine Selbstidentifikation als Kollektiv, welches sich als Gefahr für „Staat“, „Recht“, „Chefs“ etc. versteht. Da es textimmanent keine konkret benannten Personen gibt, liegt es nahe diese Anrede extratextuell zu verstehen. Demnach kann man das lyrische Wir dahingehend verstehen, dass es die Band, sowie die angesprochenen Rezipient_innen meint. Für die Gleichsetzung von lyrischem und empirischem Ich, bzw. Wir, die wie eingangs erläutert oft vorschnell und fälschlicher Weise vorgenommen wird, sprechen hier einige Argumente.
Wie bereits erläutert war es der Band v.a. in ihrer Anfangszeit wichtig eben diese Trennung aufzubrechen. Das lyrische Wir wird hier als eine Art revolutionäre Vereinigung der ausgeschlossenen und unterdrückten Menschen der Strophenverse inszeniert. Diese Konstruktion hat Reiser selbst beschrieben: „Wie Karl May in seinen Romanen das ICH immer das starke, aber gute, dem Menschen stets freundlich Gesonnene sein ließ, so wollten wir das WIR zum unterdrückten, verfolgten und ausgebeuteten Guten machen, das letztendlich siegen würde. Vier Milliarden Old Winnetous.“ Die Konstruktion aus einem lyrischem Wir, dass sich einem Gegner entgegenstellt entspricht zudem genau Gert Hagelweides Kategorien des kommunistischen Liedes. Das lyrische Wir stellt dabei den „Akteur“ dar und „Staat“, „Recht“, „Chefs“ etc. sind die „Feinde“. Laut Hagelweide führt diese Konstruktion durch die Kombination mit der dritten Kategorie des „Rufempfängers“ zur Identifikation und Solidarisierung eben dieser mit dem Akteur. Dieses Prinzip lässt sich laut Hagelweide sowohl inner- als auch extratextuell umsetzen. Da es in der innertextuellen Wirklichkeit wie gesagt keine konkret benannten Personen gibt, kann es auch schwerlich einen innertextuellen „Rufempfänger“ geben, doch können die Rezipient_innen selbst angesichts der klar an es gerichteten Parole des Refrains als „Rufempfänger“ gelten.
Somit entwickelt sich in typischer Agit-Prop-Form die von Hagelberg beschriebene Funktion der drei Kategorien zu genau dem von ihm beschriebenen Zweck der Solidarisierung und Identifikation, welche zur politischen Motivation hinführen soll. Dieses Prinzip entspricht genau den in den vorangegangenen Kapiteln erörterten Intentionen der Band. Die dritte Strophe stellt damit den Kulminationspunkt des Songs dar. Der Sinn und Zweck der problematisierten Themen, wie der Entmenschlichung, der Kultur-, Schwer- und Kriegsindustrie und der Vorherrschaft der Maschinen über die unterdrückten und funktionalisierten Menschen, wurde hinterfragt und bekommt nun die Vereinigung eines revolutionären Kollektivs gegenübergestellt, das durch die Kombination von „Akteur“, „Rufempfänger“ und „Feind“ erzeugt wird und sich aus der Band und den Rezipient_innen zusammensetzt. Die rhetorischen Stilmittel und die enge sprachliche Verknüpfung des Textes in sich selbst haben dabei etliche dies unterstützende Effekte, wie z.B. den umgangssprachlichen Duktus, die zum Ende und damit zur Antwort hintreibende Dynamik, oder die Umsetzung der Entmenschlichung im Text.
4.1.5 Politische und literarische Dimensionen des Textes
Wie in vielen anderen Texten der Band fehlen auch hier explizite Anweisungen oder Ziele. Zwar gibt es Feindbilder wie die „Chefs“, den „Staat“, das „Recht“ und dass, „was euch kaputt macht“, doch konkreter wird es nicht. Die Deutungsmöglichkeiten hinsichtlich der Kulturindustrie und der militärischen Aufrüstung wurden bereits erörtert. Bei den Konzerten wurde der Song allerdings meist weniger detailliert interpretiert. Die Wirkung des einfachen, eingängigen und viele Wiederholungen enthaltenden Textes war nicht nur, dass das Publikum denselben schnell mitsingen und sich mit ihm identifizieren konnte, es sah sich zudem oftmals auch dazu animiert ihn direkt in die Tat umzusetzen, was die Band schließlich dazu veranlasste das Stück nicht mehr zu spielen. Ebenso wie die stärkere Betonung einzelner Versfüße und die damit verbundene Schwerpunktsetzung im Text ist dies eine der Besonderheiten, die bei der Songtextanalyse berücksichtigt werden muss. Obwohl der Text also gerade auf die Identifikation der Band mit den Rezipient_innen in einem revolutionären Kollektiv ausgelegt war, sorgte er schließlich für eine Trennung der beiden. Neben diesem missglückten Vorhaben kann man im Text deutlich das bereits mehrfach angesprochene Ziel der Befreiung aller Unterdrückten erkennen.
Dabei bestätigt sich, was Kreier bereits feststellte, nämlich, dass sich der „politische oder sozialkritische Gehalt der Texte [...] eher über Bilder oder Situationen“ entfaltet. Die kurz und eindringlich formulierten Bilder eröffnen durch ihre Kombination und die anschließenden rhetorischen Fragen die politische Dimension der einzelnen Elemente. Der Text entwickelt sich also nicht durch eine zusammenhängende Erzählung, offensichtliche Verbindungen o.ä., sondern durch das simpel erscheinende, aber komplex strukturierte Arrangement aus einzelnen Bildern. Die dementsprechend kurz und einfach gehaltene Sprache des Songs legt dabei einen Schwerpunkt auf Wiederholungen (identische Reime), drastische Parolen (Refrain) und umgangssprachliche Formulierungen wie z.B. das „Laufen“ der „Maschinen“. Dies kann als Hinweis auf die Zielgruppe der Arbeiter_innen und Auszubildenden verstanden werden, welche zur Identifikation mit der Band sowie ihren (allgemeinen) politischen Zielen und damit zum Widerstand gegen die sie umgebenden Verhältnisse, sowie die Kriegs- und Kulturindustrie motiviert werden sollen. Bei genauerer Untersuchung der simpel erscheinenden Sprache fällt jedoch die enge Verflechtung der einzelnen Textteile mit einander auf, die z.B. durch sprachliche Mittel wie die Umrahmung des Bruches des Reimschemas, die Anapher, sowie die identischen Reime oder die Gegenüberstellungen von Allgemeinem und Konkretem in den Versen deutlich wird.
Diese Verflechtung des Textes mit sich selbst, bei der der Mensch immer wieder ausgeschlossen und in funktionalisierter Form wieder integriert wird, kann als Darstellung der vielschichtigen Verstrickung und der Abhängigkeit des Subjekts von der Arbeitswelt und der Kulturindustrie und deren politischer Dimension der Unterdrückung gedeutet werden. Die Darstellung der unterschiedlichen Aspekte des Unterdrückungsapparates zieht sich durch alle drei Strophen. Zu diesen werden Medien und Konsum, Produktion und Kriegsmaschinerie und schließlich Staat und Recht gezählt. Die Formulierungen bleiben dabei jedoch wie gesagt sehr allgemein und bieten viel Interpretationsspielraum. So kann der Text wegen seiner rhetorischen Fragen am Ende der ersten und zweiten Strophe und trotz seines zur direkten Tat aufrufenden Tons auch als Anregung zur Reflexion der gesellschaftlichen Situation verstanden werden. Die Gegenüberstellung von Allgemeinem und Konkretem und die enge Verflechtung der Verse mit einander macht dabei nicht nur die Verflochtenheit des Subjekts in der Gesellschaft, sondern auch die Verbindung jedes einzelnen privat erscheinenden Aspektes, wie z.B. die des Laufens einer Platte, mit der gesamten Kulturindustrie deutlich.
Die Musiker_innen regen die Rezipient_innen somit dazu an, „sich auf individueller und kollektiver Ebene mit ihrer Situation zu beschäftigen und motivierten sie auch, daraus praktische Schlüsse zu ziehen“, wobei aber eben keine ungezügelte Gewalt intendiert war. Der bereits zitierte Aspekt der Provokation und Motivation, bzw. der politischen „Willensbildung und Förderung der Teilnahme am öffentlichen Leben“ als Widerstand gegenüber einer „kritiklosen Integration in eine unbefriedigende Gesellschaft“ entspricht der noch eher agitatorischen Ausrichtung der frühen Phase der Band, welche aus dem H.C.T. herrührte. Macht kaputt, was euch kaputt macht kann als exemplarisch dafür angesehen werden, wie die politischen Dimensionen scheinbar unpolitischer Aspekte deutlich gemacht werden können. Das Ziel, aus Rezipient_innen und Band ein revolutionäres Kollektiv entstehen zu lassen, ist dabei bereits der nächste Schritt.
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass der Song durch die bewusst gesetzte und dabei simpel erscheinende Sprache die Verflechtungen von Privatem und Politischem aufzeigt. Die markanten Bilder verdeutlichen durch ihre Kombination die Bedeutung eines jeden einzelnen Alltagselementes als Bestandteil der Kulturindustrie, der Arbeitswelt etc. Zudem wird der Mensch in seiner marginalisierten und funktionalisierten Position in der entmenschlichten Welt der Industrie gezeigt, was auf die Intention der Band, alle Unterdrückten aus den Zwängen ihrer Unterdrückung zu befreien, zurückzuführen ist. Zu diesem Zweck enthält der Song viele Elemente, die motivierend, oder identifizierend auf die Rezipient_innen wirken sollen, wie z.B. die eingängige Sprache, die treibenden Elemente in Text und Musik, oder die ebenfalls durch die Musik unterstützte Betonung des Refrains. Das Fehlen konkreter Handlungsanweisungen und die Betonung der rhetorischen Fragen nach dem Sinn des Kritisierten können als Anregung zur Reflexion verstanden werden. Das Publikum fokussierte sich allerdings stark auf die antreibende Dynamik des Songs und entwickelte seine eigene praktische Deutung, sodass er schließlich nicht mehr der Intention der Band entsprach.
4.1.6 Macht kaputt, was euch kaputt macht und die Neue Subjektivität
In diesem frühen Text der Band finden sich bereits einige Anknüpfungspunkte an die Neue Subjektivität. Von der wiederholten Bezugnahme auf Fabriken etc. könnte zudem fälschlicher Weise der Eindruck einer Nähe zur Literatur der Arbeitswelt entstehen, doch fehlt hierzu die Intention der direkten, wenn nicht gar autobiografischen Abbildung derselben. Zwei der Hauptthemen des Textes, die Ablehnung bzw. der Widerstand gegenüber der (Kultur-)Industrie und die Identifikation in einem souveränen, revolutionären Kollektiv gegen die entmenschlichende Unterdrückung, entsprechen bereits zentralen Idee der Neuen Subjektivität. Wie bereits erörtert, wandte diese sich gegen die „Technokratie der außengesteuerten Sinne“ und wollte demgegenüber eine „Identität finden und […] autonome Selbstbestimmung verwirklichen“. Die Technokratie wird hier in den Strophen immer wieder exemplifiziert und der Mensch wird als ihr unterlegen und nicht souverän dargestellt. Demgegenüber wird am Ende des Songs das lyrische Wir eines revolutionären Kollektivs beschworen, welches als Angebot der Identitätsfindung im Sinne der Neuen Subjektivität verstanden werden kann.
Die Autor_innen der Neuen Subjektivität hatten für „ein wesentlich neues und junges Publikum […] die Lyrik durch Agit-Prop und das politische Lied im Dienst der politischen Bewußtseinsmachung und Solidarisierung reaktiviert und neu definiert. Die Ausrichtung auf die Erzeugung von Identifikationsangeboten mit bzw. in politischen Kollektiven stellt somit ebenfalls ein Element der Neuen Subjektivität dar. Allerdings kann dieses Element in der Neuen Subjektivität stets nur die Folge aus persönlichen Schilderungen sein, welche in Macht kaputt, was euch kaputt macht gänzlich fehlen. Hier wird vielmehr auf die Darstellung der Entmenschlichung und der Marginalisierung des Menschen abgezielt, die auch im Text selbst umgesetzt wird. Der Song hat somit hinsichtlich seiner deutlich unpersönlich ausgerichteten Perspektive einen wesentlichen Unterschied zum Kernelement der Neuen Subjektivität aufzuweisen, da durch diese Perspektive Aspekte wie beispielsweise die Ausrichtung auf persönliche Erfahrungen, oder gar Träume ausgeschlossen werden.
Sprachlich gibt es ebenfalls Ähnlichkeiten und Unterschiede. Den in der Neuen Subjektivität geforderten und bereits zitierten „Mut zum Außersprachlichen und zur Abbild- und Evokationsfähigkeit der Sprache, einer lebendigen Hochsprache, die von der Preziosität und Sterilität gleichermaßen entfernt ist wie vom Schablonendeutsch der Schlager und Nachrichten“ scheint Reiser in seinem Text z.B. direkt umsetzen zu wollen. Wie bereits herausgestellt entwickelt sich der Text nicht anhand einer chronologischen Erzählung, sondern an kurz gefassten Bildern und auch die Betonung der „Evokationsfähigkeit“ der Sprache ist im elliptischen und appellativen Stil von Macht kaputt, was euch kaputt macht deutlich zu erkennen. Die drastische, motivierende Parole des Refrains und die über die Kombination von einzelnen Bildern strukturierten Strophen zeigen dies deutlich. Allerdings sind es genau diese Parolen, die in der Neuen Subjektivität abgelehnt werden. Die Sprache soll hier zwar ihre „Evokationsfähigkeit“ entfalten, sich aber nicht in den politischen Parolen verlieren. Die komplex konzipierten Strophen, die dennoch einfach und eingängig erscheinen, machen jedoch deutlich, dass der Text sich keineswegs nur auf die drastischen Parolen des Kehrverses beschränkt. In diesem Kehrvers spiegelt sich allerdings die Ablehnung des theorielastigen und dogmatischen Intellektualismus vieler Linker wider, wie sie wiederum auch von der Neuen Subjektivität vertreten wurde.
Der einfache und umgangssprachliche Ton des Textes, der sich bei genauerer Untersuchung jedoch als komplex konstruiert erweist, erinnert zudem an die von Theobaldy propagierte Demokratisierung des Gedichts, die einer breiteren Öffentlichkeit Zugang zu Gedichten ermöglichen sollte. Die komplex zusammengefügten, sprachlich einfachen Versatzstücke von Reisers Text erinnern zudem an die von Brinkmann geforderte Oberflächlichkeit der Sprache. Dieser forderte
eine fundamentale Vereinfachung der Sprache, reine Gegenständlichkeit, bloßes Bild, bloße Oberfläche. Worte sollen funktionieren wie Fotos oder Filme, Gedichte als »snap shots«, »spontan erfasste Vorgänge und Bewegungen, eine nur in einem Augenblick sich deutlich zeigende Empfindung« festhaltend.
Diese Reduktion auf oberflächliche Bilder bzw. „snap shots“ ließe sich in Reisers auf Halbsätze reduzierter Sprache durchaus nachvollziehen. Hierbei muss allerdings angemerkt werden, dass die sprachliche Form auch mit der Übersetzung zusammenhängen kann. Da der Text ursprünglich auf Englisch verfasst wurde, war es Reiser ggf. gar nicht möglich syntaktisch komplexe Strukturen in den Text einzufügen. Dass die kurzen Verse durch identische Reime, Anaphern etc. eng miteinander verbunden werden, zeigt jedoch, wieviel Bedeutung jedem einzelnen Textstück und seiner bewusst gesetzten Position beigemessen wurde. Diese komplexe Struktur widerspricht wiederum der in der Neuen Subjektivität geforderten Einfachheit der Sprache. Ebenso widerspricht dem das relativ stringente Metrum von Macht kaputt was euch kaputt macht. Theobaldy beispielsweise lehnte die „strengen Metren“ kategorisch ab und nannte sie „vor allem aufdringlich und herrschaftssüchtig“. So finden sich also auch sprachlich Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede zwischen Macht kaputt was euch kaputt macht und der Neuen Subjektivität.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Song v.a. hinsichtlich seiner intentionalen Ausrichtung deutlich an die Neue Subjektivität erinnert. Das Ziel der Identifikation in einem souveränen, revolutionären Kollektiv als Gegenpol zur Technokratie der Arbeitswelt und dem Unterdrückungsapparat der Kulturindustrie ist sowohl im Song, als auch in der Neuen Subjektivität nachweisbar und stellt hier die Möglichkeit der Ausbildung von politischer Durchsetzungskraft dar. Sprachlich und auch hinsichtlich der Umsetzung des Ziels der Identifikation mit einem Kollektiv gibt es allerdings einige gravierende Unterschiede. Eine letzte Gemeinsamkeit stellt jedoch das Fehlen einer konkreten Vision, oder Handlungsanweisung dar. Wie die Analyse gezeigt hat, wird im Text nicht klar, wozu genau motiviert und was genau getan werden soll. Dies entspricht dem Schwund an Utopie, den Hiltrud Gnüg in der Neuen Subjektivität ausgemacht hat.
4.2 Mensch Meier (1971)
4.2.1 Entstehung und musikalische Eigenschaften
Der auch unter dem Namen BVG-Song bekannte Titel Mensch Meier
entstand durch eine Idee von Klaus Freudigmann. Er hatte eine alte Plattenpresse aufgegabelt und schlug vor, zu der gerade laufenden Kampagne gegen die geplante BVG-Fahrpreiserhöhung statt eines Flugblatts eine singende, klingende Flexi-Disc an die Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel zu verteilen.
Der Titel kann auf die gleichlautende Redensart zurückgeführt werden, welche Erstaunen ausdrückt und die u.a. durch den gleichnamigen Schlager von 1970 bekannt wurde. Anlass des Songs war eine Demonstration gegen Fahrpreiserhöhungen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Die Fahrpreise wurden 1972 von 40 auf 50 Pfennig für eine U-Bahn-Fahrt und von 50 auf 60 Pfennig für eine Busfahrt erhöht. Mit dem Stück engagierte die Band sich nun erstmals in der Lokalpolitik und positionierte sich im Gegensatz zu den vorangegangenen Stücken auch explizit auf Seiten einer konkreten politischen Forderung. Doch statt diese dementsprechend direkt im Song zu artikulieren, erzählt der Song die Geschichte des Schwarzfahrers Mensch Meier.
Der Song entspricht in Aufbau und Länge (3.38 min.), wie auch schon Macht kaputt, was euch kaputt macht, im Wesentlichen der typischen Pop- bzw. Rocksongstruktur aus Intro und dem Wechsel von Strophen und Refrain, allerdings ist Mensch Meier im Gegensatz zu Macht kaputt, was euch kaputt macht großteils in Dur-Harmonien verfasst. Drei Strophen wechseln sich mit dem Refrain ab, welcher am Ende noch dreimal wiederholt wird. Beim Refrain ist ein Chor zu hören, welcher von den Hausbesetzer_innen des Rauch-Hauses eingesungen wurde. Diese Zusammenarbeit, die man z.B. auch im Rauch-Haus-Song und bei Allein machen sie dich ein findet, fand noch vor dem endgültigen Bruch zwischen der Band und den Besetzer_innen statt. Neben der Integration des Chors entsprechen allerdings noch weitere Eigenschaften des Stückes nicht der klassischen Rocksonggestaltung. Die Gitarre fällt gänzlich weg und das Klavier ist das leitende Harmonieinstrument. Dazu kommen in den Strophen kurze Fill-Ins einer Querflöte, welche Jörg Schlotterer einspielte, der in der Band als religiöser Berater bezeichnet wurde. Dies war jedoch eher scherzhaft gemeint, da die Band trotz Reisers Christentum nicht religiös war. Wie schon bei Macht kaputt, was euch kaputt macht spielt der Bass hier keine auffallende Rolle und das Schlagzeug hält konstant einen 4/4 Takt, welcher allerdings in den Betonungen wechselt (Betonung auf der 2. Zählzeit in der Strophe und auf der 1. im Refrain). Dafür hält ein Shaker o.ä. Perkussionsinstrument sehr präsent und konstant die Viertel über nahezu den gesamten Song. Nur im Intro ist das Klavier allein zu hören und stellt das musikalische Thema vor. In Hinblick auf die Aufführungspraxis ist noch darauf hinzuweisen, dass der Refrain auf der Platte vom Chor der Hausbesetzer_innen und bei Live-Auftritten von der ganzen Band gesungen wurde, die im Text dargestellte aufbauende Form vom Solo-, über Duett- zum Chorgesang findet hier also keine Entsprechung. Der vom Chor vorgetragene und in sich bereits durch den identischen Stabreim besonders betonte Beginn des Refrains wird so zur exponiertesten Stelle des Stückes, die von einer Gegenmelodie in Blockakkorden vom Klavier begleitet wird.
4.2.2 Textstruktur
Der auffälligste Gegensatz zu Macht kaputt, was euch kaputt macht und anderen frühen Songs der Band ist, dass die elliptische und auf agitatorische Parolen ausgerichtete Textstruktur bei Mensch Meier durch ein flüssiges Narrativ ersetzt wird. Die erzählende Form erinnert an Balladen, Bänkelsang oder Gassenhauer in denen Rede und Gegenrede stattfindet und die oftmals bewusst eine „handfest-prakt. soz-pädagog. und moral. Nutzanwendung“ enthalten. Der Großstadtkontext, sowie der bewusst umgangssprachlich und im Berliner Dialekt gehaltene Sprachstil passen ebenfalls zur Bänkelsang- oder Gassenhauertradition. Die narrative Form des Textes wird direkt zu Beginn des Songs deutlich, wenn bereits im ersten Vers dessen Protagonist benannt wird und im Präteritum bei interner Fokalisierung dessen Befindlichkeit beschrieben wird („Mensch Meier kam sich vor“).
In einfacher Sprache, die im auf zwei Verse gedehnten Zeilenstil auch direkte Rede einbindet, wird eine Alltagssituation beschrieben, die wohl vielen der Rezipient_innen bekannt gewesen sein dürfte. Dabei sind nicht nur im Dialekt deutliche Verweise auf Berlin enthalten. Der „29er kurz vor Halensee“ bezeichnet die Buslinie, die in West-Berlin verkehrte. In den Strophen herrscht ein durchgängiger Kreuzreim vor, welcher im Refrain durch einen Binnenreim im ersten Vers (identischer Stabreim „Nee, nee, nee“ gefolgt vom Binnenreim „BVG“) und einem Stabreim von zweitem und drittem Vers abgelöst wird. Dies legt eine deutliche Betonung auf den ersten Vers des Refrains. Die drei Verse des Refrains werden direkt wiederholt, bevor sich die nächste Strophe anschließt, was ebenfalls dem Bänkelsang nicht untypisch ist. Das Metrum ist in den Strophen nahezu durchgängig sechshebig trochäisch, wobei manche Verse mit einem Auftakt beginnen (z.B. der 1. und 4. Vers der ersten, sowie der 2. und 4. Vers der zweiten Strophe) und die Kadenz ebenfalls nahezu konstant alterniert. Unterbrochen wird das Metrum zuweilen von einem Hebungsprall in der Versmitte (z.B. 1. Vers 1. Strophe und 3. Vers 2. Strophe). Die sechshebige Versform mit Hebungsprall und Kreuzreim erinnert an den elegischen Alexandriner, doch wird diese Form eben nicht konstant durchgehalten und entspricht auch nicht ganz der Alexandrinerform, welche u.a. im Jambus verfasst wäre. Jamben finden sich hier nur im Refrain, dessen zweiter Vers in solchen verfasst ist.
Demgegenüber besteht der erste Vers aus dem identischen Stabreim, in dem Reiser jede der drei Silben betont und vier Trochäen, wobei der letzte Versfuß katalektisch verkürzt ist. Der dritte Vers wiederum besteht aus vier Daktyllen mit Auftakt und ebenfalls zur männlichen Kadenz katalektisch verkürztem letzten Versfuß. Er wurde von Reiser aber so gesungen, dass der Auftakt übergangen wird. Reiser zieht den ersten Daktylus vor, wodurch eine weitere unbetonte Silbe zwischen erstem und zweiten Daktylus entsteht. Diese Betonungsverschiebung erklärt sich aus der inhaltlichen Betonung des „der“ vor dem „Spaß“, welche als direkter Hinweis auf die Fahrpreiserhöhung verstanden werden kann und entspricht zudem der auch vom Schlagzeug auf die erste Zählzeit verschobene Betonung.
4.2.3 Vom Individuum zum Kollektiv
Geht man davon aus, dass sich der Text an diese Traditionen (v.a. die des Bänkelsangs) anschließt, erschließt sich dessen politische Dimension umso klarer und der beinahe gleichnishafte Charakter der Erzählung wird deutlich. Die Erzählung des Songs handelt vom sich vermutlich auf dem Weg zur Arbeit befindlichen Mensch Meier, dessen Vorname ihn bereits als keine konkrete Person, sondern als typisierte Figur ausweist und in Anlehnung an das gleichlautende Sprichwort als Hinweis auf eine unerhörte Begebenheit gedeutet werden kann. Meier weigert sich lautstark die Fahrpreiserhöhung zu zahlen und meldet sich sogar freiwillig, als der „Kassierer“ nach Fahrgästen ohne Fahrschein fragt, statt zu versuchen unbemerkt ohne Fahrschein zu fahren. Er provoziert also bewusst den Konflikt, um auf die seiner Meinung nach ungerechte Fahrpreiserhöhung aufmerksam zu machen.
Dieser in der ersten Strophe zunächst nur zwischen Meier und dem BVG-Personal ausgetragene Konflikt dehnt sich in der zweiten Strophe aus, als sich ein weiterer Fahrgast mit ihm solidarisiert. Der Fahrgast spricht dann ab dem zweiten Vers der zweiten Strophe allerdings schon nicht mehr nur von den Fahrpreisen, sondern von der Politik bzw. den Politiker_innen allgemein, wobei bereits eine deutliche Trennung in ein „Wir“ und ein „Die“ zu erkennen ist: „Was die so mit uns machen, ist der reine Hohn. / Erst wolln'se von uns immer höhere Steuern / und was se dann versieben, kostet unseren Lohn.“ Die schlichte Argumentationsweise, sowie der direkte unreflektierte Bezug auf die Politiker_innen kann hier, wie auch die deutlich dialektal gefärbte Sprache, ein Hinweis auf ein bildungsfernes Arbeiter_innenmilieu sein, welche auch der typisierten Figur des Mensch Meier entspräche. Dergleichen hat auch David Robb in seinen Untersuchungen herausgearbeitet.
Dem Stereotypen Mensch Meier steht das BVG-Personal ebenfalls typisiert gegenüber und verdeutlicht dies, indem es ebenfalls umgangssprachlich auf die Entrichtung des Fahrpreises besteht und sich im siebten Vers der zweiten Strophe selbst auf seine Funktion reduziert um sich von Meier zu distanzieren: „Was ihr da quatscht, hat mich nicht zu interessieren.“ Es wird also abermals deutlich, dass es sich hierbei nicht um einzelne Charaktere, sondern um Stereotype handelt, die einander gegenübergestellt werden. In der dritten Strophe verschärft sich der Konflikt noch weiter, wenn der „BVG Knecht“ im ersten Vers den Fahrer auffordert, den Bus anzuhalten um „den Meier“ aus dem Bus zu entfernen und die Polizei zu rufen. Dies führt zur Solidarisierung aller Fahrgäste, die dies verhindern wollen. Dabei spielen zum einen ihre Arbeitsverhältnisse, die Pünktlichkeit erfordern, eine Rolle. Ebenso schließen sie sich im fünften und sechsten Vers der dritten Strophe aber auch den politischen Aussagen des zweiten Fahrgastes an: „Und wenn die da oben x-Millionen Schulden haben, / dann solln'ses bei den Bonzen holen, die uns beklauen.“ Die kollektive Identifikation mit der politischen Einstellung, welche sich an die Verweigerung der Fahrpreiserhöhung anschließt, findet hier also im kollektiven Ausruf ihren Ausdruck, wobei sich dieses Kollektiv direkt gegen die BVG-Mitarbeiter_innen und indirekt gegen „die da oben“ wendet, sich dadurch positioniert und auch erst darin definiert. Dieser Zusammenschluss der Fahrgäste vollzieht sich also ausgehend von der Weigerung des Einzelnen, an welche sich ein weiterer Fahrgast anschloss, bis es im neunten und in den Refrain überleitenden Vers der dritten Strophe heißt: „Und da riefen alle.“
Dieser Bewegung vom stereotypen Individuum hin zum Kollektiv entspricht auch die analog vollzogene Bewegung der Ablehnung der Politik. Nachdem zunächst nur die Fahrpreiserhöhung im konkreten Moment der Busfahrt abgelehnt wurde, wird diese ablehnende Haltung zunächst vom zweiten Fahrgast und schließlich von allen Fahrgästen auf die Politik im Allgemeinen übertragen. Die anderen Fahrgäste haben dabei zunächst gar keine andere Möglichkeit als den Konflikt wahrzunehmen. Ihre Reaktionen, die Solidarisierung, und die Erweiterung des Fokus auf größere politische Zusammenhänge, gehen jedoch über diese erzwungene Gemeinschaftssituation hinaus. Darin zeigt sich die Intention der Band, alltägliche Situationen und individuell erscheinende Konflikte zum Ausgangspunkt zu nehmen, um von ihnen ausgehend größere politische Problematiken aufzuzeigen und v.a. für die Rezipient_innen nachvollziehbar zu machen.
4.2.4 Authentizität und Solidarität
Die Überführung vom Individuum und seinem Einzelkonflikt zu gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen ist eine für die Texte Reisers typische Konstruktion, wie sich im Folgenden noch zeigen wird. Der Zusammenhang des Konfliktes des Einzelnen, mit der Gesellschaft wird hier durch die Situation im Bus narrativ realisiert. Dabei wird an die Tradition des Bänkelsangs etc. angeknüpft, was für die Rockmusik der Zeit nicht unüblich war. In dieser geht es, wie bereits zitiert, oft nicht, wie „im Falle einer objektiven Gesellschaftsanalyse (beispielsweise einer politischen Streitschrift) um die Wahrhaftigkeit und Korrektheit der Aussage [...] [sondern] um die wahrhafte und korrekte Wiedergabe der Spiegelung der Politik im Subjekt“. Auch der Zugewinn an Authentizität, der durch die beispielhafte Erzählung einer alltäglichen Situation einfacher Arbeitnehmender und die solidarisierende Wirkung der weiteren Entwicklung des Textes entsteht, entspricht den Zielen der Rockmusik und ganz besonders denen der Band.
Wie bereits erwähnt war ein weiteres Ziel der Band die linke Szene zu vereinen. In der im Folgenden beschriebenen solidarisierenden Wirkung des Textes kann der Versuch erkannt werden, dies umzusetzen. Zieht man auch hier die Thesen Gert Hagelweides hinzu, zeigt sich noch deutlicher als bei Macht kaputt, was euch kaputt macht die Dreiteilung in „Akteur“, „Feind“ und „Rufempfänger“, die sich bei Mensch Meier innertextuell vollzieht. Der „Akteur“ wird hier eindeutig durch die Figur des Mensch Meier und die sich mit ihm solidarisierenden anderen Fahrgäste dargestellt. Diese stellen innerhalb des Textes somit die „Rufempfänger“ dar. Der „Feind“ ist zunächst nur das BVG-Personal, wird dann aber im Zuge der Solidarisierung der Fahrgäste schnell auf „die da oben“ und „die Bonzen“ ausgeweitet. Die von Hagelweide beschriebene solidarisierende Wirkung dieses Zusammenspiels wird so direkt im Text exemplifiziert. Gleichzeitig soll diese Konstruktion, so Hagelweide, auch immer eine Wirkung auf die Rezipient_innen des Songs haben, die sich dadurch ebenfalls mit dem „Akteur“ solidarisieren. Da der Song auf Flexi-Discs direkt an BVG-Fahrgäste verteilt wurde, liegt es auf der Hand, dass sich die Rezipient_innen mit den Fahrgästen im Song identifizieren können sollten, die sich wiederum mit Mensch Meier solidarisieren. Der zunächst nur von Mensch Meier, dann aber von allen Fahrgästen gesungene und direkt wiederholte Refrain, ermöglicht es dem Publikum mitzusingen und sich so ebenfalls mit der Figur des Mensch Meier zu solidarisieren, bzw. sich mit dem „Akteur“ zu identifizieren. Die Rezipient_innen stellen dann den extratextuellen „Rufempfänger“ dar und transportieren so die solidarisierende Wirkung aus dem Text heraus. Dies ist die von Hagelweide beschriebene Wirkung der Konstellation aus „Akteur“, „Rufempfänger“ und „Feind“.
Das lyrische Ich tritt durch den personalen Erzählstil im Songtext gar nicht in Erscheinung, wodurch auch keine Verbindung zwischen lyrischem Ich und empirischem Ich des Sängers entstehen kann. Dieser wird allerdings durch die Erweiterung des „Akteurs“ über die innertextuelle Ebene hinaus miteingeschlossen. Denn in dem Maße, in dem sich die Rezipient_innen in ihrer realen Lebenswirklichkeit angesprochen fühlen und sich mit Mensch Meier und den anderen Fahrgästen solidarisieren und identifizieren, wird auch der Sänger und die Band automatisch mit einbezogen.
4.2.5 Narratives Rollenspiel und der Lebensstil der Band
David Robb hat die narrative Form dieses Textes untersucht und dazu interessante Thesen aufgestellt. Er zieht ebenfalls die Verbindung zur Balladen- und Bänkelsangtradition, fokussiert sich dabei aber v.a. auf deren Wiederaufleben im frühen 20. Jahrhundert. „To set the context for the agit-rock of Ton Steine Scherben in the counter-cultural scene of West Berlin [...] it is useful to return to the Weimar Republic, where many of the theories of proletarian performance art were conceived.“ Das ist nachvollziehbar, da zu der Zeit die Balladen- und Bänkelsangtradition wieder auflebte und neue Impulse bekam, u.a., dass nun vermehrt allgemeinmenschliche, unheroische Alltagsstoffe Eingang in die Texte fanden. Robb bezieht sich in seiner Arbeit insbesondere auf Frith und zitiert diesen wie folgt: “In short, the rise of »mass culture« meant new forms of social activity, new ways of using aesthetic experience to define social identity.”
Er bezieht den Song auf die Tradition des Bänkelsangs als Phänomen der Massenkultur, die er im Anschluss an Frith als neue Möglichkeit der Definition einer sozialen Identität ansieht, und kommt damit ebenfalls zum Schluss, dass sich hier ein Kollektiv definiert. Er sieht dies jedoch nicht als im Text immanent präsentierte gleichnishafte Lehre, sondern als eine durch die ästhetische Erfahrung den Rezipient_innen vermittelte Dynamik an. Was Frith und Robb hier als Möglichkeit der Bildung sozialer Identität durch ästhetische Erfahrung bezeichnen ist genau das, was in Bezug auf das Aufkommen der Rockmusik in Deutschland beschrieben wurde. Die Massenkultur entwickelte sich sowohl zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als auch in den Sechziger- und Siebzigerjahren rasant weiter und ermöglichte so, was dazwischen nicht möglich war; die individuelle Ausbildung einer sozialen Identität anhand von kulturellen Bedeutungsträgern wie z.B. Kleidung, oder eben Musik. Mit Hilfe der ästhetischen Erfahrung der Rezeption eines Songs bzw. einer Band können also die Rezipient_innen eine soziale Identität entwickeln, indem sie sich mit der Band, ihrem Publikum oder eben ganz konkret dem Songinhalt identifizieren. Die Orientierung auf ein Massenpublikum wiederum war ein zentrales Anliegen Reisers und entspricht zudem ebenfalls der Bänkelsangtradition. Die narrative Form des Bänkelsangs impliziert eine relativ große Distanz zwischen Rezipient_innen und innertextlicher Realität, die durch einen Transfer überbrückt werden muss, da es keine Form der direkten Ansprache im Text gibt, die die Rezipient_innen auf sich beziehen könnten. Inwiefern sich die Rezipient_innen durch die ästhetische Erfahrung dennoch angesprochen fühlen können, obwohl ihnen bewusst ist, dass sie nicht persönlich angesprochen werden, wird v.a. in Hinblick auf Dieter Wrobels Thesen nachvollziehbar, welche bei der Untersuchung der anderen Songs eine wichtige Rolle spielen werden. Für Mensch Meier ist das von Robb beschriebene narrative Rollenspiel jedoch ausschlaggebender.
Robbs diesbezügliche Kernthese lautet, dass der Text ein narratives Rollenspiel darstellt, welches als Mittel zur Identifikation mit politischen Haltungen genutzt wird. „Narrative role-play in song […] functions as a means of direct identification with political stances.“ Er bezieht sich dabei auf Bertold Brechts und Hanns Eislers Werke, die er als Beispiele der genannten Balladen- und Bänkelsangtradition anführt und in denen er Vorbilder der Songs von Ton Steine Scherben sieht. Das zumindest einige dieser Werke Reiser und der Band bekannt waren, beweist deren bereits erwähnte Interpretation des Einheitsfrontliedes, doch soll an dieser Stelle nicht näher auf diese Verbindung eingegangen werden, welche bei Robb nachgelesen werden kann. Folgt Man Robb, so stellt die narrative Form mit der stereotypen Rollen-Figur des Mensch Meier ein Identifikationsangebot an die Rezipient_innen dar, wobei die Rollen-Figur als Medium der politischen Einstellung genutzt wird. Durch die auf die Rezipient_innen zugeschnittene Identifikationsfigur und das an deren Lebensumständen und Alltag angelehnte Narrativ wird also eine gewaltbereite, antikapitalistische Einstellung vermittelt (vgl. „brennt die BVG“ bzw. „die Bonzen […] die uns beklauen“). Diese findet ihren Ausdruck auch im Paratext des Songs. Auf der Flexi-Disc befand sich folgender Aufdruck:
Herr Blödke zahlt die neuen BVG-Preise. Mensch Meier fährt mit seinen Kollegen umsonst. Man fährt besser mit der BVG schwarz. Null Tarif! Die BVG-Preise wurden erhöht. Warum? Weil der Senat unser Geld nicht für uns ausgibt, sondern für Sachen, die uns nicht nutzen. Der Senat lügt uns vor, daß die BVG ein Defizit hätte, aber gerade soviel kostet die »Freiwillige Polizeireserve«. Für die Starfighter der Bundeswehr könnten wir in ganz Berlin 10 (zehn) Jahre umsonst fahren. Wir sollen zahlen, zahlen, zahlen, bis wir schwarz werden. Da fahren wir lieber gleich schwarz. Deshalb: Gar nicht zahlen – SCHWARZFAHREN!!!!!
Hier artikuliert die Band direkt ihre politischen Forderungen und erklärt den Zusammenhang der Fahrpreiserhöhung aus ihrer Sicht. Dadurch werden die inner- und die extratextuelle Ebene des Songtextes verbunden. Derartige Verbindungen sieht Robb auch auf andere Weise in den Songs von Ton Steine Scherben realisiert. Er sieht in Reiser einen Künstler, der gleichzeitig seine eigene Perspektive und die der Songs, bzw. der Protagonisten einnimmt:
On one hand he is a performer enacting various roles ranging from violent anarchist and teenage delinquent, to political philosopher or sensitive lover. At the same time he is playing his authentic self: the stories, such as the occupation of the Georg-Rauch-Haus in 1971, are based on radical actions in which the group directly participated. The listener is caught up in this musical enactment of the hopes, aspirations and conflicts of the young Kreuzberg anarchists, apprentices and workers.
Das Authentizität für Reiser und Ton Steine Scherben einen großen Stellenwert hatte wurde bereits beschrieben. Auch wurde bereits darauf hingewiesen, dass die besondere Lebensweise und v.a. die Partizipation der Band an politischen Aktionen wie Hausbesetzungen etc. authentifizierend wirkten und von den Rezipient_innen anerkannt wurden. Doch scheint Robb hier Gefahr zu laufen Reiser und seine Songprotagonisten allzu schnell gleichzusetzen. Abermals bezieht Robb sich auf Frith, wenn er diesen Fehlschluss vermeiden will:
»The [pop] singer is playing a part, and what is involved is neither [...] the equation of role and performer as in chanson [...] nor critical commentary (as in German theater song) but, rather, an exercise in style, an ironic — or cynical — presentation of character as style.« Rather than falling into either of Frith’s blunt categories, this article will argue that Rio Reiser’s narrative role-play straddled both these stances, embodying a playful presentation of »character as style« combined with an authentic critical voice. This will be seen to have stemmed from Ton Steine Scherben’s roots in agitprop theatre which spawned an awareness of the aspect of »play«. This in turn produced an element of ambiguity and fun, which, as we will see, did not rest comfortably with the dogmatic views of anarchist politicians in Berlin Kreuzberg.
Robb setzt lyrisches und empirisches Ich also nicht gleich. Er sieht vielmehr eine Verbindung zwischen dem Stilmittel der narrativen Darstellung von Stereotypen als Identifikationsangebot und einer persönlich artikulierten und selbst gelebten kritischen Einstellung im Text. Das lyrische Ich der Rollen-Figur und das empirische Ich des Sängers werden hier also nicht gleichgesetzt, sondern mit einander verbunden. Die Lebensweise, das Selbstverständnis und die politischen Einstellungen, welche Reiser und Ton Steine Scherben beispielsweise durch ihre schriftlichen Veröffentlichungen auch nach außen hin verkörperten, sieht Robb demnach als eng mit den Inhalten und Perspektiven ihrer Songs verwoben an. Ohne dabei den Fehlschluss einer vorschnellen Gleichsetzung von Sänger und Songprotagonist zu begehen, plädiert er somit dafür, bei der Deutung der Songs den Deutungsrahmen der Rezipient_innen der West-Berliner (und bundesdeutschen) linken Szene der Siebzigerjahre zu berücksichtigen, in dem die Band und ihr Lebensstil bekannt waren. Und wieder zitiert Robb Frith um seine Thesen zu untermauern: „[The] issue in lyrical analysis is not words, but words in performance. Lyrics [...] are a form of rhetoric or oratory; we have to treat them in terms of the persuasive relationship set up between singer and listener.” Friths Fokus auf die Aufführungspraxis ist zwar diskutabel, doch sicherlich stellt sie einen wesentlichen Aspekt der Songtextanalyse dar, da dabei das Verhältnis von Sänger_in, lyrischem Ich und Rezipient_innen nicht außer Acht gelassen werden darf. Dieses Verhältnis schließt neben der Aufführungspraxis aber eben auch größere Kontexte, wie z.B. den Ruf als Hausbesetzer-Band, oder die politische Einstellung der Band mit ein. Gerade die politische Einstellung wurde laut Robb durch die Songs selbst vermittelt, auch wenn sie diese nicht immer direkt artikulierten. Mensch Meier und v.a. die Konstruktion des narrativen Rollenspiels stellen laut Robb ein Medium für diese Einstellung dar.
Die identifikatorische und solidarisierende Wirkung dieses Songs wurde bereits analysiert. Daneben war die Anregung zur Reflexion der eigenen, sowie der gesamtgesellschaftlichen sozialen Verhältnisse ein erklärtes Ziel der Band. Zur Identifikation und Reflexion kam es jedoch oft nicht, da die humoristischen Züge der Songs von Teilen der Rezipient_innen sehr kritisch gesehen wurden. Die Geschichte Mensch Meiers hat beispielsweise durchaus humoristische Züge, z.B. wenn dieser sich gleich zu Beginn „wie ne Ölsardine“ fühlt, oder sein „Sparschwein“ füttert. Die ganze Darstellung der alltäglichen Situation auf dem Weg zur Arbeit hat sowohl humoreske, als auch sehr ernstzunehmende Elemente und changiert zwischen diesen Sphären, was sich auch in der Musik widerspiegelt. Der Song kann weder gänzlich ernst genommen werden, da gerade solche Formulierungen wie „Ölsardine“ dafür unpassend wären, kann aber auch nicht nur scherzhaft verstanden werden, da er dafür zu deutlich problematisiert und eine ggf. gewaltbereite politische Haltung artikuliert. Diese Mischung aus Humor und politischer Haltung hat der Band viele Zuhörer_innen über alle politischen Lager hinweg verschafft, aber auch für viel Unmut in eben diesen Lagern gesorgt. Ein vielzitiertes Beispiel dafür ist der Auftritt der Band in der Technischen Universität (TU) in West-Berlin im April 1974 (s. 3.4 Von West-Berlin nach Fresenhagen). Auch Robb bezieht sich in seiner Untersuchung darauf: „The anarchist leaders were allegedly horrified, unable to see how such an accessory of the currently fashionable Glam Rock could have a role in the class struggle. Dies war ein weiterer Aspekt, der zum Bruch mit der linken Szene führte, da die zwar politische, aber undogmatische und humorvolle Art der Band auf Widerstand stieß.
Robbs Aufzeigen humoristischer Elemente in Mensch Meier, sowie seine Thesen zum narrativen Rollenspiel und dessen Zusammenwirken mit dem öffentlich bekannten Selbstverständnis und den politischen Aktionen der Band sind soweit nachvollziehbar. Doch bleiben letztere eine Gratwanderung zwischen der Berücksichtigung dessen, wofür die Band bekannt war und was den Rezipient_innen bewusst gewesen sein dürfte und der automatischen Gleichsetzung von Sänger und Songprotagonist, die Robb schließlich doch vollzieht. „On their seminal album Keine Macht für Niemand lead singer Rio Reiser is the squatter anarchist. Each song tells a different story of life in their community.“
4.2.6 Mensch Meier und die Neue Subjektivität
Bei Mensch Meier lassen sich bereits mehr Verbindungslinien zur Neuen Subjektivität finden als noch bei Macht kaputt, was euch kaputt macht. Die Alltagssituation als Ausgangspunkt stellt bereits die erste Gemeinsamkeit dar. Dazu kommt, dass die im Song auf zweifacher Ebene vollzogene Bewegung vom Individuum zum Kollektiv, bzw. vom konkreten Problem zur allgemeinen Politik, genau dem Grundsatz der Verbindung von Privatem und Politischem in der Neuen Subjektivität entspricht. Auch der Modus dieser Bewegung lässt sich mit den bisher erarbeiteten Eigenschaften der Neuen Subjektivität vergleichen, in der die Erlebnisse des Einzelnen in seiner Umwelt quasi als pars pro toto für größere politische Kontexte stehen. Dies erklärt auch die sprunghafte Entwicklung der Kritik, die sich zunächst nur gegen die BVG, dann aber sehr schnell gegen „Bonzen“ etc. wendet, wobei die BVG-Mitarbeitenden offensichtlich nicht zu denen „da oben“ gehören.
Wie bereits zitiert bildet die „Aufarbeitung von durch Kollision des Selbst mit der Umwelt produzierten Erlebnisstoffen“ in der Neuen Subjektivität oftmals den Modus, durch den die politische Dimension des Persönlichen und Alltäglichen erschlossen wird. Dies erklärt die Entwicklung von der schlichten Weigerung die Fahrpreiserhöhung zu zahlen zur allgemein politischen Ebene. Die Erfahrung des Individuums wird zudem auch in der Neuen Subjektivität dazu genutzt, Solidarität zu erzeugen. Dergleichen hat Jürgen Theobaldy erklärt, der im Ausgangspunkt der persönlichen Erfahrung die Möglichkeit sieht, „zwischen Gegenstand und politischem Engagement zu vermitteln. Erfahrungen werden ja immer in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation gemacht“. Dies verweist auf den Ausgangspunkt der alltäglichen Situation, der bereits als erste Gemeinsamkeit mit der Neuen Subjektivität erwähnt wurde. Der alltägliche Kontext rückt, ähnlich wie die dialektal geprägte Umgangssprache, den Text näher an die Lebenswelt der Rezipient_innen heran. Ebenso wandten sich die Künstler_innen der Neuen Subjektivität in betont einfacher, kunstloser und das Einverständnis mit den Rezipient_innen suchender Umgangssprache an dieselben. Da die Umgangssprache in vielen Texten Reisers vorherrscht, wird sich diese Gemeinsamkeit bei der Untersuchung der anderen Songtexte wiederholen.
Ein weiteres sprachliches Merkmal, dass an die Ausrichtung der Neuen Subjektivität erinnert, ist die Verwendung des Präsens im Refrain und des Imperfekts in der Strophe. Wobei „das Imperfekt als Tempus erinnerter Zeit [...] auf den realen Jetztpunkt des Ich bezogen“ wird (s. 2.2.2 Poetologische Konsequenzen). Die Vergangenheitsform vermittelt hier also den Eindruck der Gegenwärtigkeit und trägt somit ebenfalls zur Unmittelbarkeit des Textes bei. Die in das Narrativ eingebaute Parole des Refrains erinnert an Macht kaputt, was euch kaputt macht und die Wurzeln der Band als Begleitung des H.C.T. Allerdings wird die parolenhafte Zusammenfassung hier nun v.a. auf den ersten Refrainvers reduziert. Diese Verwendung einer Parole widerspricht allerdings, wie schon bei Macht kaputt, was euch kaputt macht den Zielen der Neuen Subjektivität und stellt somit einen deutlichen Unterschied dar. Ebenso fehlt aufgrund des personalen Erzählstils die Artikulation eines lyrischen Ichs, welches somit auch kaum mit einem empirischen Ich gleichgesetzt werden kann. Dennoch wird durch die Konstellation von „Akteur“, „Feind“ und „Rufempfänger“ nach Hagelweide eine solidarisierende Wirkung im Text und über diesen hinaus erzeugt, die sowohl den Sänger und die Band, als v.a. auch die Rezipient_innen mit einschließt.
4.3 Wir müssen hier raus (1972)
4.3.1 Entstehung und musikalische Eigenschaften
Der Song Wir müssen hier raus erschien 1972 als erster Song auf dem zweiten Album „Keine Macht für Niemand“, das wegen des schlichten Covers auch als „die Weiße“ bezeichnet wird. Die
Songs für Keine Macht für Niemand [entstanden] vor dem Hintergrund des sich verschärfenden Konflikts zwischen Staat und Gegenkultur: Hausbesetzungen, die Radikalisierung des Blues und der Haschrebellen durch Verhaftungen und der Tod Georg von Rauchs und Thommy Weißbeckers. In Ergänzung zu den Alltags-Schilderungen der ersten Platte weisen die Songs vermehrt reale Bezüge auf.
Der Song entspricht wie bereits die ersten beiden in weiten Teilen der typischen Rocksongstruktur, auch wenn er mit 5:17 vergleichsweise lang ist. Da das Album als Doppel-LP veröffentlicht wurde, war eine derartige Länge möglich. Das Stück beginnt mit einem Intro mit. Gitarrensolo, dass von einem treibenden, in Achteln abwärts spielenden Bass und einem die Gitarre harmonisch untermalenden Keyboard begleitet wird. Das Schlagzeug setzt ein und die erste Strophe beginnt mit einem rocktypischen Rhythmus bei dem sowohl alle Viertel, als auch das fünfte Achtel betont werden. Dieser wird zu Beginn des Refrains von konstanten Vierteln auf dem Becken und einem offbeatbetonten Rhythmus von Bass und restlichem Schlagzeug abgelöst, der gegenüber der Strophe zunächst eher zurückhaltend, oder verlangsamend wirkt. Im zweiten Teil des Refrains, der in der Textversion des Gesamtwerkes auch von den ersten beiden Versen getrennt wird, spielt die Rhythmusgruppe allerdings wieder im Onbeat, wodurch trotz des allgemein laid back gehaltenen Rhythmus wieder eine etwas treibendere Dynamik entsteht. Außerdem setzt ein leiser einstimmiger Chor im Hintergrund ab dem dritten Vers des Refrains ein, der diesen noch betont.
Dieser Bruch im Refrain spiegelt sich auch im Text wider, wie die Analyse zeigen wird. Vor der dritten Strophe erklingt abermals ein Gitarrensolo über die Strophe und schließlich steigert die Band in der dritten Strophe die Spannung durch einen konstanten Achtel-Rhythmus, häufige Fill-Ins des Schlagzeugs, sowie die abermalige Begleitung durch den Chor. Der Text ist in einem sehr unregelmäßigen Kreuzreim gehalten und enthält schon in den ersten Versen sowohl unreine, als auch identische Reime. Im Refrain werden die ersten beiden Verse ungereimt und eher wie bei einer Parole aneinanderreiht. Die Verse drei und vier bilden daraufhin einen Paarreim und den fünfte Vers bildet eine wörtliche Wiederholung der Parole „Wir werden es schaffen“. Man kann also von einer Steigerung der verwendeten Stilmittel sprechen, welche die Wende vom pessimistischen „Wir müssen hier raus das ist die Hölle“ im ersten Vers des Refrains zum optimistischeren „Wir werden es schaffen“ des letzten Refrainverses begleitet. Diese Form erinnert an die aufs Strophenende hinführende Textstruktur in Macht kaputt, was euch kaputt macht und entspricht auch der musikalischen Gestaltung, die vom zunächst zurückhaltender wirkenden Refrainbeginn zum treibenderen Refrainende gesteigert wird. So werden die ersten beiden Verse des Refrains noch von Moll-Harmonien begleitet, während der dritte Vers mit D-Dur eröffnet wird und so den Umbruch umsetzt.
Der Text der ersten beiden Strophen enthält konstant alternierende Kadenzen, wohingegen im Refrain männliche Kadenzen überwiegen. Auch in der dritten Strophe liegen nach den ersten beiden Versen ausschließlich männliche Kadenzen vor. Dies weist bereits auf eine Verbindung von Refrain und letzter Strophe hin. Das Metrum ist im gesamten Text steigend, allerdings wechseln sich dabei Jambus und Anapäst in zunächst unregelmäßiger Reihenfolge ab und es gibt im ersten Teil des Textes nur wenige Verse, in denen ein Metrum konstant vorherrscht. Die Betonungen richten sich dabei eher nach dem Rhythmus der Musik, als nach einem eigenständigen Rhythmus des Textes. In der dritten Strophe wechseln sich ab dem dritten Vers jedoch Jambus und Anapäst regelmäßig versweise ab. Diese eigenständige Struktur betont den Text hier zusätzlich. Außerdem wird die den Refrain durchziehende Anapher „Wir“ hier aufgegriffen und auf „Wir sind“ ausgedehnt, was sich direkt aus der variierten Wiederholung der Refrainverse ergibt und ebenfalls zur Sonderstellung der dritten Strophe beiträgt.
4.3.2 Mehr oder weniger als ein Generationenkonflikt?
Das Stück entstand als „Auftrag für einen Film über das Kreuzberger Jugendzentrum.“ Dieses war noch vor dem Rauch-Haus durch eine Besetzung entstanden und war, wie später das Rauch-Haus oder die Band-Kommune am Tempelhofer Ufer, zum ersten Anlaufpunkt für die Jugendlichen des Viertels geworden, die in der Schule, der Lehre, oder zu Hause Probleme hatten. Da das Stück vor diesem speziellen Hintergrund geschrieben wurde, wundert es nicht, dass ein Konflikt mit dem Vater der die Wohnsituation miteinbezieht bereits in der ersten Strophe Thema wird und das ganze Stück durchzieht. Generationenkonflikte waren bereits früher in den Texten Reisers thematisiert worden, so z.B. in Ich will nicht werden, was mein Alter ist, das 1971 auf „Warum geht es mir so dreckig?“ erschien. Reiser nahm dabei stets die Perspektive der Jugendlichen ein, doch „wenn in Texten von Ton Steine Scherben Konflikte mit der Elterngeneration thematisiert werden, so wird dieser mit Verständnis begegnet [und] ihr Verhalten [wird] als Konsequenz der Lebensbedingungen des Proletariats interpretiert, wie in Wir müssen hier raus.“
Die aus den Lebensbedingungen der Eltern resultierenden Lebensumstände der Jugendlichen und deren Lebensgefühl aufzugreifen und letztere anzusprechen, war bekanntermaßen ein Ziel der Band. In Wir müssen hier raus fällt auf, dass das lyrische Ich „den ganzen Tag auf Arbeit“ ist, während dessen Vater „fast jeden Tag zuhause“ ist. So wird aus der Perspektive des lyrischen Ichs die prekäre Lage des pessimistischen, arbeitslosen Vaters in einer kleinen Wohnung („zuhaus ist kaum noch Platz für drei“) beschrieben, die die Lebensumstände des lyrischen Ichs determiniert und dessen Lebensgefühl prägt. Für Wolfgang Seidel, den Schlagzeuger der Band, ist Wir müssen hier raus das Stück, das dieses „Lebensgefühl am besten beschreibt. Eine der ersten Jugendbewegungen Anfang der Sechziger waren ja die Gammler, die bloß raus [wollten] aus diesem Land, überall hin in Europa, aber nur raus aus diesem damals noch sehr grauen und repressiven Deutschland.“ Die Abkehr der Jugendlichen richtet sich dabei u.a. natürlich auch gegen die eigene Elterngeneration, doch stellen Reisers Texte die Probleme mit dieser stets als durch die gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation bedingt dar.
Die Forderung nach Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren ein eng mit dem Generationenkonflikt verbundenes Thema war, wird auch in Reisers Texten immer wieder angedeutet, aber nie detailliert ausformuliert. So z.B in Jenseits von Eden, wo es zu Beginn der zweiten Strophe heißt: „Wo warst du im Krieg? […] Hörst du die Räder rollen?“ Mehrfach wurde in der Sekundärliteratur darauf hingewiesen, dass hierbei die Züge nach Auschwitz gemeint sind. Und auch in Wir müssen hier raus wird am Ende der zweiten Strophe die NS-Vergangenheit angedeutet: „Darum bin ich auch den ganzen Tag auf Arbeit / Man kann sagen, ich bin so frei.“ Dies erinnert deutlich an die Toraufschrift der NS-Konzentrationslager „Arbeit macht frei“. Die prekären Lebens- und Arbeitsverhältnisse des lyrischen Ichs des Songs mit der Situation im Konzentrationslager zu vergleichen erscheint aber doch sehr unangebracht, auch entbehrt der Songtext weiterer Verweise, die eine derartige Verbindung nahe legen würden.
Warum Reiser die NS-Vergangenheit hier nur andeutet und auch sonst nie detaillierter zum Thema machte, kann in dieser Arbeit nicht abschließend geklärt werden. Es liegt allerdings nahe, dass er aufgrund seiner prinzipiell meist auf die aktuellen Lebensumstände und die Möglichkeiten ihrer Veränderung ausgerichteten Perspektive die historische Aufarbeitung nicht näher thematisierte. Diese eher zukunftsorientierte und auf gesellschaftliche Veränderungen abzielende Perspektive aus den Lebensumständen der Jugendlichen des Proletariats heraus hat auch David Robb beschrieben. „[This] is no intellectual satire, rather an anguished cry of desperation mixed with utopian anticipation.“ Der verzweifelte Ruf nach Befreiung aus dem „grauen und repressiven Deutschland“ (s.o.) richtet sich in Wir müssen hier raus aber eben nicht direkt gegen die Elterngeneration, sondern bindet diese ein. Als tatsächliches Problem wird die gemeinsame prekäre soziale Lage identifiziert. Dies kann als Konsequenz aus der eingangs zitierten Tendenz zur Darstellung des verschärften Konfliktes zwischen Staat und Gegenkultur gelesen werden.
Die erste Strophe beginnt mit einer Anspielung auf einen Schlager aus den 40er Jahren, der wohl auch eher der Elterngeneration der angesprochenen Jugendlichen bekannt gewesen sein dürfte. In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine von Marika Rökk stammt aus dem Film „Die Frau meiner Träume“ und deutet bereits einen romantischen oder sexuellen Kontext an, der in der Version Reisers („Im Bett ist der Mensch nicht gern alleine“) noch konkretisiert wird. Eben daran entzündet sich hier der Konflikt, wenn das lyrische Ich sich an seine_ihre Partner_in wendet und vermutet: „mein Alter hat was gegen dich.“ Doch der Konflikt wird nur angedeutet und nicht ausgetragen, da er nur symptomatisch für eine grundlegendere Problematik steht. Der Konflikt mit dem Vater und
die Artikulation sexueller Frustration [sollen] zur Reflexion ihrer gesellschaftlichen Ursachen führen und deren Erkennen soll den Ausgangspunkt für die politische Befreiung, mit der auch die sexuelle einhergeht, bilden und die Generationen im Erkennen der Ursachen ihrer intergenerationellen Konflikte einen. Dem Songtext kommt dabei die Aufgabe zu, die Vereinzelung der Unterdrückten aufzuheben und ein Bewusstsein für die Klassenzugehörigkeit zu schaffen.
Deshalb wird der Konflikt mit dem Vater in einen größeren Gesamtkontext eingebunden, da das lyrische Ich noch mehr zu beklagen hat, als das Verhältnis zu seinem Vater. Denn für das lyrische Ich ist „die Welt nicht mehr in Ordnung“. Dieses allgemeine Beklagen betrifft dabei nahezu alle Lebensbereiche; den Arbeitsplatz, die Situation in der Wohnung, die Medien und auch religiöse Hilfsangebote („Tagesschau“ und „Wort zum Sonntag“). Es wird also eine allgemein ablehnende Haltung eingenommen, deren negative Einstellung im Refrain („das ist die Hölle / Wir leben im Zuchthaus!“) kulminiert. Doch in der zweiten Hälfte des Refrains wendet sich diese negative Einstellung („Wir sind geboren, um frei zu sein“), was auch in der musikalischen und rhetorischen Umsetzung seinen Ausdruck findet. Der rückwärtsgewandte Offbeat wechselt wieder in den treibenderen Onbeat und auch die verwendeten Stilmittel nehmen zu (z.B. Paarreim). So wird der Refrain rhetorisch und musikalisch der inhaltlichen Wende hin zum Optimistischen entsprechend entwickelt.
Die zweite Strophe setzt allerdings abermals an der negativen Einstellung und an der Figur des Vaters an. Doch auch diesmal eskaliert der Konflikt nicht und letztlich wird dem Vater sogar zugestimmt, wenn er die Kneipe der zu engen Wohnung vorzieht („Er sagt der schönste Platz ist immer an der Theke / da hat er recht zu Haus ist kaum noch Platz für drei“). Der Konflikt mit dem Vater ist hier also nicht, wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre, ein Versuch, die NS-Vergangenheit aufzuarbeiten, sondern stellt sich als Konsequenz aus der grundsätzlichen Problematik der prekären Lebensumstände des Proletariats heraus. Der Konflikt entzündet sich an der Ablehnung der_des Partner_in des lyrischen Ichs durch den Vater, seine Ursache hat er jedoch in der Enge der kleinen Wohnung, welche wiederum mit der Arbeitslosigkeit des Vaters zusammenhängt. Es bleibt zu vermuten, dass der Vater, hätte er einen Arbeitsplatz, vielleicht eine weniger pessimistische Einstellung und die Familie vielleicht eine größere Wohnung hätte und so alle Probleme gelöst wären. Dergleichen Spekulation legt die Konstruktion dieses Konfliktes nahe. Diese Konstruktion greift dadurch die Probleme und Konflikte jener Jugendlicher auf, die in der Band-Kommune Obdach suchten und verdeutlicht, dass diese von den sozialen Verhältnissen und nicht von der Person ihrer Eltern herrühren. Im weiteren Verlauf des Songs rückt der Konflikt mit dem Vater dann immer mehr in den Hintergrund, wie im folgenden Kapitel gezeigt wird.
4.3.3 Allgemeines und Konkretes – Kollektiv und Individuum
Der Text beinhaltet sowohl allgemeine, als auch stark aufs Persönliche konkretisierte Aussagen. So wird beispielsweise direkt zu Beginn des Songs die allgemeine Aussage des Schlagerzitats des ersten Verses im zweiten auf die konkrete Situation des lyrischen Ichs fokussiert. Die Perspektive des lyrischem Ichs wechselt dann im Verlauf der ersten beiden Strophen vom Konkreten zum Allgemeinen und kehrt wieder zum Konkreten zurück. Die Wohnsituation und das Verhältnis zum Vater bildet nach der Einleitung durch das Schlagerzitat den Ausgangspunkt. Dabei fällt auf, dass in den konkreten Passagen die Partner_in direkt angesprochen wird, während die allgemein gehaltenen Passagen keinen direkten Adressaten haben. Im fünften Vers der ersten Strophe vergrößert sich der Fokus der negativen Perspektive dann deutlich auf „Für mich ist die Welt nicht mehr in Ordnung“. Diese pessimistische Perspektive wird in den folgenden Versen nicht nur global, sondern auch temporal ausgedehnt, denn die Welt ist „nicht früh um Sieben und auch nicht nach der Tagesschau“ in Ordnung und sowohl Sonntag, als auch Montag, also Arbeits- und Freizeit werden abgelehnt.
Die allgemein gehaltene pessimistische Perspektive bleibt, wie bereits erwähnt, bis zur Mitte des Refrains und wird dann ins Hoffnungsvolle gewendet. Doch trotz des optimistischen Ausblicks im Refrain setzt die zweite Strophe wieder an der allgemein gehaltenen pessimistischen Sicht der ersten an („Mein Alter sagt, die Welt wird sich nicht ändern“) und führt den Fokus dann in Vers sechs wieder zurück auf die konkrete Wohnsituation: „zuhaus ist kaum noch Platz für drei.“ Dieser Bogen verbindet also konkrete persönliche Erfahrungen und Lebensumstände mit einer weiter gefassten Perspektive, wodurch den Rezipient_innen der konkrete Konflikt, sowie die prekären Lebensumstände und die daraus resultierende allgemeine Einstellung des lyrischen Ichs nahe gebracht werden. Dieter Wrobel hat diesen Bogen und seinen Effekt in Ansätzen am Beginn des Songs erkannt:
Die Identifikation mit dem Sprecher-Ich wird dem Rezipienten dadurch nahe gelegt, dass von der ersten zur zweiten Zeile ein Wechsel von der abstrakten Aussage, die eine Zustimmung aufgrund eigener Empfindungen ermöglicht, zur konkreten innerfiktionalen Lebenswirklichkeit des Sprecher-Ich stattfindet.
Auf die identifikatorische Wirkung dessen wird im folgenden Kapitel noch näher eingegangen werden. Wrobel erkennt hier bereits die Verbindung von abstrakt-allgemeinen und konkret-persönlichen Aspekten, lässt die auffälligen weiteren Verbindungen von Allgemeinem und Konkretem im Verlauf der Strophen jedoch außer acht. Er macht nur im Refrain eine ähnliche Konstruktion aus.
Die ersten beiden Zeilen des Refrains (»Wir müssen hier raus das ist die Hölle / Wir leben im Zuchthaus«) lassen sich sowohl auf die konkreten individuellen Lebensbedingungen als auch auf die kollektive Situation der abhängig beschäftigten Bevölkerung beziehen. Auch die dritte Refrainzeile (»Wir sind geboren um frei zu sein«) kann noch als Einfordern einer rein individuell-privat verstandenen Freiheit interpretiert werden. Anschließend folgt aber mit »Wir sind zwei von Millionen« die explizite Abstraktion.
Wrobels Interpretation ist nachvollziehbar, er lässt allerdings außer acht, dass die pessimistische Perspektive, die zu Beginn des Refrains kulminiert, im dritten Vers ins Positive gewendet wird. In eben dieser auch musikalisch und rhetorisch auffällig umgesetzten Wendung zum optimistischen Ausblick wird bereits die persönliche mit der kollektiven Ebene verbunden, bzw. in diese überführt („Wir sind zwei von Millionen“), was Wrobel „Abstraktion“ nennt. Dieser Begriff wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit wieder aufgegriffen werden. Das Liebespaar ist demnach in seiner problematischen Situation kein Einzelfall, sondern wie Millionen anderer Menschen auch durch seine Lebensumstände determiniert. Es fällt zudem auf, dass sich im Refrain die direkte Ansprache der zweiten Person Singular der konkreten Passagen und die an kein konkretes Gegenüber gerichteten allgemeinen Passagen zum „Wir“ vereinen. Genau am Punkt der Wendung vom Pessimistischen ins Optimistische wird also wieder ein lyrisches Wir beschworen. Inwiefern dabei die Rezipient_innen mitangesprochen werden, wird im folgenden Kapitel erörtert.
Die zweite Strophe beginnt wie gesagt wieder mit der abstrakt-allgemeinen und pessimistischen Perspektive. Nun wird sie jedoch vom Vater eingenommen und das lyrische Ich widerspricht dessen Einschätzung, obwohl es selbst eine ganz ähnliche Einschätzung in der ersten Strophe geäußert hat. Den Unterschied bildet die Perspektive, die beim Vater unverändert pessimistisch ist, wohingegen beim lyrischen Ich der Optimismus des Refrains mit anklingt, wenn es andeutet, dass etwas „läuft“, also eine Veränderung im Gange ist. Gegenüber der Einschätzung der allgemeinen Situation rückt der Konflikt mit dem Vater nun in den Hintergrund. Dies verdeutlicht nochmal, dass der Konflikt mit dem Vater nur die exemplarische Konsequenz der prekären Lebensumstände und nicht das eigentliche Problem darstellt. Die Bewegung des Textes verläuft in der zweiten Strophe vom Allgemeinen in den Versen eins bis drei über den Fluchtpunkt Kneipe in den Versen vier und fünf zurück zur Thematisierung der Wohnsituation in Vers sechs und auch die Arbeitsumstände des lyrischen Ichs werden wieder angesprochen. Der Bogen verläuft also vom Abstrakt-Allgemeinen wieder zum Konkret-Persönlichen zurück und verbindet diese Ebenen aufs Neue. Dabei entfällt jedoch die romantische Beziehung des lyrischen Ichs und mit ihr die direkte Ansprache in der zweiten Person Singular. Statt dessen fokussiert sich der Text eher auf das Verhältnis zum Vater und die von ihm und vom lyrischen Ich getroffenen Aussagen. Im Text wandelt sich also die Sprechsituation des lyrischen Ichs, welche mal auf ein Du ausgerichtet ist, mal aus der Perspektive eines Wir formuliert wird und mal gänzlich allgemein gehalten bleibt. Dem entspricht der Bogen der thematischen Schwerpunkte in den ersten beiden Strophen, der von konkret-persönlichen Inhalten zu abstrakt-allgemeinen und wieder zurück geschlagen wird.
Die dritte Strophe nimmt eine Sonderrolle ein. Musikalisch wie auch textlich wird sie eng mit dem Refrain verknüpft und erhält zusätzliche Betonungen. Die persönlich-konkrete Perspektive wird hier schließlich nahezu gänzlich in der kollektiven aufgelöst. Beispielhaft dafür können die Verse fünf und sieben stehen. Heißt es in Vers fünf noch wie im Refrain „Wir sind zwei von Millionen“, so wird dies in Vers sieben in „Wir sind 60 Millionen“ abgewandelt und bezieht sich damit offensichtlich auf die damalige Bevölkerung der Bundesrepublik. Der Bogen der ersten beiden Strophen wird hier also zugunsten der Wir-bezogenen, optimistischen Perspektive des Refrains aufgelöst. Dies kann als Veränderung der in den Strophen geschilderten pessimistischen Einstellung zur Problematik der prekären Lebensumstände verstanden werden. Demnach wird nun mit großem Selbstvertrauen in die Zukunft und damit auf die Lösung sowohl der individuellen, als auch der sie determinierenden gesellschaftlichen Probleme geblickt.
Es ist interessant, dass sich die Perspektive des Songs von der romantischen Zweierbeziehung zu Beginn nun komplett zum politischen Kollektiv hin verschoben hat, wobei der vom Konkret-Persönlichen zum Allgemein-Politischen und zurück geschlagene Bogen die Veränderung begleitet. Die Verbindung von Privatem und Politischem anhand von konkreter (z.T. romantischer) Ansprache eines Gegenübers, die mit politisch-kollektiven Perspektiven verknüpft wird, oder in diese übergeht, hat auch schon Ole Löding festgestellt: „Oft, wie beispielsweise in Wir müssen hier raus der Ton Steine Scherben, wird eine subjektive Perspektive in den Strophen (»Für mich ist die Welt nicht mehr in Ordnung«) mit einem kollektivierenden Refrain (»Wir müssen hier raus [...] wir werden es schaffen«) verbunden.“ Wie von Löding angedeutet, findet sich diese Verbindung auch in etlichen anderen Songs. So ist z.B. auch die Entwicklung der Perspektive bei Mensch Meier ähnlich aufgebaut, wie die Analyse gezeigt hat. Der Zusammenschluss zum politischen Kollektiv wird hier explizit erzählt. Doch der Song, in dem dieses Prinzip am konkretesten umgesetzt wird, ist Allein machen sie dich ein. Hier wird die Perspektive stringent vom „Allein machen sie dich ein“ im ersten Vers der ersten Strophe, über „zu zweit, zu dritt, zu viern / wird auch nix anderes passieren“ in den Versen 1 und 2 der zweiten Strophe, hin zum „Zu hundert oder tausend kriegen sie langsam Ohrensausen.“ im ersten Vers der dritten Strophe hin gesteigert. In diesen Songs fehlt allerdings die romantische Komponente, die in den Texten Reisers oft noch damit kombiniert wird. Außerdem zeigt sich, dass hier die Verbindung von subjektiver und kollektiver Perspektive nicht wie Löding erklärt zwischen Strophe und Refrain gezogen wird. Vielmehr wird sie im gesamten Textverlauf umgesetzt. Diese Verbindungen bzw. Entwicklungen von Privatem und Politischem haben ihren Schwerpunkt zudem je nach Ausrichtung des Songs mal mehr im politischen, mal mehr im privaten Bereich. Allein machen sie dich ein nimmt eine klar politisch-agitatorische Perspektive ein, wohingegen z.B. Mensch Meier durch seine besondere Konstruktion der narrativen Rollen eine ganz eigene Ausrichtung aufs Politische im Alltagskontext einnimmt. Wir müssen hier raus wiederum stellt durch seinen Fokus auf Aspekte wie den Konflikt mit dem Vater, die Wohnsituation, oder die Liebesbeziehung ein Beispiel für die Schwerpunktverschiebung in Richtung des Persönlichen dar, die erst noch zur politischen Dimension hin entwickelt wird.
Genau diese Entwicklung von politischen Zusammenhängen aus persönlichen Kontexten heraus entspricht den Zielen der Autor_innen der Neuen Subjektivität, die diese dadurch nachvollziehbarer machen wollten. Im Songtext wird diese Entwicklung u.a. durch den Bogen, der vom Konkreten zum Allgemeinen und zurück führt und schließlich in der letzten Strophe im Kollektivierenden aufgelöst wird, umgesetzt. Dies wird von der sich verändernden Sprechsituation des lyrischen Ichs begleitet, die im Folgenden näher untersucht wird. Der thematische Bogenschlag vom Konkreten zum Allgemeinen und zurück ermöglicht es also, die konkreten Konflikte als durch die allgemeinen Umstände determiniert zu erkennen. Die Verbindung von Privatem und Politischem wird durch diese enge Verknüpfung umgesetzt und zudem durch die Auflösung des Bogens in der optimistischen Perspektive der zweiten Refrainhälfte und v.a. der dritten Strophe in eine hoffnungsvolle politische Zukunftsvision geführt. Abermals stellt das Kollektiv hier die Lösung dar. Die Entwicklung vom privaten Konflikt hin zur politischen Problematik der gesellschaftlichen Zusammenhänge stellt sich sowohl für die Texte Reisers, als auch für die der Neuen Subjektivität als typisch heraus. Im Folgenden wird darauf eingegangen, inwiefern diese Konstruktionen der Verbindung vom Persönlichen hin zum Kollektiv-Politischen den Rezipient_innen die Möglichkeit zur Identifikation bietet.
4.3.4 Identifikationsmöglichkeit
Durch die Verschiebung der thematischen Perspektive weg vom privaten Konflikt, über die Schilderung der prekären Lebensumstände, hin zur optimistischen Zukunftsvision wird bereits deutlich, dass der Konflikt nur ein Beispiel für die Situation vieler Menschen ist. So beschränkt sich das Identifikationsangebot dieser Konstruktion nicht auf diejenigen, die sich von den konkreten Bezügen wie z.B. dem Konflikt mit dem Vater direkt angesprochen fühlen, sondern ermöglicht es allen sich als persönlich betroffenes Individuum im gesellschaftspolitisch determinierten Kollektiv angesprochen zu fühlen. Inwiefern die Entwicklung des thematischen Fokus auf die Reflexion der gesellschaftlichen Umstände hinführt wurde soeben erörtert. Im Folgenden wird untersucht, inwiefern die Form der Ansprache im Text ebenfalls dazu beiträgt. Wie bereits zitiert hat Wrobel herausgestellt, dass der Wechsel von der „abstrakten Aussage […] [zur] konkreten innerfiktionalen Lebenswirklichkeit des Sprecher-ichs“ zu Beginn des Songs die Identifikation der Rezipient_innen mit diesem Sprecher-Ich bzw. lyrischen Ich nahelegt. Dies wird ganz konkret durch die direkte Ansprache mit dem Reflexivpronomen „dich“ im zweiten Vers realisiert, wodurch die Verbindung von Individuum und Kollektiv eingeleitet wird.
Die direkte und exklusive Anrede des Rezipienten stellt hier Intimität her, wobei die Anonymität der Reflexionssituation mitreflektiert wird. Dieser Widerspruch macht die besondere Funktion des Songtexts deutlich: Er kann Intimität im Rezeptionserlebnis, das Sich-angesprochen-Fühlen verbinden mit einer Reflexion der gesellschaftlichen Situation. Im Moment des persönlichen Angesprochen-Werdens wird dem Angesprochenen bewusst, dass seine Situation auch die vieler Anderer ist, die vom selben Song angesprochen werden. […] Aufgabe des Songtextes ist es, Emotion und Reflexion zu verbinden. Dies kann auch dadurch geschehen, dass das angestrebte Ziel vergegenwärtigt wird.
Die Identifikationsmöglichkeit, die sich den Rezipient_innen bietet, wird also dadurch erzeugt, dass sie direkt angesprochen werden, sich jedoch bewusst sind, dass sie als Rezipient_innen eines Konzertes, einer Platte o.ä. keine_n direkten Dialogpartner_in vor sich haben, sondern Teil eines Kollektivs von Rezipient_innen sind. Dieses Bewusstsein von der Zugehörigkeit zu einem Kollektiv der Rezipient_innen, die sich alle auf die gleiche Weise persönlich angesprochen fühlen, ermöglicht laut Wrobel die Abstraktion der persönlichen Themen auf die kollektive Ebene. Denn so wie sich das Individuum in einem Song wiederfindet, finden sich viele andere ebenfalls darin wieder. Demnach wird der im Song verhandelte Sachverhalt also nicht als Einzelfall, sondern als eine die gesamte Gesellschaft betreffende Problematik verstanden. Genau dieses Prinzip wurde unabhängig von Wrobels Thesen von Hartmut El Kurdi für die Texte von Ton Steine Scherben festgestellt:
Bei den Scherben stand jedoch, wie es sich für »kleinbürgerliche Anarchisten« (so der gängige Vorwurf der linken Dogmatiker) gehörte, der Einzelne im Vordergrund. In all seiner Wut, Verzweiflung, Tragik und Lust. Dieser »Einzelne« war zunächst einmal der Sänger und Haupttexter Rio Reiser selbst bzw. sein lyrisches Ich, oft aber auch ein, wenn man so will, »lyrisches du«, dessen Einsatz jeden einsamen Hörer vor den Plattenspieler dazu brachte, zu glauben, er, ja genau er sei gemeint! […] In »Schritt für Schritt ins Paradies« heißt es: »Du hörst mich singen / aber du kennst mich nicht / Du weißt nicht / Für wen ich singe / Aber ich sing für dich...«. […] Wenn Rio ‚ich« sang, war klar, zwischen dieses künstlerische »Ich« und den wahren Rio paßte kein Blatt Papier.
Die hier zuletzt vorgenommene Gleichsetzung ist natürlich kritisch zu hinterfragen, auch wenn, wie bereits erörtert wurde, derartige Gleichsetzungen zur Erhöhung der Authentizität oft von Reiser und der Band intendiert wurden. Das sowohl von El Kurdi, als v.a. auch von Wrobel herausgearbeitete Prinzip der Ansprache der Rezipient_innen kann als als Ergänzung zu Hagelweides Thesen zum kommunistischen Lied gelesen werden. Hagelweide geht dabei allerdings von einer direkt kollektivierenden Ansprache aus, die Wrobel so nicht voraussetzt. Wrobel konzentriert sich in seinen Thesen vielmehr auf die persönliche Ansprache der Rezipient_innen durch das lyrische Ich, die durch den extratextuellen Prozess des Bewusstseins vom Kollektiv der Rezipient_innen ihre identifikatorische, kollektivierende und politisierende Wirkung entfaltet.
In den Texten Reisers und gerade in Wir müssen hier raus finden sich beide Elemente. Der_Die Rezipient_innen kann sich durch die Ansprache des_der Partner_in des lyrischen Ichs durch das Reflexivpronomen direkt angesprochen fühlen und die im Folgenden entwickelte Problematik der prekären Lebensumstände etc. im Sinne Wrobels extratextuell als gesellschaftliche Problematik reflektieren. Die sich so im Kollektiv identifizierenden Rezipient_innen werden im Refrain durch den „Akteur“ (s. Hagelweide) in der ersten Person Plural angesprochen, der sich zunächst aus lyrischem Ich und dessen Partner_in zusammenzusetzen scheint. Der_Die Partner_in tritt jedoch als „Rufempfänger“, genau wie der Vater als „Feind“, immer mehr in den Hintergrund und das kollektivierende „Wir“ scheint sich zunehmend von der_dem Partner_in weg und zum Kollektiv der Rezipient_innen hin zu verschieben. So entsteht durch die Ansprache in Form des Reflexivpronomens eine Verbindung zur_m Rezipienten_in, welche_r sich dadurch persönlich angesprochen fühlen kann. Die weitere Entwicklung des Konfliktes und seiner Ursachen im Song unterstützt dann die Abstraktion dieses persönlichen Bezugs auf die Ebene der gesellschaftlichen Reflexion, die parallel zur Entwicklung des Bewusstseins eines Kollektivs der Rezipient_innen führt. Dieses Kollektiv wird dann im Refrain und v.a. gegen Ende des Songs aufgegriffen und im Sinne Hagelweides mit dem lyrischen Ich zum „Akteur“ verbunden. Somit entsteht eine zweistufige Identifikationsmöglichkeit aus dem Gefühl des Angesprochen-Werdens und dem Bewusstsein des Kollektivs der Rezipient_innen, die die Rezipient_innen einbinden und zur Reflexion der gesellschaftlichen Zusammenhänge motivieren soll.
Löding hat zudem noch eine weitere Wirkung dieser sprachlichen Konstruktion beschrieben. Er sieht darin eine Umsetzung des Authentizitätsanspruches. So wird das Ziel der Nähe zu den Rezipient_innen direkt im Text umgesetzt um so die Authentizität desselben zu erhöhen und seine Motivationskraft zu verstärken. Wie bereits im vorangegangenen Kapitel beschrieben, finden sich solche vom Individuum hin zum Kollektiven führende Konstellationen in vielen Texten Reisers. Deren besondere Wirkung wird zu Beginn von Schritt für Schritt ins Paradies sogar direkt reflektiert, worauf El Kurdi bereits hingewiesen hat. In der von ihm zitierten Textpassage kann abermals eine enge persönliche Bindung zwischen lyrischem Ich und angesprochenem Du, sowie ein starker politischer Zusammenhang in der durch ein lyrisches Wir umgesetzten Form der Entwicklung zum Kollektiven erkannt werden. Es wird dabei genau das anhand von Wir müssen hier raus erörterte Verhältnis der sich direkt angesprochen fühlenden Rezipient_innen zum lyrischen Ich reflektiert, welches von Wrobel herausgestellt wurde. Ebenso lässt sich auch hier die politisch motivierende Verbindung von lyrischem Ich und Rezipient_innen zum „Akteur“ nach Hagelweide erkennen, wenn es im folgenden Vers heißt „Wer wird die neue Welt bauen, wenn nicht du und ich?“
Wie die Analyse von Wie müssen hier raus gezeigt hat, hängt das zweistufige Identifikationsangebot oft eng mit der Entwicklung des thematischen, sowie des perspektivischen Schwerpunktes zusammen, durch die ebenfalls Politisches und Privates verbunden werden. Diese Verbindung hat auch schon Florian Kreier festgestellt. Er stellt des Weiteren heraus, dass dabei typischerweise keinerlei konkrete Auswege aus der beschriebenen hochproblematischen Situation angeboten werden: „Die Zeilen »Und was kann und hindern / Kein Geld keine Waffen« verdeutlichen die verschärfte Situation und skizzieren die Opponenten auf dem Weg in die Freiheit, sparen aber konkrete Auswege aus.“ Der so abermals breit angelegte Interpretationsspielraum hinsichtlich der aus der geschilderten Problematik zu ziehenden Konsequenzen unterstützt laut Sebastian Peters ebenfalls die identifikatorische Wirkung des Textes: „Ton Steine Scherben verdammen im Jahr 1972 ihre Umwelt und die Gesellschaft im Allgemeinen, ohne die Alternativen klar zu benennen. Aus diesem Grund sind sie kompatibel für das studentische Publikum und die große Öffentlichkeit.“
4.3.5 Wir müssen hier raus und die Neue Subjektivität
Wie schon bei den anderen beiden Songs ist eines der auffälligsten Element, welches den Song mit der Neuen Subjektivität in Verbindung bringt, die Verarbeitung privater und politischer Sachverhalte. Die hier analysierten Bögen vom Allgemeinen zum Konkreten verbinden die individuelle mit der politischen Ebene, wie es in anderer Form auch in den zuvor analysierten Songs der Fall war. Die besondere Form des Songtextes fügt dieser Verbindung eine zusätzliche Ebene hinzu, welche die Identifikation der Rezipient_innen mit dem lyrischen Ich durch das doppelte Identifikationsangebot nahelegt. Wie auch bei Macht kaputt, was euch kaputt macht wird hier ein lyrisches Wir konstruiert, welches die Verbindung von Rezipient_innen und lyrischem Ich verstärkt. Neben diesen bereits in der Analyse von Macht kaputt, was euch kaputt macht erörterten Aspekten fällt eine Eigenschaft von Wir müssen hier raus ins Auge, welche bei der Untersuchung von Mensch Meier eine wichtige Rolle spielte. Mensch Meier entwickelt sich anhand einer chronologisch erzählten Geschichte und auch Wir müssen hier raus enthält in den ersten beiden Strophen erzählende Elemente, die v.a. darauf abzielen, Alltagssituationen und -konflikte darzustellen, wie es auch in der Neuen Subjektivität angestrebt wurde. Zwar wird in Wir müssen hier raus keine Chronologie, sondern vielmehr eine Situation geschildert, doch gerade dies erinnert wiederum an ein anderes Ziel der Neuen Subjektivität: Die Vermittlung der Inhalte und Botschaften über Situationen und Bilder, wie sie auch schon bei der Analyse von Macht kaputt, was euch kaputt macht eine Rolle spielte, wird hier in abgewandelter Form wieder aufgegriffen. Gerade hinsichtlich dieser beiden Aspekte, der erzählenden Elemente und der Vermittlung über Situationen und Bilder stellt Wir müssen hier raus eine Mischform dar, die zwischen den beiden Extremen von Mensch Meier und Macht kaputt, was euch kaputt macht steht und dabei unterschiedliche Vergleichsmomente zur Neuen Subjektivität enthält.
Eine weitere Ähnlichkeit der Songs besteht in den parolenartigen Refrains, die immer zumindest einen oder zwei Verse beinhalten und meist drastisch formuliert und leicht einprägsam sind. Diese aus der agitatorischen Absicht der Band herrührende Eigenschaft der Songs entspricht, wie bereits bei der Analyse der anderen Songs erwähnt, nicht der Stilistik der Neuen Subjektivität, die von derartigen Stilmitteln und Intentionen Abstand nahm und sich mehr auf persönliche und emotionale Aussagen konzentrierte. Gerade solche Aussagen, die zur Identifikation einladen und den Text nachvollziehbarer und authentischer machen, finden sich allerdings in Wir müssen hier raus. Der Konflikt des lyrischen Ichs mir dem Vater und die allgemeinen Äußerungen der beiden beinhalten genau solche Aussagen über die persönliche Situation wie z.B.: „Für mich heißt das Wort zum Sonntag Scheiße“, oder „Er sagt, der schönste Platz ist immer an der Theke“. Der Konflikt mit dem Vater reiht sich zudem ein in die Liste der sowohl in der Neuen Subjektivität, als auch in den Texten der Band häufig verarbeiteten Themen. Zu diesen gehören in Hinblick auf Wir müssen hier raus außerdem der Bezug zur Arbeitswelt und die Probleme mit der Liebesbeziehung. Sprachlich stellt die Verwendung der Umgangssprache wie auch in den anderen Songs eine Gemeinsamkeit mit der Neuen Subjektivität dar.
4.4 Halt dich an deiner Liebe fest (1975)
4.4.1 Entstehung und musikalische Eigenschaften
Halt dich an deiner Liebe fest wurde erstmals 1975 auf dem Album „Wenn die Nacht am tiefsten“ veröffentlicht. Wie bereits erwähnt, steht dieses Album an einem Wendepunkt der Bandgeschichte. Die Band wandte sich von der linken Szene West-Berlins ab und zog nach Fresenhagen in Ostfriesland um ihre Musik und sich selbst der Instrumentalisierung durch politische Gruppen zu entziehen und den Diskussionen und Konflikten mit diesen Gruppen zu entkommen. Das Album reflektiert diesen Wendepunkt sehr deutlich. In fast allen Songs werden eskapistische Themen verhandelt, oder zumindest angedeutet. „Ein Konzeptalbum über das Prinzip Hoffnung“ nennt es deshalb Roger Behrens und Florian Kreier beschreibt es folgendermaßen:
Die inhaltliche Ausrichtung bleibt nach wie vor bestehen, es dominieren Themen wie Freiheit, Gleichheit, Liebe, Menschlichkeit oder Gerechtigkeit – aber die Radikalität ist verschwunden und gegen die Sehnsucht nach Frieden und Hoffnung eingetauscht. […] An die Stelle von Agitation tritt Fantasie, die aggressive Stimmung der Vorgängeralben wird ersetzt durch eine Mischung aus Verzweiflung und Zuversicht. Während im Manifest »Musik ist eine Waffe« der Sinn der Scherben-Songs war, Stärke zu vermitteln, scheint die Absicht der dritten Platte zu sein, Hoffnung und Mut für neue Wege zu spenden.
Doch gerade hinsichtlich ihres politischen Gehaltes unterscheiden sich die Songs auf dem Album stark. Während Halt dich an deiner Liebe fest oder Ich geh weg auf den ersten Blick bereits den Eindruck erwecken, keine politischen Inhalte zu thematisieren, haben Songs wie Wir sind im Licht , oder Wenn die Nacht am tiefsten ist noch sehr deutliche politische Bezüge. In Samstag Nachmittag kann man eine direkte Verarbeitung dieses Wandels erkennen. Hier wird die Antipathie gegenüber der Polizei nur noch durch das akustische Zitat aus Macht kaputt, was euch kaputt macht angedeutet und die offene Auseinandersetzung bleibt aus. Kreier konkretisiert seine Analyse noch weiter und leitet von ihr auch textliche Eigenschaften der Songtexte auf „Wenn die Nacht am tiefsten“ ab, die diese Eindrücke erklären können:
In anderen Bildern und Worten rufen auch die Songs des dritten Albums den Menschen auf, sich aus den rigiden Strukturen des modernen Lebens zu befreien: den Abhängigkeiten von Geld und Technik, der Unfreiheit in Liebes- und Partnerwahl oder der kritiklosen Integration in eine unbefriedigende Gesellschaft. Im Grunde bleiben diese Forderungen jedoch auf der Erzählebene und nur durch den Subtext erschließbar.
Die These, dass die politischen Forderungen noch vorhanden, aber nun nur noch durch den Subtext erschließbar sind, kann in der folgenden Untersuchung von Halt dich an deiner Liebe fest exemplarisch überprüft werden. Nachdem die ersten drei in dieser Arbeit untersuchten Songs aus einem relativ kurzen Zeitraum stammen und recht viele Gemeinsamkeiten hinsichtlich ihres politischen Gehaltes und ihrer Verknüpfung von Privatem und Politischem aufweisen, wird mit Halt dich an deiner Liebe fest nun einer der auf den ersten Blick unpolitisch erscheinenden Songs untersucht.
Kreier hat auch die musikalische Gestaltung der Songs auf „Wenn die Nacht am tiefsten“ näher analysiert und dabei festgestellt, dass sich auch hier deutliche Unterschiede zwischen den Songs ausmachen lassen.
Im Gegensatz zu der eher düsteren, aggressiven Stimmung werden viele Songs in Dur-Harmonien aufgelöst, beispielsweise Land in Sicht, Samstag Nachmittag, Halt dich an deiner Liebe fest, Steig ein, Ich geh weg und Nimm den Hammer. Die Stimme Reisers verändert sich passend zur Stimmung, vor allem in Land in Sicht vermittelt er in seinem klassischen, leicht angerauten Gesang durch lockere und gelöste Aussprache eine positive Stimmung. Eine Veränderung im Gegensatz zum aggressiven Rock-Rhythmus der ersten beiden Alben sind die deutlichen Funk-Einflüsse. Durch den im Funk üblichen Akzent auf dem zweiten und vierten Schlag (im Gegensatz zum ersten und dritten) entsteht eine zurückgelehnte Stimmung, die gerade die Langeweile in Samstag Nachmittag trägt.
Der nun weniger politisch angespannte und nicht mehr so agitatorisch ausgerichtete Tenor der Songinhalte findet hier also seine musikalische Entsprechung. Halt dich an deiner Liebe fest wird vom Klavier eröffnet, welches die hauptsächlich in Dur gehaltenen Harmonien des Stückes mit einigen Übergangstönen spielt. Dazu kommen einige sehr zurückhaltende Schlagzeugakzente und eine Gitarrenbegleitung, die sich in einer Gegenmelodie ebenfalls v.a. an den Harmonien orientiert. Der Bass setzt zusammen mit dem Gesang ein und wird von einem konstanten, aber immernoch zurückhaltenden Schlagzeug begleitet. Vor dem fünften Vers setzen alle Instrumente einen lauten Auftakt, der dann auch von deutlich lauterem Gesang beantwortet wird. Dazu kommt eine konstant die Viertel betonende Schlagzeugbegleitung, die zudem die Sechzehntel auf Hi-Hat und Snare-Drum integriert. Der siebte Vers wird wiederholt und ersetzt so den Refrain. Er wird von einem taktweise aufsteigenden rhythmisierten Bass begleitet, wobei das Schlagzeug nun konstant die Achtel und kurzzeitig die Sechzehntel betont. Der Bass tritt so im Gegensatz zu vielen anderen Songs der Band deutlich mehr in den Vordergrund, was auf die von Kreier herausgearbeiteten Funk-Einflüsse zurückzuführen ist.
Nach der ersten Strophe wird die Musik wieder stark reduziert. Zunächst ist nur die Gitarre zu hören, die nach einigen Takten von einer wieder sehr zurückhaltenden Begleitung von Bass, Schlagzeug und Klavier unterstützt wird. Der Aufbau der ersten Strophe wiederholt sich im Wesentlichen in der zweiten und dritten Strophe. Nachdem die ersten vier Verse noch recht minimalistisch begleitet werden, stellen der fünfte und sechste eine Art Überleitung dar, die zum Kehrvers mit rhythmisiertem Bass etc. hinführt. Die dritte Strophe ist dann nach ca. 2:45 Minuten zu Ende, wohingegen der Song insgesamt 7 Minuten dauert. Es schließt sich ein längerer Instrumentalteil an, in dem die unterschiedlichen Instrumente solieren, um eine Orgel, Bongos und weitere Perkussionsinstrumente erweitert werden und in dem der Gesang schließlich mantraartig „Halt dich fest“ wiederholt, dass kurz vor Schluss des Songs von einem Chor mit „An deiner Liebe“ beantwortet wird, wodurch sich Chor und Leadgesang abwechseln. Dieser Aufbau unterscheidet sich in einigen Punkten von den bisher untersuchten Songs. Der Refrain wird auf den einmal wiederholten Kehrvers reduziert, wie es sonst nur bei Macht kaputt was euch kaputt macht der Fall war und ein derartig langer Instrumentalteil findet sich sonst in keinem Song. Dieser integriert zudem einige für das Genre der Rockmusik eher ungewöhnliche Instrumente wie z.B. die Bongos, oder die Orgel. Florian Kreier sieht in der „Vielfalt ihrer musikalischen Akzente“ den experimentellen Charakter der Songs der Band, der zudem durch „psychoakustische Verbindungen zwischen Erzähl- und Klangebene“ verstärkt wird, auf die noch näher eingegangen wird.
4.4.2 Textliche Eigenschaften
Wie bereits zitiert hat Lanrue erklärt, dass ab diesem Album vermehrt Geschichten und Liebeslieder Einzug in die Musik der Band gehalten haben und dies selbst neue Innerlichkeit genannt. Inwiefern die Texte nun mehr oder andere Anknüpfungspunkte an die Neue Subjektivität bieten, wird die Analyse zeigen. Der Titel vermittelt jedenfalls sofort den Eindruck eines Liebesliedes. Dazu scheint zu passen, dass konstant den ganzen Song über eine Ansprache in der zweiten Person Singular vorherrscht und alle kollektivierenden Elemente, wie sie in den bisher analysierten Songs artikuliert wurden, zu fehlen scheinen. Im Kehrvers „Halt dich an deiner Liebe fest“ wird zudem die agitierend-motivierende Parole der bisherigen Songs durch eine Art emotionale Durchhalteparole ersetzt. Die Hinführung zum Kehrvers durch die Strophe erinnert allerdings wieder an den Aufbau der bisher analysierten Songs. Der Kehrvers wird hier auch deutlich betonter gesungen als die Strophenverse, an die beinahe schreiende Betonung der Parolen in den Refrains von Macht kaputt, was euch kaputt macht oder Mensch Meier reicht er allerdings nicht heran. Neben der Betonung des Kehrverses akzentuiert Reiser die rhythmischen Betonungen in den Strophen von Halt dich an deiner Liebe fest sehr deutlich und richtet den Text dabei auf rockmusiktypische Weise eher an der Musik aus, als umgekehrt. Das konstant fallende Metrum setzt sich dadurch uneinheitlich aus Auftakten, Trochäen und Daktyllen zusammen. Es fällt jedoch auf, dass bis auf den Kehrvers kein Vers mit einer betonten Silbe beginnt und die Kadenzen durchgehend männlich sind. Diese Struktur zieht sich durch alle drei Strophen. Gereimt werden dabei stets der zweite und vierte Vers, sowie der sechste und siebte. Somit entsteht eine Art halber Kreuzreim in der Strophe und ein Paarreim der den Kehrvers miteinschließt.
Des Weiteren fällt auf, dass bei Halt dich an deiner Liebe fest keine dialektale Färbung mehr wie bei Mensch Meier vorherrscht und auch keine „Begriffe und Redewendungen aus den militanten, rauschkulturellen und radikal-politischen Szenen“ vorhanden sind. Auch „die agitatorischen Schilderungen von proletarischen Alter-Egos, mit dem Höhepunkt in Paul Panzers Blues, fallen auf dem dritten Album weg.“ Umgangssprache wird jedoch immernoch verwandt „um der Zielgruppe vor Ort sprachlich näher zu sein“.
4.4.3 Ansprache und Erfahrungsbericht
Der Text scheint sich an ein einsames Gegenüber zu richten. Die Sätze dieser Ansprache können aber auch als verallgemeinerte Lehrsätze aus der persönlichen Erfahrung des lyrischen Ichs heraus verstanden werden. Das „Wenn“ an jedem Strophenanfang leitet dann jeweils die Beschreibung einer emotional unangenehmen Situation ein, die mit der Lösung dieser Problematik im Kehrvers beantwortet wird. Dieser bildet somit die musikalisch wie textlich betonte Antwort auf die emotionale Probleme thematisierenden Strophen, wie es in ähnlicher, allerdings nicht emotionaler Form bereits bei Macht kaputt, was euch kaputt macht der Fall war. Außerdem wird dort die Lösung des Problems erst am Ende des Songs präsentiert, während sie bei Halt dich an deiner Liebe fest konditional verknüpft am Ende jeder Strophe steht und so eine Art Wenn-dann-Konstruktion bildet. Auf diese konditionale Verknüpfung wird schrittweise hingeführt und die gesamte Konstruktion verstärkt den Eindruck, dass es sich hierbei weniger um die Ansprache eines konkreten Gegenübers, sondern vielmehr um die eingangs erwähnte Ableitung eines allgemeinen Ratschlags im Kehrvers aus den an ein fiktives Gegenüber gerichteten beispielhaften persönlichen Erfahrungen des lyrischen Ichs in den Strophen handelt. Dazu passt die auf den Kehrvers hinleitende Form von Text und Musik, welche Kreier „psychoakustische Verbindungen zwischen Erzähl- und Klangebene“ genannt hat. Zu diesen Verbindungen gehört auch, dass die Musik nach dem Kehrvers deutlich reduziert wird sowie, dass sich der Song im Gegensatz zu vielen anderen Songs der Band v.a. aus Dur-Harmonien zusammensetzt, denen eine positivere und vertrautere Stimmung nachgesagt wird, als Moll-Harmonien, die für die frühe Phase der Band so typisch waren. Der Effekt des Vertrauten wird dadurch unterstützt, dass konstant die zweite Person Singular vorherrscht, wodurch das lyrische Ich und die Rezipient_innen automatisch angenähert werden, auch wenn das lyrische Ich nicht direkt in Erscheinung tritt. Auf diese Weise können sich die Rezipient_innen persönlich angesprochen fühlen, wie Wrobel bereits erklärt hat.
Die so konstruierte Perspektive macht es somit möglich, persönliche Gefühle unter Ausschluss eines direkt artikulierten lyrischen Ichs zu vermitteln. Folgt man Wrobels These entsteht aus dem Gefühl des Angesprochen-Werdens zudem wieder das Bewusstsein vom Kollektiv der Rezipient_innen. Dieses wird hier aber nicht direkt in ein politisches Kollektiv überführt und es wird auch keine politische Dimension im Text entwickelt. Statt dessen kann das Bewusstsein vom Kollektiv der Rezipient_innen hier als tröstendes Moment verstanden werden, welches den Rezipient_innen verdeutlicht, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind.
Das nur in indirekter Form auftretende lyrische Ich wiederum scheint keinerlei Verbindung zu einem empirischen Ich zu haben. Ebenso fehlt hier jede innertextuelle Erwähnung von Gemeinschaften in irgendeiner Form, abgesehen von der eben nicht vorhandenen romantischen Beziehung. Es wird also durch die Ansprache in der zweiten Person Singular ein Bewusstsein vom Kollektiv der Rezipient_innen evoziert, welches sich nur mit den innertextuell präsentierten Erfahrungen des lyrischen Ichs identifizieren kann, aber keine Verbindung zu einem empirischen Ich oder Wir erfährt. Da hier keine Kombination aus den von Hagelweide benannten Textelementen existiert, bleibt auch die dementsprechende Wirkung aus. Dieses scheinbar komplette Fehlen der Verbindung zum empirischen Ich und zu politischen Inhalten unterscheidet den Song deutlich von den bisher untersuchten. Es gibt aber natürlich auch Gemeinsamkeiten mit einigen Songs, wie die soeben genannte Hinführung zum Kehrvers, oder die Ansprache in der zweiten Person Singular. Ähnlich wie bei Wir müssen hier raus werden bei Halt dich an deiner Liebe fest zudem konkrete und allgemeine Passagen kombiniert. Dabei wird allerdings kein Bogen anhand einer zumindest rudimentär entwickelten Erzählung geschlagen, sondern vielmehr einzelne Situationen mit Emotionen verbunden und aneinandergereiht.
4.4.4 „Liebe“ und politische Dimension
Wie soeben erörtert, richtet sich der Song keineswegs in romantischer Manier an ein geliebtes Gegenüber, vielmehr werden in den drei Strophen emotional unangenehme Umstände geschildert, die folgende Themen umfassen: Einsamkeit, Suizidvorhaben, Albträume, Liebeskummer, Hoffnungslosigkeit, Müdigkeit und Perspektivlosigkeit. Die Antwort auf diese Probleme stellt immer wieder der Kehrvers „Halt dich an deiner Liebe fest“ dar. Diese „Liebe“ scheint jedoch nicht durch ein_e Partner_in repräsentiert zu werden, da diese_r angesichts von Problemen wie Einsamkeit oder Liebeskummer nicht vorhanden zu sein scheint. Die „Liebe“, die genauer als „deine Liebe“ bezeichnet wird, ließe sich demnach eher als Eros, als dem Individuum eigene Kraft, verstehen, die ihm durch derartige Probleme helfen soll. Die Beschwörung einer solchen Kraft erinnert an die Neue Subjektivität, die gerade solche emotionalen Aspekte gegenüber dem Rationalismus der Intellektuellen aufwertete.
Allerdings ist eine eindeutige Interpretation dieses Begriffes im Kontext der Band nicht ganz einfach. In einem selbst veröffentlichten Interview erklärten Lanrue und Reiser diesbezüglich: „Was verstehst du unter Liebe? […] Lanrue: Wissenschaftlich? Liebe, das sind viele sachen, werd ich später verstehen. […] Rio: Wenn leute sich gegenseitig das leben leichter machen, ohne was dafür zu erwarten.“ Diese Äußerungen legen eine Deutung des Begriffs „Liebe“ weniger im romantischen, als im Sinne positiver Eigenschaften wie Hilfsbereitschaft, Selbstlosigkeit oder Solidarität nahe. Dies erinnert an die Intention der Band, die Rezipient_innen mit einander und mit der Band zu solidarisieren, allerdings fehlt hier wie gesagt die politische Komponente im Text. Folgt man dennoch dieser These, führt sie zu einer Deutung der „Liebe“ als einer dem Individuum inhärenten Kraft, die es mit anderen Individuen verbindet. Demnach ließe sich die „Liebe“ in Anlehnung an Wrobels Thesen als das Bewusstsein vom Kollektiv der Rezipient_innen verstehen, welches hier nun eben keine politisierende, sondern eine tröstliche Funktion übernimmt. Dem entspricht auch die bereits erwähnte Intention der Band, den Rezipient_innen aufzuzeigen, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind. Die emotionalen Probleme in Halt dich an deiner Liebe fest können somit als Identifikationsangebot für all diejenigen verstanden werden, denen es ähnlich geht. Das Kollektiv der Rezipient_innen wird dadurch gleichzeitig zum Kollektiv der Gleich-Fühlenden. Dieser Zusammenschluss im Kollektiv wird jedoch nicht, wie in den anderen Songs, mit politischen Aspekten verbunden.
Für Reiser war gerade in der späten Phase der Band das rein Unpolitische allerdings ebenfalls politisch. Claudia Roth, die ehemalige Managerin der Band, schreibt dazu: „Wer Fresenhagen erlebt hat, weiß, [...] dass privates Leben sehr wohl Ausdruck einer Haltung sein kann, die weit mehr als nur privat ist, Liebesdinge eingeschlossen.“ Dies erinnert an die eingangs zitierten Äußerungen Reich-Renickis, der erklärte: „Das Private, ja das Intime ist zugleich das Öffentliche.“ Reich-Ranicki sieht im Unpolitischen also genau wie Reiser und seine Weggefährt_innen auch ohne jede direkte Verbindung zum Politischen eine politische Dimension. Diese kann sich z.B. durch den Kontext bedingen, wie es in der Musik der Siebzigerjahre oft der Fall war. U.a seit den Enticklungen dieser Zeit braucht die Musik als bedeutungstragendes Element einer stereotypen Rolle selbst keine politischen Themen zu verhandeln und kann dennoch in Kombination mit Elementen wie Kleidung, Auftreten etc., oder eben in Hinblick auf intertextuelle Bezüge politisch bedeutsam werden.
Ein Song kann also, auch wenn sich keine politischen Themen in seinem Text finden, oder aus ihm ableiten lassen, durch seinen Kontext, oder aber gerade dadurch, dass er etwas nicht thematisiert, politisch sein. So kann z.B. ein unpolitischer Song einer ansonsten politischen Band bereits als Politikum angesehen werden, da er die Relevanz des Privaten gegenüber dem Politischen betont, was im Kontext der linken Szene der Siebzigerjahre bereits ein Politikum darstellte. Durch den bedeutungstragenden Gesamtzusammenhang, in den sich Text und Musik bei einer Band wie Ton Steine Scherben einfügen und über den eine politische Dimension entstehen kann, können die Texte also auch durch die Darstellung rein privater Sachverhalte politisch sein. Diese privaten Sachverhalte können beispielsweise, wie es bereits in den in der Analyse vorangegangenen Songs der Fall war, als durch politische Umstände determiniert dargestellt werden. Die emotionalen Probleme, die in den Strophen von Halt dich an deiner Liebe fest geschildert werden, ließen sich demnach als Folgen der „rigiden Strukturen des modernen Lebens“ verstehen, die zu der „Abhängigkeiten von Geld und Technik, der Unfreiheit in Liebes- und Partnerwahl oder der kritiklosen Integration in eine unbefriedigende Gesellschaft“ führen, wie bereits von Kreier zitiert wurde.
Der Kampf gegen die äußeren Feinde des Individuums und die es umgebenden Strukturen, der in der frühen Phase der Band so präsent die Songs bestimmte, wurde nach dieser Deutung nach Innen verlagert und richtet sich nun gegen die internalisierten Zwänge des Individuums. Dabei wird er allerdings mit dem gleichen Mittel, dem Bewusstsein von der Zugehörigkeit zu einem Kollektiv, fortgeführt. Diese Deutung erschließt sich jedoch erst aus dem Wissen um die für die Band typische Intention, den Rezipient_innen bewusst zu machen, dass sie nicht allein mit ihren Problemen sind, sondern dass es vielen so geht und dass diese Probleme gemeinsame politischen Ursprünge haben. Sie erschließt sich nicht aus dem Text selbst, sondern erst aus dem Kontext der Band und ihrer anderen Texte, in denen ähnliche Strukturen vorherrschen. Kreier kann hinsichtlich seiner These, dass der politische Gehalt sich nun durch den Subtext erschließt, also zugestimmt werden.
Eine weitere derartig implizite politische Dimension ließe sich durch die Homosexualität Reisers begründen, auch wenn diese nur selten explizit nach Außen kommuniziert wurde. Dies bezöge auch das in der Neue Subjektivität wichtige Thema der Sexualität mit ein. Demnach könnte man in der Einsamkeit und Perspektivlosigkeit im Text eine Kritik an der konservativen bundesdeutschen Gesellschaft der Siebzigerjahre erkennen, in der Homosexuelle es nicht leicht hatten Partner_innen zu finden, da Homosexualität bis 1973 noch strafbar war. Die „Liebe“ könnte demnach ebenfalls auf Homosexualität verweisen. Die Rezipient_innen sollen sich, folgt man dieser Deutung, ihrer Identität vergewissern und sich nicht durch die intolerante Gesellschaft beeinflussen lassen. Das im Hintergrund mitschwingende Kollektiv würde demnach ebenfalls auf Homosexuelle verweisen. Da es im Gegensatz zu anderen Texten Reisers in Halt dich an deiner Liebe fest allerdings keine expliziten Hinweise auf seine Homosexualität gibt, hat diese Gleichsetzung von Reisers Person und seiner sexuellen Orientierung mit dem lyrischen Ich des Textes jedoch keine ausreichende Grundlage.
4.4.5 Einsamkeit und andere Probleme
Die Einsamkeit stellt das größte Problem in Halt dich an deiner Liebe fest dar. Sie wird zu Beginn, in der Mitte und am Ende des Songtextes thematisiert. Gleich im ersten Vers der ersten Strophe wird eine konkrete einsame Situation entworfen, in der das lyrische Ich vom Gefühl berichtet, nicht gesucht zu werden. Demnach fühlt es sich nicht gebraucht und nutzlos. Im zweiten Vers wird eine mögliche Konsequenz dessen angedeutet. Die „Reise ins Jenseits“, die „Vielleicht schon gebucht“ wurde, symbolisiert Suizidgedanken. Das „Vielleicht“ stellt diese allerdings zur Disposition, wodurch deutlich wird, dass es hier weniger um einen tatsächlichen Suizid, als um die depressiven Gedanken geht, die sich um ihn drehen und zu ihm führen können. Ausgehend von der konkreten Situation im ersten Vers werden nun also weiterschweifende Gedanken abstrahiert. Der fünfte und sechste Vers stellen dann den Höhepunkt der ersten Strophe dar. Die „Lügen“, die „dir den Rest“ geben, werden jedoch nicht näher beschrieben. Es bleibt also offen, ob das lyrische Ich, belogen wurde, oder sich vielleicht selbst in Lügen verstrickt hat. Ein konkreter Auslöser o.ä. wird hier nicht geschildert und die Aussage bleibt allgemein. In jedem Fall machen sie die Gesamtsituation der ersten Strophe für das lyrische Ich unhaltbar, woraufhin der Kehrvers dieser Situation entgegengestellt wird.
Die zweite Strophe scheint demgegenüber direkt hoffnungsvoll einzusetzen und auf allgemeiner Ebene Frühlingsgefühle zu thematisieren. Allerdings haben diese bereits einen riskanten Aspekt, da die „Seele brennt“. Statt fröhlicher Ausgelassenheit bringt dieser Frühling also Anspannung und Albträume und immernoch ist das lyrische Ich einsam. Es ist niemand da „der bei dir pennt“. Die Einsamkeit wird ab dem vierten Vers der zweiten Strophe und damit genau in der Mitte des Textes abermals in einer konkreten Situation thematisiert und diesmal durch das Bett zusätzlich auf die sexuelle Ebene bezogen. Dies erinnert an die exemplarische Einbindung einer ganz ähnlichen Problematik in Wir müssen hier raus. Dort wurde ebenfalls die sexuelle Frustration als Symptom für gesellschaftliche Probleme verarbeitet. Die Ursache für dieses Symptom wurde dort allerdings direkt benannt, wohingegen dies in Halt dich an deiner Liebe fest nicht geschieht. Vielmehr überführt der sechste Vers das Thema Einsamkeit in Verlassenheit und damit Liebeskummer. Das lyrische Ich wartet vergebens und wird sitzen gelassen. Diese konkrete Situation stellt wiederum den Höhepunkt der zweiten Strophe dar, der durch den Kehrvers beantwortet wird.
Zwischen zweiter und dritter Strophe findet ein Zeitsprung statt, der nach dem Frühling nun den Herbst bringt. Dessen „Novemberwind“ „verweht“ allerdings die fragwürdige „Hoffnung“, die ersterer brachte. Diese allgemeine hoffnungslose Situation wird im dritten und vierten Vers fortgeführt. Das lyrische Ich ist „so müde“ und weiß nicht mehr, „wie es weiter geht.“ Müdigkeit und Perspektivlosigkeit sind damit die Konsequenzen der emotionalen Probleme des seinem Ende zugehenden Jahres. Nach diesen pessimistischen allgemeinen Einschätzungen wird die dritte Strophe wieder von einer konkreten Situation beschlossen, die abermals die Einsamkeit im Bett thematisiert. Damit steht die Einsamkeit an den drei Schlüsselstellen Anfang, Mitte und Ende des Textes und wird dadurch deutlich hervorgehoben. Auch die Sexualität, die dabei immer wieder mitschwingt, erhält dabei eine zusätzliche Betonung.
4.4.6 Halt dich an deiner liebe fest und die Neue Subjektivität
Der Song weist thematisch und perspektivisch deutliche Unterschiede zu den bisher analysierten Songs auf und somit sind auch die Anknüpfungspunkte an die Neue Subjektivität von diesen verschieden. An das Zitat Lanrues anknüpfend, dass ab diesem Album „eine neue Innerlichkeit mit Liebesliedern und echten Geschichten“ vorherrsche, werden diese im Folgenden nachgezeichnet. Der auffälligste Unterschied zu den anderen Songs ist, dass die für die Neue Subjektivität typische Besinnung aufs Persönliche im Text von Halt dich an deiner Liebe fest wesentlich konsequenter vollzogen wird, als bisher. „Nicht wie man die Gesellschaft umbauen und die Menschheit erlösen könnte, möchten die Leser von den Autoren wissen. Vielmehr wollen sie etwas über sich selbst erfahren.“ Dieses Ziel der Neuen Subjektivität scheint auch das Ziel von Halt dich an deiner Liebe fest zu sein. Die politische Dimension wird dementsprechend im Text selbst komplett weggelassen und der Fokus liegt einzig auf den persönlichen Empfindungen. Dies entspricht auch der Entwicklung der Band, die sich von der stark politisierten linken Szene West-Berlins abwandte. „Anstatt die Welt zu verändern, tritt eher die Absicht sich selbst zu verändern; […] Die Schilderungen einer besseren Welt auf dem Album gehen einher mit mythologischen und natürlichen Bildern; Schiff, Meer, Wind“. Dieses Zitat scheint direkt Bezug auf das vorangegangene nehmen zu wollen, welches sich auf die Neue Subjektivität bezieht.
In der Absicht sich selbst zu verändern und seine Ängste und emotionalen Problemen zu überwinden lässt sich jedoch, wie bereits erörtert wurde, ebenfalls eine politische Dimension erkennen. Die Thematisierung von derartig emotionalen Problemen entspricht bekanntermaßen der Ausrichtung der Neuen Subjektivität. Das Verständnis dieser Probleme als durch die politischen Rahmen determinierte innere Zwänge etc. des Individuums erinnert wiederum an die „Dialektik der Aufklärung“ und die in Macht kaputt, was euch kaputt macht kritisierte Kulturindustrie. Die „Liebe“ kann vor diesem Hintergrund und angesichts der Äußerungen Reisers und seiner Weggefährt_innen demnach durchaus als eine diesem Komplex der internalisierten Zwänge entgegengestellte Kraft verstanden werden, die sich aus dem Bewusstsein der Zugehörigkeit zum Kollektiv derjenigen ergibt, die ähnliche Erfahrungen wie das lyrische Ich gemacht haben und die hier im Kollektiv der Rezipient_innen angesprochen werden. Die Thematisierung solcher emotionalen Probleme ohne innertextuelle politische Elemente findet sich in dieser expliziten Form zum ersten Mal in den Texten der Band. Sie entspricht, wie bereits erwähnt, dem Vorhaben einiger Autor_innen der Neuen Subjektivität ihre Träume, Ängste, alltäglichen Gedanken und Erfahrungen, Stimmungen und Gefühle und auch ihre sexuellen Bedürfnisse in die Texte zu integrieren und dabei das Politische zunächst außen vor zu lassen.
Neben dieser offensichtlichen Gemeinsamkeit finden sich aber auch Unterschiede. So findet sich in Halt dich an deiner Liebe fest zum ersten Mal eine nicht nur situativ-bildhafte, sondern direkt metaphorische Sprache in Reisers Texten. Dabei werden die eben erwähnten natürlichen Bilder verwendet, wie z.B. „Novemberwind“. Songs wie beispielsweise Land in Sicht setzen diesen metaphorischen Sprachstil allerdings noch deutlich konsequenter um. Wegen des Ziels der möglichst direkten Wirklichkeitsdarstellung war die Verwendung von Metaphern gerade nicht im Sinne der Autor_innen der Neuen Subjektivität. Aufgrund des Fokus auf das rein private Leben, in dem nur durch eingehende Rezeption und Interpretation eine politische Dimension aufgezeigt werden konnte, fehlt bei Halt dich an deiner Liebe fest zudem der Ausgangspunkt einer konkreten, alltäglichen Situation, von der aus abstrahiert wird. Dies war noch bei Mensch Meier und Wir müssen hier raus, wie auch in vielen Texten der Neuen Subjektivität der Fall. Sowohl der Inhalt als auch die Perspektive von Hat dich an deiner Liebe fest bleiben beim Individuum und entwickeln sich so in einer reflexiven, statt in einer abstrahierenden Richtung, was an Reich-Ranickis Begriff der Introspektion erinnert, welche für ihn erst Zeitkritik ermöglicht.
Die reine Emotionalität, die in Halt dich an deiner Liebe fest verhandelt wird, steht den früheren Texten der Band, die teilweise oder gänzlich politisiert waren, ganz ähnlich gegenüber, wie die rein subjektiv-emotionalen Texte der Autor_innen der Neuen Subjektivität den stark politisierten anderer Autor_innen. Als Gegenpol zum offenkundig Politisierten wird hier also die oberflächlich reine Thematisierung des Privaten verwirklicht. Der Text kann somit als ein Beispiel für die von der Band vollzogene Abkehr vom politisierten Diskurs angesehen werden, wobei jedoch angemerkt werden muss, dass dieser nicht radikal vollzogen wurde. Es finden sich sowohl vor als auch nach dem Umzug der Band private und politische Aspekte in den Songtexten der Band. Außerdem hat die vorliegende Analyse nachgewiesen, dass sich durch intertextuelle Bezüge ect. auch in Songs wie Halt dich an deiner Liebe fest eine politische Dimension nachweisen lässt. Dennoch ist eine deutliche Schwerpunktverschiebung der Songtexte nicht von der Hand zu weisen.
Ganz ähnlich verlief die Entwicklung der Neuen Subjektivität, wie im Fazit genauer nachvollzogen wird. Die Autor_innen der Neuen Subjektivität stellten der politisierten Literatur, sowohl Texte, in denen Privates und Politisches offen mit einander verknüpft wurden, als auch solche, in denen ihre reine Emotionalität entwickelt wurde entgegen, um auf die Relevanz dieser Emotionalität hinzuweisen. Die Ablehnung des Politisierten bezog sich dabei auch auf die Sprache selbst, die durch die politischen Bezüge ihrer Inhalte oftmals beeinflussend, dogmatisch oder agitatorisch angelegt war. Derartige Intentionen lehnten die Autor_innen der Neuen Subjektivität ab. Sie wollten stattdessen authentische, direkte Erfahrungsberichte, die allerdings nicht auf die reine Sachbeschreibung beschränkt blieben, sondern eben auch Traumhaftes und Emotionales mit einschlossen. Daraus ergab sich das Paradox, dass individuellen und emotional aufgeladenen Texten mehr Authentizität zugesprochen wurde, als politischen Berichten. Eine solche Authentizität findet sich auch in den Texten Reisers und v.a. in Halt dich an deiner Liebe fest. Nach der im politischen Engagement begründeten Authentizität der West-Berliner Zeit authentifizieren sich die Texte nun also auf subjektive Weise. Dies macht sich in der nun unpolitisch vollzogenen Verbindung des Textes mit den Rezipient_innen deutlich, wie sie in Anlehnung an Wrobels Thesen geschildert wurde.
Eine sprachliche Gemeinsamkeit von Halt dich an deiner Liebe fest und der Neuen Subjektivität ist wie gehabt die Verwendung der Umgangssprache, die ebenfalls zur Authentizität des Textes beitragen soll. Außerdem stellt die bildhafte und situative Struktur des Textes, die kein stringentes Narrativ verfolgt, ebenfalls eine für die Neue Subjektivität nicht unübliche Textform dar. Wie bereits bei der Untersuchung von Macht kaputt, was euch kaputt macht herausgestellt, hat Rolf Dieter Brinkmann einige Forderungen propagiert, die damit in Zusammenhang gesehen werden können (s. 4.1.6 Macht kaputt, was euch kaputt macht und die Neue Subjektivität).
Es lässt sich also zusammenfassen, dass der Text von Halt dich an deiner Liebe fest in einigen Punkten deutlich andere Verbindungen zur Neuen Subjektivität aufweist, als die anderen Texte der Band. Dennoch lässt sich kaum behaupten, dass es wesentlich mehr oder weniger wären, was darauf hinweist, dass die Texte der Band unterschiedlichen Tendenzen der Literaturströmung entsprechen und unterschiedliche Ziele realisieren. Sowohl politische, als auch private Schwerpunkte und Perspektiven werden in den unterschiedlichen Texten umgesetzt. Interessant ist außerdem, dass Halt dich an deiner Liebe fest sich gänzlich auf die persönlich-emotionale Ebene konzentriert, wohingegen Macht kaputt, was euch kaputt macht diese noch gänzlich außen vorließ und sich auf das Politische konzentrierte. Mensch Meier oder Wir müssen hier raus hingegen kombinierten diese beiden Tendenzen auf jeweils verschiedene Weise. Daran lässt sich deutlich die Entwicklung der Band, ausgehend von der Begleitband des Agit-Prop-Theaters über die Karriere als Hausbesetzerband bis hin zur Abkehr vom Politischen, die zunehmend persönliche Themen mit sich brachte, nachvollziehen. Dies erinnert stark an die Entstehung und Entwicklung der Neuen Subjektivität. Auch musikalisch ist hier eine Entwicklung erkennbar. Die krachigen Rockklänge mit minimalistischer Bassbegleitung sind bei Halt dich an deiner Liebe fest verschwunden und u.a. durch länger klingende Klavierharmonien und einen rhythmisierten Bass ersetzt worden. Der Chor wurde ebenso wie ein langer Instrumentalteil mit Soli der verschiedenen Instrumente integriert, wobei die Band ungewohnte Instrumente verwandte. Die Musik ist somit sowohl zurückhaltender, als auch komplexer geworden. Diese bewusstere musikalische Gestaltung kann ebenfalls im Zusammenhang mit der Abkehr vom Agit-Rock der früheren Jahre gesehen werden und wird auf dem nächsten Album noch deutlicher fortgesetzt.
4.5 Jenseits von Eden (1981)
4.5.1 Entstehung und musikalische Eigenschaften
Der Song Jenseits von Eden erschien als erster Titel auf dem Album „IV“, das auch „die Schwarze“ genannt wird. Musikalisch hatte die Band sich in der Fresenhagener Zeit deutlich weiterentwickelt. Auch wurde der musikalischen Gestaltung nun allgemein ein höherer Stellenwert beigemessen. Kai Sichtermann erklärt in einem Interview, dass sie nun „sehr akkurat die Arrangements festgelegt [haben], vorher waren sie das nicht so sehr.“ Er bezeichnet das Album zudem als „Höhepunkt meiner Musikerkarriere, ein ganz großes Highlight.“ Jenseits von Eden knüpft noch stark an die Rocktradition der Band an, was sich beispielsweise im nach den einleitenden Keyboard-Harmonien einsetzenden und nahezu den ganzen Song über taktweise gleichbleibende Viertel spielenden Bass, oder der ebenfalls konstant Viertel spielenden Snare-Drum und der verzerrten E-Gitarre ausdrückt. Zu der Snare-Drum kommen auf der Hi-Hat gespielte Achtel und Bass-Drum-Akzente auf der Drei und, sowie Vier und. Dieser Rhythmus betont die Offbeats der Takthälften und verleiht der Musik einen tanzbaren Charakter. Diesen sieht man bei Liveauftritten der Band auch direkt von Reiser umgesetzt, der beispielsweise beim historisch wichtigen Konzert 1988 in der Seelenbinder-Halle in Ost-Berlin barfuß im Takt auf und ab sprang.
Harmonisch ist das ganze Stück in Dur gehalten und steht damit wie auch Halt dich an deiner Liebe fest den v.a. in Moll verfassten Songs der frühen Phase der Band gegenüber. Wie bereits bei Halt dich an deiner Liebe fest finden sich bei Jenseits von Eden zudem wieder eher rockuntypische Instrumente, wie z.B. das Vibraphon. Auch elektronische Klänge eines Synthesizers werden integriert. Den länger klingenden Tönen von Synthesizer und Vibraphon werden der prägnante Bass und die rhythmischen Elemente der kraftvollen Viertel und schweren Zählzeiten entgegengestellt, die im Gegensatz zu den bisher analysierten Songs aber weniger stark treibend und eher sprunghaft und ekstatisch wirken. Außerdem ist bemerkenswert, dass das Stück im Grunde nur aus einem viertaktigen Pattern besteht, welches konstant wiederholt wird. Dabei steigen die Harmonien in den ersten drei Takten ganztaktig ab um im vierten Takt im halbtaktigen Rhythmus wieder zur Ausgangsharmonie zurückgeführt zu werden.
Ebenso charakteristisch für den Song sind die oft wechselnden Ausgangsharmonien. Nach einem Viertakter rückt die Tonart einen ganzton aufwärts, um dann drei Rückungen wieder zur Ausgangstonart zurück zu kehren. Innerhalb dieser Struktur entsteht abgesehen vom Gesang nur durch das immer wieder Fill-Ins spielende Schlagzeug Abwechslung im Song. Das Schlagzeug baut zudem zusätzlich Druck auf, indem es am Ende des Patterns die Viertel auf der Snare-Drum noch durch die Bass-Drum unterstützt. Ein weiteres auffälliges Merkmal ist, dass der Text nicht in Strophen unterteilt ist und zweimal hintereinander gesungen wird, wobei die beiden Durchgänge von einem Gitarrensolo getrennt sind. Dadurch kommt auch die Länge von über sechs Minuten zu Stande. Nach dem ersten Durchgang geht Reisers Gesang in spitze Schreie über, die nach dem zweiten wieder aufgegriffen und in beinahe wahnsinnig wirkendes Gelächter moduliert werden. Dabei wird das zu Beginn des Songs so präsente „heiß“ immer wieder wiederholt. Diese Schreie erinnern z.T. deutlich an den Gesang Mick Jaggers über den Reiser schrieb: „Kann Jagger singen? Nein. Genausowenig wie ich.“ Von einer gewissen stilistischen Nähe kann also ausgegangen werden. Die Schreie sind allerdings sowohl wegen der undeutlichen Aussprache, als auch wegen der allgemein schlechten Klangqualität der Platte schwer verständlich. Diese lag zu einem großen Teil an der zunehmend schlechten finanziellen Lage der Band, die sich immer mehr verschuldete. Der Rückzugsort in Fresenhagen trennte sie nicht nur von aufreibenden Debatten, sondern auch von Teilen ihrer Rezipient_innen.
Die so veränderte Arbeitssituation schlug sich auch in der Arbeitsweise der Band nieder, die nun weniger Gesprächsmitschnitte aus der linken Szene oder Alltagssituationen in der Großstadt zum Ausgangspunkt nahm, sondern einen anderen Ansatz wählte.
Die Schwarze ist folgendermaßen entstanden: Wir hatten gerade keinen Auftrag und haben dann mit den Tarot-Karten, jeder von uns der Reihe nach, einen Song gemacht. Das war ein guter Schachzug: Wir nehmen die zweiungzwanzig Tarot-Karten und machen zu jeder einen Song. Das war ja schon 1980, und die ganze Aufbruchsstimmung war längst vorbei; 77 mit der Schleierentführung war es mit der Intensität der linken Bewegung vorbei! Dann kam ja die Anti-AKW-Bewegung und dann schon die Grünen.
Jenseits von Eden wurde zur Tarotkarte „Das Schicksalsrad“ geschrieben. Diese Karte symbolisiert anstehende Veränderungen, denen man sich fügen soll, da niemand in der Lage sei, sich dem Lauf des Schicksals zu widersetzen. Dies kann auf den trancehaften, treibenden Charakter des Songs und v.a. des Gesangs verweisen, der auch im Text umgesetzt wird, wie im folgenden Kapitel erörtert wird. Die Erklärung Sichtermanns zeigt zudem abermals die Entwicklung von der Politrockband mit agitatorischen Parolen hin zu einer unpolitischeren Ausrichtung. Dies wurde auch in der Presse so wahrgenommen. Im Musik Express hieß es, dass Album setze „die mit der WENN DIE NACHT...-LP begonnene Linie fort – kein Parolenschwingen, kein Schlagwortgeklopfe mehr, eher Ich-bezogene Privatlyrik.“ Der Ausgangspunkt dieser „Privatlyrik“, die Tarot-Karten, verweist wiederum auf esoterische Tendenzen. Dazu passt, dass Reiser selbst das Ministerium für Astrologie inne hatte. Neben eher kritischen Stimmen, wie der Michael Kröhers im Musik Express, gab es aber auch Bewunderung für eben diese „Privatlyrik“. Andere Kritiker_innen erklärten, das Album sei ein Meisterwerk und bezeichneten sie gerade wegen der Texte als bislang beste deutschsprachige Rockplatte.
4.5.2 Textstruktur und „Privatlyrik“
Der Text wird nicht in Strophen unterteilt und stattdessen komplett wiederholt. Dabei haben die ersten vier Verse eine besondere Form. Der Text orientiert sich hier offensichtlich am Takt der Musik. „Heiß, heiß, kochend heiß“ greift genau den soeben beschriebenen Rhythmus auf, wobei „heiß“ jeweils einer Viertelbetonung entspricht und „kochend“ das dritte Viertel und das daran angeschlossene Achtel, welches die Bass-Drum spielt, begleitet. Diese Struktur setzt sich in den Versen 1-4 deutlich erkennbar fort, wobei „hundert Grad“, „glühend heiß“ und „blühend weiß“ jeweils das dritte und vierte Viertel sowie das dazwischenliegende Achtel begleiten. Der Text realisiert so ebenfalls den staccatohaften Stil der Musik. Dies erinnert an Reisers Aussage: „Das Wort hatte bei dem »Scherben« nie Vorrang vor Klang und Rhythmus. Die Stimme ist nicht mehr und nicht weniger als ein Instrument.“ In den folgenden Versen wird diese Struktur fortgesetzt, auch wenn sie nicht mehr ganz stringent eingehalten wird. So ergibt sich eine stets sechs- oder siebensilbige Versform. Die ersten beiden Silben singt Reiser dabei auf den ersten beiden Vierteln des Taktes. Der restliche Text verteilt sich dann auf die folgenden Achtel- bzw. Viertelbetonungen. Damit übernimmt der Gesang die in jedem Takt erst stockende und dann gedrängte Form der musikalischen Gestaltung, die das ganze Stück durchzieht. Der so an der musikalischen Form ausgerichtete Text setzt deren trancehaften Charakter somit ebenfalls um.
Daraus ergibt sich außerdem eine Zweiteilung mancher Verse. So macht Reiser beispielsweise in den Versen fünf und sechs eine Pause auf dem dritten Viertel, da sonst die Verse nicht mehr mit den Takten übereinstimmen, sondern diese überlappen würden. Angesichts dieser starken Orientierung an der Musik scheint es müßig von einem textimmanenten Metrum zu sprechen. Der Text weist in sich auch kein einheitliches Metrum auf. Ebenso fehlt eine einheitliche Struktur von Reimen oder Kadenzen. Einzig der soeben genannte Beginn des Songs enthält dergleichen in Form von identischen Binnenreimen, wie sie bereits am Beginn des Refrains von Mensch Meier Verwendung fanden. Außerdem wird im vierten Vers, „weiß“ auf „heiß“ gereimt, was zusätzlich zur Sonderstellung des Textanfangs beiträgt. Die bereits erwähnten Pausen in den Versmitten sorgen dafür, dass die Kongruenz der Verse mit den Takten beibehalten wird. Dieser Zeilenstil wird jedoch durch eine Art Enjambement unterbrochen. Der Vers fünfzehn erstreckt sich nur über die ersten drei Viertel des Taktes („Ich will nicht“), woraufhin das letzte Viertel, sowie die Hälfte des nächsten Taktes auf Vers sechzehn verfallen („Daß du in Schwarz gehst“) und Vers siebzehn die zweite Hälfte dieses Taktes begleitet („Weil ich tot bin“). Der Zeilenstil wird hier an genau der Stelle unterbrochen, an der das lyrische Ich zum ersten Mal eine persönliche Perspektive einnimmt und sich an ein Gegenüber wendet, auch wenn dieses nicht näher beschrieben wird und es nahe liegt, dass es nur fingiert wird. Eine vergleichbare Stelle findet sich nur noch in den Versen neunundzwanzig und dreißig. Dort heißt es: „Mamamama – warum hast du mich geborn / Oder hat mich der Esel im Galopp verlorn“. Auf der Aufnahme verschwimmt der Versanfang zu einer ungenauen Anzahl an Wiederholungen der Silbe „Ma“, die sich auf die ersten drei Viertel verteilt. Der Rest des neunundzwanzigsten Verses erstreckt sich dann auf das letzte Viertel und die ersten drei Viertel des nächsten Taktes. Der dreißigste Vers reicht dann vom letzten Viertel dieses Taktes bis zur Hälfte des nächsten Taktes, wodurch eine kurze Pause entsteht. Abermals wird hier so eine Textstelle betont, in der das lyrische Ich sich in direkter Ansprache eines Gegenübers persönlich zu Wort meldet. Außerdem entsteht durch den Bruch des Zeilenstils und gerade durch die soeben genannte Pause der Eindruck einer strophenartigen Unterteilung des Textes, die sich allerdings so nicht in der Druckversion findet.
Abgesehen von den eben erörterten Stellen werden hier also, wie bereits in Macht kaputt, was euch kaputt macht, fast ausschließlich Ellipsen oder sehr kurze Sätze verwandt, was der mit den Takten kongruente Zeilenstil bedingt. Diese kurzen Sätze und Ellipsen bilden keine chronologische Erzählung und thematisieren auch keine stringente politische oder private Problematik. Überhaupt scheint sich der Text auf den ersten Blick vielmehr aus einzelnen Versatzstücken zusammenzusetzen, als dass er einen stringenten Bedeutungszusammenhang bilden würde.Religiöse Bilder wechseln sich mit NS-Bezügen, selbstreflexiven Elementen oder populärkulturellen Verweisen ab und scheinen so eher ein emotional denn rational nachvollziehbares Ganzes zu bilden. Die Bezeichnung „Privatlyrik“ scheint ob dieser hermetisch wirkenden Form zutreffend gewählt. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, eine möglichst kohärente Deutung des Textes vorzunehmen, auch wenn dessen Anlage eher auf die individuelle Deutung durch die Rezipient_innen angelegt zu sein scheint, als auf eine allgemeingültige Interpretation.
Die zunächst verwirrend wirkende Struktur des Textes setzt die Orientierung am Privaten und v.a. an der persönlichen Perspektive fort und realisiert sie durch die Form eines stream of conciousness in sich selbst. Der Text wird so zunächst in dem Maße, in dem der_die Rezipient_innen sich persönlich angesprochen fühlt, verständlich und erst nach eingehenderer Rezeption erschließt sich die im folgenden Kapitel vorgestellte Deutung, die jedoch nicht alle Elemente und Eigenheiten des Textes aufklären kann. So bleibt z.B. auch offen, warum der komplette Text von Reiser wiederholt wird. Es muss allerdings erwähnt werden, dass ab dem Album „Wenn die Nacht am tiefsten“ die Songs von Reiser nicht unbedingt dazu angelegt wurden, kohärent und allgemeingültig interpretiert zu werden. Stattdessen war es Reiser wichtig, die Schwerpunkte der Songs situativ nach seiner eigenen Stimmung und Auslegung verändern zu können. Reiser beschreibt dies wie folgt:
Aber auf der Tour frage ich mich jeden Abend wieder: Was will der Dichter damit sagen? Und es ist jeden Abend anders, was dabei rauskommt. Der Text ist gut, irgendwas stimmt an dem, und deswegen kann ich den auch immer wieder kriegen. Er hat viele verschiedene Seiten. Ich kann die Betonung immer wieder auf eine andere Seite legen. Das ist wohl das, was an dem Text gut ist.
Dieses Prinzip exemplifizierte Reiser anhand von Land in Sicht und erklärte mit diesem Songtext an manchen Abenden bedeuten zu wollen, dass das Konzert fertig ist, an anderen, dass er gerne Urlaub machen möchte und manchmal, dass damit der Tod thematisiert wird. Es zeigt sich also auch bei privaten Themenschwerpunkten ein bewusst sehr groß angelegter Interpretationsspielraum. Zudem ist spätestens ab der „Schwarzen“ die Abkehr von der rationalen politischen Szene auch deutlich in den Texten zu erkennen. „Mit Songs wie »Jenseits von Eden« befreiten sich die Scherben von allen Ansprüchen und Projektionen der Bewegung und wiesen darauf hin, daß Anfang der 80er Jahre die Welt nicht mehr einfach so auf einen Nenner zu bringen war.“
4.5.3 Heroin, die Bibel und das Fernsehen
Der Text scheint in seiner auf den ersten Blick wahllos wirkenden Kombination einzelner Elemente einen stream of conciousness darzustellen, der besonders viele religiöse Elemente enthält. Dieser Eindruck muss bei genauerer Untersuchung jedoch zumindest für den Anfang des Textes leicht korrigiert werden. Die exponierten vier ersten Verse sind gereimt und in ihrer wiederholenden Form schwerlich einem stream of conciousness zuzuordnen. Sie können zudem als Verweis auf Heroinkonsum verstanden werden. Heroin ist „weiß“ und muss „kochend heiß“ gemacht werden um es für den Konsum zu verflüssigen. An diese Verse anschließend folgt eine Passage v.a. religiöser Verweise. Diese Verbindung ist nicht sonderlich verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Reiser sich selbst als „Drogen- und Bibelforscher“ der Band bezeichnete. Das titelgebende „Jenseits von Eden“ in Vers fünf ist ein Zitat aus dem 1. Buch Mose 4,16. Dort heißt es: „So ging Kain hinweg von dem Angesicht des HERRN und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten.“ Diese Passage stellt den Abschluss der Geschichte von Kain und Abel dar. Kains Fortgang in das Land „jenseits von Eden“ ist Teil seiner Strafe durch Gott. Die religiösen Verweise werden in den folgenden drei Versen fortgeführt. „Euphrat und Tigris“ sind die Flüsse, die das Zweistromland Mesopotamien einschließen und die dem Garten Eden, also dem Paradies, entspringen sollen. „Allah wollte es so“ in Vers sieben verweist auf die nun muslimische Prägung der Region und die Vorsehung Gottes. „Sechshundertsechsundsechzig“ wiederum ist als Zahl des Tieres bzw. des Antichristen aus der Offenbarung des Johannes 13,18 bekannt und findet in den letzten Jahrzehnten v.a. im Okkultismus und in popkulturellen Kontexten Verwendung als Symbol des Weltuntergangs. Diese Elemente scheinen eher locker mit einander verbunden zu sein. Zwar ergibt sich aus der Geschichte Kains ein Zusammenhang zum Garten Eden und auch die göttliche Vorsehung kann hiermit in Verbindung gebracht werden, doch die Zahl Sechshundertsechsundsechzig scheint bis auf den strafenden, beendenden Charakter keinen direkten Bezug dazu zu haben.
An diese Bibelverweise angeschlossen werden jedoch die sich eindeutig auf die NS-Vergangenheit beziehenden Verse neun und zehn. „Eins Neun Dreiunddreißig“ bezieht sich offensichtlich auf das Jahr der Machtübergabe an Adolf Hitler, welches aus der Perspektive des lyrischen Ichs erst „gestern“ war und vor dem es um Schutz bittet. Hierin ließe sich eine politische Dimension des Textes ausmachen, die vor dem Wiederaufleben nationalsozialistischer Bewegungen warnt. Diese Bezüge werden allerdings wie schon die Bibelverweise abrupt abgebrochen, woraufhin die Verse elf bis dreizehn eine Deutung für diese einem stream of conciousness entsprechende Aneinanderreihung anbieten, da sie als Hinweis aufs Fernsehen verstanden werden können. Bei Passagen wie „3D und Farbe“, sowie „Sendepause“ liegt der Bezug auf der Hand. „Das war der Wilde Westen“ ist zudem ein Western-Film aus dem Jahr 1963.
Versteht man also die ersten vier Verse als Hinweis auf Heroinkonsum und die Verse elf bis dreizehn als Verweis aufs Fernsehen, ergibt sich ein Bild der Situation des lyrischen Ichs, dass Heroin konsumiert und dann den Fernseher einschaltet und dessen Programme wechselt, wodurch die abrupt abgebrochenen Bildkomplexe zu Stande kommen. Die Elemente des stream of conciousness ergeben sich somit aus dem Wechsel der Eindrücke des Fernsehprogramms im Bewusstsein des lyrischen Ichs.
Nach dieser relativ direkt und ohne reflexive Elemente umgesetzten Passage kommen die Verse vierzehn bis siebzehn von diesem Stil allerdings wieder ab. Mit „Hält Gott die zehn Gebote“ stellt das lyrische Ich eine rhetorische Frage, die als Reflexion der biblischen Inhalte des Fernsehprogramms verstanden werden kann. Die durch den siebten Vers wie ein Fatum erscheinenden und wenig hoffnungsvollen Elemente wie die Zahl des Tieres, die Vertreibung Kains, oder die Machtübergabe an Hitler werden in der nun reflexiveren Perspektive fortgeführt. Das lyrische Ich hinterfragt, ob Gott seine eigenen Gebote einhält und thematisiert in den Versen fünfzehn bis siebzehn seinen eigenen Tod. Allerdings möchte es „nicht, dass du in schwarz gehst weil ich tot bin.“ Hier stellt sich die Frage, ob das lyrische Ich damit meint, dass es bereits tot ist, oder ob es die Zeit meint, wenn es einmal tot sein wird. Angesichts der pessimistischen Bilder und des Einflusses des Heroins scheinen Gedanken an den eigenen Tod, oder gar Suizidgedanken nahe zu liegen.
4.5.4 Auschwitz und die Musik
Die direkte Ansprache wird nach dem Bruch des Zeilenstils fortgesetzt. Die Verse achtzehn und zwanzig formulieren Fragen in der zweiten Person Singular, die aber direkt vom lyrischen Ich beantwortet werden. Dabei wird wieder an das NS-Thema angeschlossen, der Fernsehkontext jedoch nicht mehr aufgegriffen. Es liegt also nahe, dass die zu Beginn des Textes angeschnittenen Themen nun im inneren Monolog weiterentwickelt werden, wobei z.T. die Form eines Dialogs mit einem fiktiven Gegenüber eingenommen wird. „Wo warst du im Krieg“ in Vers achtzehn kann als Verweis auf die Aufarbeitung der NS-Zeit gelesen werden, deren Entscheidungsträger teilweise noch bis lange in die Geschichte der Bundesrepublik hinein Ämter bekleideten. Die folgenden Verse verkomplizieren diese Deutung allerdings. „Weißt du, was ich meine“ kann noch als Verstärkung der Intention der Aufarbeitung verstanden werden, wohingegen „Du warst auf der Suche / Ich war auf der Flucht“ gegensätzliche Rollenbilder erzeugt. Demnach nimmt das lyrische Ich hier die Rolle der_des Verfolgten ein und der_die Angesprochene die Rolle der_des Verfolgenden. Doch auch hier findet sich keine schlüssige Erläuterung für diese aneinandergereihten Elemente. Es wäre zu einfach zu behaupten, dass schlicht alle unverständlicheren und scheinbar nicht an die anderen angebundenen Passagen des Textes Fernsehverweise, oder auf das Heroin zurückzuführen seien. Wie gesagt scheint das Fernsehen nun keine Rolle mehr zu spielen und vielmehr der Dialog bzw. innere Monolog nun den Text zu bestimmen.
Der weitere Verlauf des Textes setzt den NS-Verfolgungskontext fort. „Hörst du die Räder rollen“ ist, wie bereits zitiert, ein Verweis auf die Züge nach Auschwitz. Auch „Irgendwann in der Nacht“ kann auf die oftmals mitten in der Nacht durchgeführte Abholung von Menschen durch das NS-Regime verweisen. Die bildhafte Sprache des Textes wird nun noch gesteigert. Die Räder sind „durchsichtig und klar“ und sind „In Musik gebadet“. Hier findet eine Vermischung der Wahrnehmungsebenen statt. Die rollenden Räder in der Nacht sollen gehört werden, werden aber als „durchsichtig und klar“ bezeichnet, was eher visuelle Eigenschaften sind. Dann wird mit „In Musik gebadet“ wieder zurück zur auditiven Ebene gewechselt, woraufhin mit „Jede Blume hat ihren Schatten“ wieder die visuelle bedient wird. Diese geradezu synästhetische Verbindung der Sinneseindrücke gemahnt, wie auch die noch bildhaftere Sprache doch wieder an den zu Textbeginn angedeuteten Heroinkonsum. Insgesamt entsteht so der Eindruck eines im Heroinrausch von Gedanken an den Nationalsozialismus und dessen Verbrechen geplagten lyrischen Ichs, welches seine Gedanken weniger rational als emotional weiterentwickelt. Die Schuldfrage, sowie das wohl bekannteste Exempel für die NS-Verbrechen, das KZ in Auschwitz, werden dabei aufgegriffen und emotional verarbeitet.
Folgt man dieser Deutung wundert es nicht, dass auch hier nur schwerlich eine kohärente Deutung möglich ist. „Jede Blume hat ihren Schatten“ kann noch als Verweis auf die in Auschwitz Ermordeten verstanden werden. Die Ermordeten existieren demnach nun nur noch als „Schatten“ und gemahnen so daran, sich an sie und die Verbrechen zu erinnern. Die Zahl „Zweitausend“ in den darauffolgenden Versen ist damit aber nur schwer in Verbindung zu bringen. Sie kann höchstens als Hinweis auf die große Zahl der Opfer in Auschwitz und der NS-Verbrechen allgemein verstanden werden, hat aber keine direkte Entsprechung. Über sie werden zudem „Lieder“ und „Tode“ mit einander verbunden, was den Fokus auf die musikalische Ebene verstärkt. Es scheint so, als sei diese ein Medium für die Gedanken des lyrischen Ichs. Parallel dazu wird die visuelle Ebene durch die bildhafte Sprache betont. Die synästhetische Verbindung von visueller und musikalischer Ebene bildet so den rauschhaften Modus der Gedanken des lyrischen Ichs.
Der Bruch mit dem Zeilenstil in den Versen neunundzwanzig und dreißig suggeriert dann abermals ein Strophenende, bei dem das lyrische Ich sich persönlich zu Wort meldet und ein Gegenüber anspricht. Dies war beim ersten Bruch zwar ebenfalls der Fall, doch hatte dies dort durch die Form der rhetorischen Frage noch den Charakter eines Selbstgesprächs mit fiktivem Gegenüber. Nun wird die Mutter des lyrischen Ichs angerufen, doch auch hier scheint es sich eher um eine rhetorische Frage zu handeln. Der Ausruf „Mamamama“ im neunundzwanzigsten Vers macht einen hilfesuchenden Eindruck. Die darauf folgende Frage des lyrischen Ichs nach dem Grund für seine_ihre Geburt schlägt wiederum einen Bogen zum ersten Bruch des Zeilenstils, in dem der Tod angesprochen wurde. Das Sprichwort „oder hat mich der Esel im Galopp verloren?“ kann wiederum als Frage nach einem Grund für ein Außenseiterdasein und eine Trennung vom lyrischen Ich und seinem sozialen Umfeld verstanden werden. Das Gefühl dieser Trennung könnte sich allerdings ebenfalls auf den Heroinrausch zurückführen lassen. An die Reflexion der NS-Vergangenheit im Modus visueller und musikalischer Bilder wird nun also eine Frage nach dem Sinn der eigenen Existenz angeschlossen, der rückblickend bereits im ersten Enjambement erkannt werden kann. Dabei bestätigt sich der Eindruck, dass der phasenweise scheinbar auf ein Gegenüber ausgerichtete Sprachstil ein innerer Monolog mit fiktiven Ansprachpartner_innen ist.
4.5.5 Der Tod und die Liebe
Nach dem zweiten Bruch des Zeilenstils, also in der suggerierten dritten Strophe, werden abermals mortale bzw. suizidale Elemente aufgegriffen. „Ach ich spring ins Leere“ kann vor dem Hintergrund des bisherigen Textes als Verweis auf Selbstmord verstanden werden. „Halleluja“ knüpft wiederum an den religiösen Kontext des ersten Teils des Textes an. Somit ließe sich eine hoffnungsvolle, auf Erlösung ausgerichtete Perspektive im Gedanken an Selbstmord ausmachen. Die folgenden Verse brechen allerdings abermals mit diesem vermeintlich schlüssigen Bild. „Ich hab den Text vergessen“ führt vom stark bildhaften und bedeutungsschweren Stil der Verweise der vorangegangenen Teile des Textes weg und bricht diesen auf eine Reflexion der Aufführungssituation herunter. Dadurch wird die extratextuelle Situation der_des Singenden mit den bisherigen rauschhaften, reflexiven und suizidalen Textelementen verbunden und der Text weist so über die bisherige innertextuelle Ebene hinaus. Dennoch muss natürlich davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei um eine weitere narratologische Ebene handelt und nicht um das Verhältnis Reisers zu seinen Rezipient_innen. Da abgesehen vom Zeilenstil keine explizite Trennung zwischen den unterschiedlichen Ebenen des lyrischen Ichs artikuliert wird, verschwimmen diese Ebenen jedoch. Zu ihnen gehören sowohl die Ebene des lyrischen Ichs in der Aufführungssituation, welches seinen Text vergessen hat, als auch die desjenigen, das im vorangegangenen Text Heroin konsumierte und fern sah, sowie dasjenige, dass die Fernsehimpulse im inneren Monolog weiter reflektierte. Diese unterschiedlichen Ebenen werden aneinandergereiht, ohne dass ihr Verhältnis zu einander näher bestimmt wird. Das so entstehende Verschwimmen dieser Ebenen erinnert vor dem Hintergrund der spezifischen Ebene des lyrischen Ichs, dass den Text vergessen hat, an Robbs These, dass Reiser sowohl seine eigene, als auch die Perspektive des_der Textprotagonisten_in einnimmt. So man Robbs These allerdings nicht folgt und ihm die fälschliche Gleichsetzung von lyrischem und empirischem Ich vorwirft, könnte man in derartigen Textstrukturen den Ursprung für diese Gleichsetzung erkennen.
„Ich bin mein Fragezeichen“ scheint dann genau diese Verbindung oder Vermischung der Ebenen zu verschriftlichen. Darin kann sowohl die Suche nach dem vergessenen Text, als auch die Suche nach dem Sinn der eigenen Existenz, oder aber die Orientierungslosigkeit zwischen den verschiedenen Textebenen erkannt werden. „Doch ich komm morgen wieder“ in Vers fünfunddreißig konterkariert dann die suizidalen Tendenzen des Textes und legt nahe, dass der Sprung ins „Leere“ aus Vers einunddreißig sich weniger darauf, denn auf den Drogenrausch bezieht. Somit kann diese Passage auch als Hinweis auf ein lyrisches Ich verstanden werden, welches vor Publikum singt, aber wegen seines Drogenkonsums den Text vergessen hat und gedanklich abschweift. Der Vers fünfunddreißig schildert dann die Austausch- und Wiederholbarkeit dieser Situation, die dadurch verharmlost wird. Mit „Gib mir deinen Segen“ in Vers sechsunddreißig scheint das lyrische Ich daraufhin um die Zustimmung des fiktiven Gegenübers zu bitten. So ließe sich aus diesen Versen ein Bewusstsein über das eigene Fehlverhalten herauslesen, welches sich in der Hoffnung auf die Gewährung einer neuen Chance ausdrückt. Die Elemente, die diese Deutung nahelegen, werden jedoch abermals abrupt abgebrochen und es lässt sich nicht abschließend klären, in was für einem Verhältnis die verschiedenen Textebenen des lyrischen Ichs zu einander stehen.
Die rhetorische Frage „Liebe – was ist das“ setzt abrupt ein neues Thema. Reiser betont diese Stelle zusätzlich durch die gedehnte Aussprache von „Liebe“, die sich auch aus dem Wortes selbst ergibt, welches im Gegensatz zu den meisten anderen Versanfängen aus einem zwei und nicht nur aus einer Silbe besteht. Somit dehnt Reiser es beim Singen auf die ersten beiden Viertel des Taktes aus. Die hier gestellte rhetorische Frage nach der Liebe wird, wie schon die rhetorische Frage nach der Rolle des fiktiven Gegenübers im Krieg, direkt beantwortet. „Das ist das Leben in der Stadt“ stellt allerdings eine eigentümliche Antwort auf diese emotional aufgeladene Frage dar. So als ob die Kritik an dieser Antwort vom lyrischen Ich bereits vorweggenommen worden sei, klingen die nächsten Verse beinahe nach einer Rechtfertigung und dem Versuch einer Erklärung. „Liebe kommt von unten / Liebe hat schwache Worte“. Dies macht jedoch ebenfalls nicht verständlicher, warum Liebe mit dem Leben in der Stadt gleichzusetzen ist. Hier bieten sich höchstens extratextuelle Bezüge an. So z.B. zur „Liebe“ aus Halt dich an deiner Liebe fest, die mit der dem Individuum inhärenten Kraft des Bewusstseins vom Kollektiv der Rezipient_innen gleichgesetzt wird, die ihm_ihr gegen Gefühle wie Einsamkeit etc. helfen kann. Abermals wird das Thema allerdings abrupt abgebrochen.
„Ach, ich bin so müde“ führt von den allgemeinen Reflexionen wieder zurück zum lyrischen Ich und seiner Befindlichkeit. Das Bild der Müdigkeit erinnert zudem ebenfalls an Halt dich an deiner Liebe fest, wo dies auch verwandt wurde. Dort war die Müdigkeit die Konsequenz aus den emotionalen Problemen. Es liegt also nahe darin bei Jenseits von Eden genauso eine Anspielung auf die Ermattung des lyrischen Ichs durch emotionale Probleme zu erkennen. Aus dem Kontext des gesamten Textes heraus ließe sich daraus zudem wieder ein Verweis auf suizidale Tendenzen ableiten. Die Ankündigung „ins Meer“ zu gehen könnte ebenfalls als Ankündigung eines Suizids verstanden werden. Auch der vorletzte Vers „Such mir meinen Engel“ kann ein Hinweis darauf sein. Der letzte Vers „Wer ist hinterm Spiegel“ verweist wiederum abermals auf die Selbstreflexion des lyrischen Ichs. Dies alles scheint in keinem schlüssigen Zusammenhang zu stehen und immernoch die vom Fernsehprogramm ausgelöste und vom Heroinrausch vorangetriebene Reflexion bzw. den stream of conciousness des lyrischen Ichs darzustellen. Dabei integriert der stream of conciousness die Vermischung unterschiedlicher Ebenen des lyrischen Ichs. Dies ist nicht ungewöhnlich, in diesem Fall wird dabei jedoch gleichzeitig die Erzählsituation des lyrischen Ichs mitreflektiert. Es ist somit nicht eindeutig zu klären, auf welcher Ebene das Bewusstsein des lyrischen Ichs zu verorten ist, bzw. von wo aus es eigentlich wann spricht. Dies erschwert es zusätzlich den lose zusammengefügten Text kohärent zu verstehen.
Ähnlich kryptische Songkonstruktionen finden sich allerdings bei vielen Rockbands der Siebzigerjahre, wie z.B. Tangerine Dream, Faust, Can, Amon Düül, Embryo oder Guru Guru. Diese thematisierten ebenfalls oft collageartig Rausch, Sexualität etc. und texteten zudem meist auf Englisch, oder aber in Fantasiesprachen, was ebenfalls zur Unverständlichkeit der Texte beitrug. Wie bereits erörtert kam es diesen Bands, wie auch Ton Steine Scherben mit Songs wie Jenseits von Eden, weniger darauf an, rational verstanden zu werden, als darauf, bei ihren Rezipient_innen Emotionen auszulösen, die in Verbindung mit den collagierten Versatzstücken individuell interpretiert werden sollten. Deshalb wundert es auch kaum, dass die einzelnen bedeutungsstarken Elemente wie die Kainsgeschichte, die NS-Verweise o.ä. nicht weiter thematisiert werden, obwohl sie eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten für entsprechend gebildete Rezipient_innen bieten könnten.
Das bildungsbürgerliche Vergnügen am Erkennen und Einordnen von Zitaten und Motiven spielt bei der Scherben-Rezeption nur eine sekundäre Rolle. Vielmehr geht es darum, mit Reizwörtern, populären Mythen, sprachlichen Bildern oder Slogans aus Religion, Politik oder meinetwegen Winnetou-Romanen unser emotionales Gedächtnis anzuregen.
Einzig die problematische Rolle des lyrischen Ichs selbst scheint immer wieder aufgegriffen und zuweilen mit einer Schuldfrage verknüpft zu werden. Dies ist z.B. in den Anlehnungen an die Geschichte von Kain und Abel zu erkennen, oder aber in den NS-Verweisen in der Mitte des Textes. Auch die Fragen nach dem Sinn der eigenen Existenz können damit in Zusammenhang gesehen werden.
Wenn man also eine kohärente Deutung des Textes anstrebt ließe sich Folgendes festhalten. Der Beginn des Textes legt nahe, dass es sich hierbei um ein lyrisches Ich handelt, welches Heroin konsumiert und dann fernsieht, woraufhin verschiedene Eindrücke des Fernsehprogramms in Form eines stream of conciousness aufgegriffen werden. Davon ausgehend schweift das Bewusstsein des lyrischen Ichs allerdings immer weiter ab, greift nochmal die Bibel- und NS-Impulse auf und reflektiert diese in Ansätzen mit Bezug auf sich selbst, wobei immer wieder das Thema Schuld tangiert wird. Der Blick auf sich selbst wird im weiteren Textverlauf beibehalten und führt zu selbstreflexiven Elementen wie z.B. den Fragen nach dem Sinn der eigenen Existenz und der Reflexion der Aufführungssituation, die schließlich zur Vermischung der Ebenen des lyrischen Ichs führt. Ebenso abrupt wie die bisherigen Themen unterbrochen wurden, kommt plötzlich das Thema „Liebe“ auf, wird aber wie schon die anderen Themen im Zuge des stream of conciousness nur angerissen und lose mit den anderen verbunden. Gerade diese losen Verbindungen sind es, die den Rezipient_innen viel Freiraum für die individuelle Deutung lassen.
4.5.6 Jenseits von Eden und die Neue Subjektivität
Jenseits von Eden führt die in Halt dich an deiner Liebe fest vollzogene stilistische Fokussierung des Textes aufs Private noch weiter fort. So wird der Fokus hier durch den stream of conciousness in das Bewusstsein des lyrischen Ichs selbst hinein verlegt, die narratologische Distanz wird weitestgehend aufgegeben und die Erzählebenen des lyrischen Ichs verschwimmen. Der stream of conciousness stellt dabei eine Technik dar, durch die, ganz im Sinne der Neuen Subjektivität, die Trennung von lyrischem und empirischem Ich aufgehoben werden soll, indem die Erzählsituation zunächst ausgeblendet, und dann mit einbezogen wird. Der Text soll somit durch seine bewusst konzipierte Struktur eher wie eine Innenansicht des lyrischen Ichs, als wie ein narrativ vermittelter Text wirken. Dies entspricht dem Ziel der Neuen Subjektivität, das empirische und das lyrische Ich so weit wie möglich in Kongruenz zu bringen. Die besondere Form des Songtextes, also des gesungenen Textes in Aufführung, wird dabei im Text selbst reflektiert, d.h. mit in den stream of conciousness einbezogen. Diese Reflexion wird jedoch nicht weiter ausgeführt, sondern, wie nahezu alle Aspekte im Text, dem stream of conciousness entsprechend nur angerissen, wodurch die Erzählebenen des Textes verwischt werden. All diese Elemente erschweren eine kohärente Deutung des Inhalts und der Sprechsituation des lyrischen Ichs und legen es eher nahe, den Text emotional als rational zu deuten, was ebenfalls den Zielen der Neuen Subjektivität entspricht. Deren Autor_innen sahen die möglichst direkten, persönlichen Berichte als wesentlich authentischer an als rational begründete Reflexionen, oder politische Streitschriften, die persönliche Befindlichkeiten ignorierten. Dazu kommt die dem entsprechend bildhaft gestaltete Sprache, die durch die Aneinanderreihung von einzelnen Elementen abermals auf die ihre „Evokationsfähigkeit“ ausgerichtet ist. Diese kann in diesem Kontext als das Potenzial des Textes verstanden werden, bei den Rezipient_innen individuelle und emotionale Interpretationen auszulösen.
Eine weitere sprachliche Besonderheit des Textes, die mit der Neuen Subjektivität in Verbindung gebracht werden kann, ist die synästhetische Verbindung von musikalischen und visuellen Bildern. Diese kann als Folge aus dem Versuch rauschbedingte Emotionen im Text umzusetzen verstanden werden und entspräche so dem Ziel einiger Autor_innen der Neuen Subjektivität derartiges textlich umzusetzen. Genau wie die metaphorische Sprache wurden solche bewusst künstlerischen Eingriffe jedoch auch von etlichen Autor_innen der Literaturströmung abgelehnt, da sie, wie auch narrative Ebenen, Distanz zwischen empirischem Ich, lyrischem Ich und Rezipient_innen aufbauen können. Neben der Form entsprechen allerdings auch die Inhalte mehr und mehr der Schwerpunktsetzung der Literaturströmung. Die Thematisierung von Sexualität, Träumen, Ängsten und v.a. von rauschhaften Zuständen lag in der Absicht etlicher Autor_innen der Neuen Subjektivität, da eben diesen größere Authentizität und Relevanz beigemessen wurde, als theoretischen Reflexionen o.ä.
Wie bereits erörtert gab es in der Literaturströmung durchaus unterschiedliche Tendenzen, wie z.B. die, aus dem Privaten möglichst direkt politische Aspekte zu entwickeln, bzw. diese im Privaten aufzuzeigen. Ebenso gab es wie gesagt aber auch die Tendenz, die rein persönliche Perspektive als Eigenwert gegenüber politischen Themen stark zu machen. Der Text von Jenseits von Eden scheint nun die persönliche Perspektive auf politisch relevante Themen einzunehmen, die jedoch durch die spezifische Form der Perspektive als stream of conciousness ihre politische Dimension verlieren. So erscheint ein eigentlich eminent politisches Thema wie die NS-Verbrechen plötzlich eher wie ein Anreiz zur emotionalen, als zu rationalen Auseinandersetzung, da hier eben keine politischen Elemente oder Argumente angeschlossen werden, sondern das Thema vielmehr mit anderen zu einem Gesamtbild emotionaler Anreize collagiert wird.
In Hinblick auf die Entwicklung der Band kann man noch Folgendes festhalten. Die Problematiken mit der linken Szene hatten u.a. einen selbstempfundenen Mangel an Authentizität der Band zur Folge gehabt, wobei jedoch gerade die Authentizität ein essentieller Bestandteil ihres Selbstbildes war. Die Rückbesinnung auf sich selbst in Fresenhagen sollte auch die Wiederherstellung eben dieser Authentizität zur Folge haben und genau wie es die Autor_innen der Neuen Subjektivität forderten wurde diese Authentizität nun durch möglichst direkte, persönliche Texte umgesetzt.
Fazit
1. Das Private und das Politische bei Ton Steine Scherben
Ausgehend von der Leitfrage, wie das Private und das Politische in den Texten von Ton Steine Scherben thematisiert und in welches Verhältnis diese beiden Themen zu einander gestellt werden, wurden anhand der fünf exemplarisch aus der Diskographie der Band ausgewählten Songs die im folgenden zusammengefassten Untersuchungsergebnisse herausgestellt. Angesichts des Bruches in der Bandgeschichte, der sich u.a. im Umzug nach Fresenhagen ausdrückte und in den Songs widerspiegelte, liegt es nahe hier ebenfalls eine Unterteilung vorzunehmen und somit bei der Zusammenfassung ihrer Eigenschaften die Songs der frühen Phase getrennt von denen der späten Phase zu betrachten.
1.1 Die frühe Phase – die Entwicklung des Politischen aus dem Privaten
Ihre frühe Phase hatte die Band im Zeitraum von 1970 bis 1975 und damit in einer gesellschaftspolitisch sehr dynamischen Zeit der Bundesrepublik. Die Entwicklung der sog. Neuen Linken, die eine Politisierung großer Teile der Bevölkerung mit sich brachte, war in dieser Zeit in vollem Gange, hatte aber noch nicht zu ihrer Fixierung in den Neuen Sozialen Bewegungen geführt. Auch für Ton Steine Scherben steht in dieser Zeit das Politische an erster Stelle. Ihre politischen Ziele dominieren deutlich die Texte und deren stilistische und thematische Gestaltung. Zu diesen Zielen gehört die Unterstützung von allen Aktionen, die dem Klassenkampf dienen, v.a. aber die Befreiung aller Unterdrückten von den Zwängen der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. Dieses allgemein formulierte Ziel sollte dadurch erreicht werden, dass die Rezipient_innen zur Reflexion der gesellschaftspolitischen Situation angeregt wurden, um dann selbst praktische Schlüsse daraus zu ziehen, wie dies z.B. in Macht kaputt, was euch kaputt macht der Fall ist. Spielt aufgrund der Funktion der Songs als Zusammenfassung der Szenen der Theaterstücke das Individuum in den ersten Songs der Band noch kaum eine Rolle, so nimmt dessen Bedeutung im Verlauf der Bandgeschichte stetig zu. So werden in der frühen Phase der Band v.a. persönliche Situationen, oder populärkulturelle Verweise als Ausgangspunkt für die Entwicklung von politischen Zusammenhängen verwendet. Dies erinnert an Fiedler und Brinkmann, die erklärt hatten, dass gerade solch profan wirkende Elemente die Möglichkeit zur Politisierung bieten würden. Genau dieser These entsprechend wird in den Songtexten die größere politische Dimension der scheinbar privaten Sachverhalte von Alltagssituationen ausgehend aufgezeigt und gleichzeitig deren Lösung präsentiert. Diese Lösung stellt stets die Vereinigung im Kollektiv dar.
Auch sprachlich wird parallel zur Entwicklung von der konkreten Situation der_des Einzelnen hin zum größeren politischen Zusammenhang, die Perspektive in den Songs vom Singular in den Plural entwickelt. Diese sowohl inhaltliche, als auch sprachliche Abstraktion vom Privaten ins Politische ist das wichtigste Kennzeichen der Texte der frühen Phase der Band. Sie wird in den Songs auf unterschiedliche Weise realisiert. In Macht kaputt, was euch kaputt macht, wo das Persönliche aufgrund der Funktion des Songs als Paraphrase der Theaterszene und wegen des Schwerpunktes auf dem Thema der entmenschlichten Gesellschaft noch ausgeklammert wurde, wird beispielsweise aufgezeigt, dass Einzelkonsumtionen stets als Teil größerer kapitalistischer Kontexte zu verstehen sind. In Mensch Meier wird sie durch das narrative Rollenspiel und die Anlehnung an die Tradition des Bänkelsangs umgesetzt, durch die die Rezipient_innen dazu angeregt werden, die Inhalte des Songs auf ihr eigenes Leben zu beziehen. Hier herrscht jedoch noch eine deutliche Trennung zwischen der Realität der Rezipient_innen und derjenigen des Songs vor. Diese wird im Verlauf der Bandgeschichte jedoch zunehmend aufgebrochen. Bei Wir müssen hier raus wird schließlich durch das doppelte Identifikationsangebot eine direkte Verbindung von Songtextinhalt und Realität durch die Form der Ansprache hergestellt, deren wichtigstes Medium das innertextuelle lyrische Wir und die Ansprache in der zweiten Person Singular darstellen. Das Ziel, dass die Rezipient_innen die Abstraktion vom Einzelsachverhalt zum größeren Kontext individuell nachvollziehen und in der Solidarisierung und Identifikation mit einem Kollektiv umsetzten, sollte also dadurch erreicht werden, dass sie sich individuell einerseits innertextuell mit den Songinhalten und dem lyrischen Wir, sowie extratextuell mit der Band und dem Kollektiv der Rezipient_innen identifizierten. Bei der Umsetzung dieses Prinzips der frühen Phase der Band verschob sich der Schwerpunkt allerdings zunehmend auf die persönliche Ebene, wie die Analyse sowohl inhaltlich, als auch sprachlich gezeigt hat.
Die Musik wurde in dieser frühen Phase als Waffe bezeichnet, die als Mittel genutzt wurde, um die politischen Ziele der Gesellschaftskritik umzusetzen. Songs wurde politische Macht zugesprochen, wenn sie von vielen gesungen wurden. Darin zeigt sich ganz praktisch die Ausrichtung der Band auf die identifikatorischen und solidarisierenden Effekte der Songs. Die musikalische Gestaltung stand hinter diesen Zielen deutlich zurück. Dennoch war sie als Teil des Gesamteindruckes, den die Band vermittelte sehr bedeutsam. Ihre Musik stellte für ihre Rezipient_innen ein Element zur Ausbildung einer sozialen Identität dar. Das künstlerische Konzept, welches die Band vorlebte, in ihren Schriften vertrat und durch ihre politischen Aktionen umsetzte, machte aus der Band, ihrer Musik und ihren Texten zudem das authentische Symbol eines Lebensgefühls. Dieses Lebensgefühl wurde gerade in der Verbindung von persönlichen Einzelsituationen mit politischen Zusammenhängen ausgedrückt. Hier wurde aufgezeigt, dass das Private politisch ist.
1.2 Die späte Phase – Der Eigenwert des Privaten vor dem Politischen
Die späte Phase der Band ab 1975 fällt auf eine Zeit in deren Verlauf sich die Bevölkerung angesichts des immer gewalttätigeren RAF-Terrorismus zunehmend von den politischen Zielen der Linken abwandte und sich die politischen Energien der linken Szene immer mehr in Organisationen, Parteien etc. fixierten. Die Band vollzog mit dem Umzug nach Fresenhagen bereits 1975 die zumindest teilweise Abkehr von der linken Szene und vollzog damit gleichzeitig einen Wandel ihres Selbstverständnisses, der sich auch in ihren Texten niederschlug. Die bereits früher vorgenommene Fokussierung auf private Perspektiven in den Texten wurde nun noch deutlich konsequenter umgesetzt und die politische Dimension wurde weitestgehend zurückgedrängt. Die persönlichen Erfahrungen des lyrischen Ichs wurden weiterhin als Ausgangspunkt genutzt, doch wurde von ihnen nun keine politische Dimension mehr entwickelt, sondern sie standen selbst im Mittelpunkt. Auch wurden sie nicht mehr anhand von Alltagssituationen, sondern in Form von Introspektionen entwickelt. Die Rezipient_innen sollten dadurch immernoch zur Reflexion angeregt werden und daraus individuell Schlüsse ziehen, doch bezog diese Reflexion sich nun nicht mehr aufs Gesellschaftspolitische, sondern aufs Persönliche und Emotionale. Die Befreiung aller durch die sozialen Verhältnisse Unterdrückten verlagert sich nun also auf die Befreiung der Menschen von ihren inneren Unfreiheiten und Abhängigkeiten, wie Kreier es nennt (s. 4.4.1 Entstehung und musikalische Eigenschaften). Im Zuge dieser Ausrichtung auf das Subjekt selbst wurden vermehrt textliche Konstruktionen der Ansprache wie z.B. die zweite Person Singular, oder introspektive Perspektiven wie der stream of conciousness verwandt und die stereotypen Rollenfiguren wie Mensch Meier oder Paul Panzer, sowie die markigen politischen Parolen fielen weg.
Die Verbindung von konkreten Situationen und allgemeinen Aussagen blieb jedoch wie z.B. in Halt dich an deiner Liebe fest ein häufig verwendetes Stilmittel. Dabei wurden jedoch nicht mehr größere politische Kontexte, sondern emotionale Probleme wie Einsamkeit thematisiert. Entsprechend dieser auf den_die Einzelne_n ausgerichteten Perspektive wurde nun auch kein revolutionäres Kollektiv mehr durch ein lyrisches Wir beschworen und auch die von Hagelweide beschriebenen Effekte der Solidarisierung fallen weg. Das Gefühl der persönlichen Ansprache, das Wrobel untersuchte, wurde allerdings auch hier wieder erzeugt. Daraus wird aber nicht wie noch in der frühen Phase ein politisch ausgerichtetes, sondern ein privates Kollektiv entwickelt. Damit bleibt der Text an sich unpolitisch, die von ihm hintergründig propagierte persönliche Solidarisierung kann jedoch als eine politische Dimension des Privaten verstanden werden. Damit bleibt das Bewusstsein ein Teil eines Kollektivs zu sein der in den Texten der Band propagierte Lösungsansatz für sowohl politische, wie auch private Probleme. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die politische Dimension des Privaten sich darin begründet, dass auch das rein Private durch die politischen Rahmen des Lebens der Menschen determiniert ist. Das Bewusstsein, Teil eines Kollektivs von Rezipient_innen, bzw. Gleich-Fühlenden zu sein, stellt nun allerdings nicht mehr eine revolutionäre Perspektive dar, sondern wirkt durch das tröstliche Wissens, mit seinen Problemen nicht allein zu sein.
Ähnlich wie die Band sich in Fresenhagen auf sich selbst besinnen wollte, wird nun also auch die Perspektive im Songtext reflexiv auf das Individuum ausgerichtet (z.B. in Halt dich an deiner Liebe fest). Diese reflexive und v.a. rein private Ausrichtung des Songtextes stellte an sich jedoch wiederum ein Politikum dar, da sie die Abkehr vom Agit-Rock und der politischen Musik deutlich erkennbar vollzog und den Eigenwert persönlicher Sachverhalte betonte. Während Teile der linken Szene nicht verstanden, warum eine so politische Band so unpolitische Texte zur Aufführung brachte, stellten Reiser und Ton Steine Scherben auf diesem Weg heraus, dass private Themen gegenüber politischen Zusammenhängen einen nicht zu vernachlässigenden Eigenwert haben und somit auch ohne direkt angeschlossene politische Dimension berücksichtigt werden müssen. Vielmehr sei das eine nicht möglich, wenn man das andere vernachlässige.
Darin lässt sich auch die Umsetzung der Konsequenzen erkennen, die die Band aus den Problemen mit der linken Szene zog. Die authentische Verknüpfung von Leben und Arbeit, also solidarischer Band-Kommune und musikalisch-politischem Engagement, war in West-Berlin an ihre Grenzen gestoßen und v.a. das politische Engagement hatte wegen der sich ausdifferenzierenden linken Szene zu immer mehr Konflikten geführt. Eine authentische Verkörperung ihrer politischen und privaten Ziele, die die Band stets eng mit einander verbunden hatte, war also nicht mehr möglich gewesen. Die Konsequenz war die Besinnung auf sich selbst, die das Ziel hatte wieder authentisch eine Position vertreten zu können. Dies drückte sich direkt in den Songtexten aus und hatte die bereits erwähnte Fortführung der Konzentration auf persönliche Perspektiven zur Folge. Diese drückt sich v.a. auf der stilistischen Ebene der Texte aus und hat einen ihrer Höhepunkte im Text von Jenseits von Eden. Wie die Analyse gezeigt hat, wurde hier die Perspektive des Songtextes soweit ins persönliche weiterentwickelt, dass eine allgemeingültige Deutung kaum mehr möglich ist. Statt dessen werden durch den stream of conciousness möglichst alle Elemente, die narrative Distanz erzeugen könnten, ausgeschlossen und es wird möglichst direkt der Blick des lyrischen Ichs präsentiert. Die Folge ist, dass nun selbst politische Themen wie die NS-Verweise nur noch als individuell und emotional erfahrbare Anreize und nicht mehr als rational nachvollziehbare Verweise verstanden werden können. Das Politische ist hier also privat geworden.
Betrachtet man somit die sich anhand dieser fünf Songs abzeichnende Entwicklung der Songtexte der Band, so erkennt man deutlich, dass von den Anfängen des Agit-Prop-Theaters und seinen unpersönlichen, agitatorischen Phrasen und Parolen nun nichts mehr übrig ist. In der Zwischenzeit haben sich die Texte deutlich verändert. Die Parolen und Ellipsen (Macht kaputt, was euch kaputt macht) wurden von Narrativen mit Bezug auf die Bänkelsangtradition und stereotypen Rollenfiguren, die von den Rezipient_innen auf ihre eigene Lebenswelt übertragen werden sollten, abgelöst (Mensch Meier). Auf diese von den Rezipient_innen noch recht distanzierte Textform folgte eine zunehmende Auflösung der narrativen Distanz zum Zweck der größeren Nähe zu den Rezipient_innen, die immer mehr auch Adressat_innen der Texte und des lyrischen Ichs wurden.
Dies geschah z.B. durch das doppelte Identifikationsangebot, das mit den deutlichen politischen Zielen der Solidarisierung und Motivation verknüpft war (Wir müssen hier raus). Der zunehmend aufs Persönliche gerichtete Fokus der Texte wurde daraufhin noch konsequenter Umgesetzt und realisierte sich z.B. in der konsequenten Ansprache in der zweiten Person Singular und der reflexiven Ausrichtung des lyrischen Ichs auf sich selbst (Halt dich an deiner Liebe fest). Darin zeigte sich auch, dass die Perspektive der Texte gegenüber den Inhalten eine immer wichtigere Rolle übernahm. Den exemplarischen Schlusspunkt dieser Entwicklung bildet die Auflösung aller narrativen Distanz und die Vermischung der narrativen Ebenen im stream of conciousness (Jenseits von Eden), die zur Folge hat, dass der Songtext nicht mehr rational und allgemeingültig, sondern nur noch emotional und individuell gedeutet werden kann. Das Politische, welches zu Beginn dieser Entwicklung noch das determinierende Element im Zentrum der Texte war, wurde zunächst also zunehmend mit dem Privaten verknüpft und aus ihm heraus entwickelt. Dabei nahm das Private im Lauf der Zeit immer mehr Raum ein. Das Politische wurde dabei immer weiter verdrängt, sodass es am Ende dieser Entwicklung nur noch als emotionales Reizmoment dient. Das Private wurde nun dadurch politisch, dass es eben nicht politisch ist.
Auch musikalisch wird in der späten Phase der Band das Politische hintenan gestellt. Der Agit-Rock mit seinen gegenkulturellen Implikationen wird zunehmend von experimentelleren Tendenzen abgelöst. Dies hat zum einen mit der allgemeinen musikalischen und technischen Entwicklung der Zeit zu tun, die z.B. durch das Aufkommen der polyphonen Synthesizer Ende der Siebzigerjahre deutlich geprägt wurde. Zum anderen maß die Band nun ihren Arrangements deutlich mehr Bedeutung zu, da ihre Songs nicht mehr nur als politische Waffen gedacht waren. Die Mitglieder der Band hatten sich schon immer in erster Linie als Musiker_innen verstanden, doch nun drückte sich dieses Selbstverständnis auch in ihrem Auftreten aus. Hatte die Band sich in der frühen Phase beispielsweise noch geweigert auf Bühnen zu spielen, um sich nicht künstlich gegenüber ihrem Publikum zu erhöhen, wurde diese Trennung nun akzeptiert und gewollt. Dies hing auch mit dem gewachsenen Bekanntheitsgrad der Band zusammen, die auf immer größeren Bühnen spielte. Mit dem Bekanntheitsgrad waren allerdings auch die Ansprüche der Band gestiegen. So verlangte Reiser nun beispielsweise ein Hotelzimmer mit Badewanne, da er sich so entspannen und auf den Auftritt vorbereiten konnte. Übernachtungen in Wohngemeinschaften, wie sie in der frühen Phase üblich waren, wollte die Band nicht mehr hinnehmen.
2. Ton Steine Scherben und die Neue Subjektivität
Die soeben nachgezeichnete Entwicklung der Band und ihrer Texte erinnert in weiten Teilen an die Entstehung und Entwicklung der Neuen Subjektivität. Die stark politisierte, aber gänzlich unpersönliche Perspektive von Macht kaputt, was euch kaputt macht gemahnt an die politisierte Literatur, von der sich die Neue Subjektivität abgrenzen wollte und die ebenfalls den Menschen und seine Befindlichkeiten ausgrenzte. Der weitere Verlauf der frühen Phase der Band ist v.a. durch die Intention, die politische Dimension aus privaten Situationen und alltäglichen Erfahrungen heraus zu entwickeln und die Rezipient_innen dadurch zu motivieren und zu solidarisieren, geprägt. Dies entspricht genau der Intention der Neuen Subjektivität, die ebenfalls private Themen wählte um deren politischen Gehalt aufzuzeigen.
Auch in der sprachlichen Gestaltung finden sich einige Parallelen, die v.a. von der Orientierung auf das Zielpublikum junger, tendenziell weniger gebildeter Menschen herrührt. So wurde sowohl in der Neuen Subjektivität als auch in den Texten der frühen Phase der Band v.a. einfache Sprache, oder Umgangssprache verwandt, die z.T. auch dialektal gefärbt ist. Die Verwendung von Reim, Metrum und anderen rhetorischen Stilmitteln wurde in der Neuen Subjektivität prinzipiell kritisch gesehen. In den Texten der Band nahmen diese zunehmend ab. Finden sich in Macht kaputt, was euch kaputt macht noch ein durchgehendes Metrum mit identischen Reimen, so wird in Wir müssen hier raus oder Halt dich an deiner Liebe fest nur noch jeder zweite Vers gereimt und das Metrum ist uneinheitlich. In Jenseits von Eden wird das Metrum komplett an der Musik ausgerichtet und bis auf die ersten Verse nichts gereimt.
Die von der Band der Musik untergeordneten Texte enthalten allerdings einen im Verlauf ihrer Entwicklung zunehmenden Hang zur bildhaften, metaphorischen Sprache, die nur z.T. im Sinne der Neuen Subjektivität war. Metaphern wurden hier im Allgemeinen abgelehnt, da sie den direkten Zugang zum Text verstellten. Bildhafte Sprache wurde wiederum solange befürwortet, wie sie der Darstellung von Situationen diente und Emotionen evozierte. Sobald sie allerdings in übertragene Bedeutungen überging, wie das v.a. in der späten Phase der Band der Fall war, entsprach sie nicht mehr den Zielen der Neuen Subjektivität. Demgegenüber stellten die in der gesamten frühen Phase der Band sehr präsenten politischen Parolen ebenfalls einen deutlichen Gegensatz zur Ausrichtung der Neuen Subjektivität dar. Diese wollte eben nicht mehr auf Schlagworte reduzieren, sondern die persönliche Perspektive stark machen. Diese nahm, wie eben erörtert, im Verlauf der frühen Phase der Band immer mehr Raum in deren Texten ein, bis sie schließlich das Politische soweit in den Hintergrund drängte, dass sie selbst im Mittelpunkt der Texte stand. Parallel dazu nahmen die politischen Parolen immer mehr ab. Dies entspricht der zweiten Tendenz der Neuen Subjektivität, die darin bestand den Eigenwert privater Erfahrungen, Träume, Ängste, Phantasien etc. gegenüber politischen Sachverhalten stark zu machen. Ähnlich wie bei Ton Steine Scherben wurde in der Neuen Subjektivität die politische Abstraktion von der persönlichen abgelöst, da letzterer mehr Authentizität zugesprochen wurde.
In der späteren Phase der Band wurde der Eigenwert des Privaten dann durch die konsequente Einnahme persönlicher Perspektiven und den reflexiv ausgerichteten Fokus auf das Individuum selbst betont. Dies stellte in Hinblick auf die Bandgeschichte, ihr Image und ihr Umfeld in der linken Szene ein Politikum dar, genau wie die rein aufs Persönliche ausgerichteten Texte mancher Autor_innen der Neuen Subjektivität, die z.T. die Abkehr vom Politischen direkt thematisierten (z.B. Lenz von Peter Schneider). Genau wie die Band waren auch diese Autor_innen dem Vorwurf des Verrats an der Bewegung ausgesetzt gewesen.
Dass Texte, die betont unpolitisch angelegt werden, gerade dadurch eine politische Dimension erhalten, haben sowohl Rio Reiser, als auch Marcel Reich-Ranicki herausgestellt. Für beide war politisches Engagement ohne Reflexion und Introspektion nicht möglich. Die textliche Umsetzung dieser Introspektion ist v.a. in der späten Phase der Band zu beobachten. Dabei ersetzt sie den Rekurs auf die politischen Verhältnisse als Mittel zur Authentifizierung der Texte. Spiegelten sich in der frühen Phase der Band noch ihre politischen Einstellungen und Handlungen direkt in den Texten und wurden mit ihrer Lebensweise zu einem authentischen Ganzen verbunden, das sich so selbst legitimierte, war diese politische Authentifizierung in der späten Phase durch eine persönliche ersetzt worden. Nun authentifizierten die Introspektion und die bis ins nicht mehr rational nachvollziehbare weiter entwickelte persönliche Perspektive die Songs. Dies entspricht der Einschätzung der Neuen Subjektivität, die persönliche Perspektiven als wesentlich authentischer bewertete, als politische.
Die politisch orientierten Identifikationsangebote der frühen Phase der Band wurden durch die Aufhebung der narrativen Distanz ersetzt, wobei das Ziel der möglichst großen Nähe zu den Rezipient_innen gleich blieb. Dieses Ziel wurde auch durch die Gleichsetzung von lyrischem und empirischem Ich, die ebenfalls in der frühen Phase über die politische Intention und in der späten Phase über die Introspektion realisiert wurde, angestrebt. Diese Gleichsetzung stellt ebenso ein Ziel der Neuen Subjektivität dar, die dadurch ebenfalls so nah wie möglich an die Rezipient_innen heranrücken wollte um möglichst authentisch zu sein. Die in den Texten der Band unternommene Introspektion kann im Kontext der Bandgeschichte und ihrer nie ganz aufgegebenen politischen Ziele allerdings auch als Fortführung ebendieser Ziele mit anderen Vorzeichen verstanden werden. Die Unterdrückten sollen demnach nicht mehr von äußeren, sondern von inneren Zwängen befreit werden. Auch dies ist ein Ziel der Neuen Subjektivität gewesen, die darauf abzielte, die Souveränität der Individuen gegenüber technokratischer Fremdbestimmung zu stärken.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Entwicklung der Band und ihrer Texte der Entwicklung der Neuen Subjektivität und ihrer unterschiedlichen Tendenzen in weiten Teilen entspricht. Dabei ist darauf hinzuweisen, was eingangs beim Versuch der Datierung dieser Literaturströmung festgehalten wurde. Entwicklungen von Literaturströmungen lassen sich nur selten konkret auf einen Zeitpunkt oder eine einzige Tendenz festlegen. Vielmehr stellen sie die Manifestation von kulturellen Diskursen dar, wie sie sich auch in der Musik oder anderen Kunstformen ausdrücken. Es ist somit nicht verwunderlich, dass sich die Tendenzen, Themen und Ideen, die in der Neuen Subjektivität und in ihrem Umfeld verhandelt wurden, anhand der Songtexte an unterschiedlichen Zeitpunkten in der Bandgeschichte aufzeigen lassen. Ebenso realisieren sich aber natürlich auch der Neuen Subjektivität widersprechende Tendenzen in dieser Zeit. So erinnert beispielsweise die Verwendung von markigen politischen Parolen, wie sie für die frühe Phase der Band so typisch war, vielmehr an die stark politisierte Literatur und widerspricht den Zielen der Neuen Subjektivität. So man die frühe Phase der Band deshalb eher mit dieser der Neuen Subjektivität gegenüberstehenden Literaturströmung in Verbindung bringen möchte, läge es nahe den Vergleich der Songtexte der Band mit der Neuen Subjektivität erst beim Umzug nach Fresenhagen und der damit verbundenen Veränderung der Schwerpunkte der Texte in der zweiten Phase anzusetzen. Dem widerspricht jedoch die bereits in der frühen Phase so deutlich zu erkennende Tendenz, das Politische aus dem Privaten zu entwickeln, die ein Kernelement der Neuen Subjektivität darstellt. An derartigen Beispielen lässt sich die Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Tendenzen und Positionen im politisch-kulturellen Diskurs erkennen, die sich z.B. auch darin ausdrückt, dass der Beginn der Neuen Subjektivität eben nicht exakt datierbar ist.
Die vorliegende Arbeit hat jedoch aufgezeigt, in welchen Aspekten sich die Bandgeschichte und die Songtexte, sowie die Entwicklung der Neuen Subjektivität vergleichen lassen und wo sie ähnliche Bewegungen vollziehen. Dabei stellt das hier näher untersuchte Verhältnis von Privatem und Politischem ein zentrales Element dar, da sich genau darum sowohl die Literaturströmung als auch die Texte der Band immer wieder drehten. Die beiden Haupttendenzen der Neuen Subjektivität, die Entwicklung der politischen Dimension aus privaten Sachverhalten, sowie die Betonung des Eigenwertes des Privaten gegenüber dem Politischen, die dadurch selbst zum Politikum wird, entsprechen den Schwerpunkten der beiden Phasen der Bandgeschichte. Das Private ist hier somit in doppeltem Sinne politisch.
Ob und wie die musikalische Umsetzung der Songs ebenfalls kulturelle Diskurse der Zeit repräsentiert, konnte hier nur ansatzweise untersucht werden und würde gerade hinsichtlich eines interdisziplinären Forschungsansatzes eine interessante Fortführung der hier vorgelegten Untersuchungsergebnisse darstellen. Für das vorliegende Erkenntnisinteresse hat sich der in den einleitenden methodischen Vorüberlegungen herausgearbeitete Ansatz der textzentrierten Analyse mit Einbeziehung der musikalischen und aufführungspraktischen Dimension der Songs jedoch bewährt. Dieser Ansatz hat es ermöglicht, in erster Linie die textlichen Eigenschaften der Songtexte herauszuarbeiten, die sowohl für die Vergleichbarkeit mit der Neuen Subjektivität, als auch hinsichtlich des Verständnisses des Verhältnisses von Privatem und Politischem essentiell waren. Die Berücksichtigung von Aufführungspraxis, musikalischer Gestaltung und bandhistorischem Kontext hat zudem dazu geführt, dass die Songs als Ganzes interpretiert werden konnten und nicht einzelne Aspekte unberücksichtigt blieben.
Als weiterführendes Forschungsvorhaben bietet sich angesichts der sowohl thematischen wie auch strukturellen Parallelen zwischen der Neuen Subjektivität und der Band bzw. ihren Texten zudem eine Diskursanalyse im Sinne Foucaults an. Die Songtexte und die Bandgeschichte können demnach genau wie die Entwicklung und die Texte der Neuen Subjektivität als Elemente des gleichen Dispositivs verstanden werden. Die in dieser Arbeit vorgelegten Analyseergebnisse haben die Eigenschaften und Entwicklungen der Songtexte der Band aufgezeigt und durch den Vergleich mit der Neuen Subjektivität derartige Perspektiven eröffnet.
Anhang
1. Songtexte
Macht kaputt, was euch kaputt macht
Radios laufen
Platten laufen
Filme laufen
TV's laufen
Reisen kaufen
Autos kaufen
Häuser kaufen
Möbel kaufen
Wofür?
Macht kaputt, was euch kaputt macht!
Züge rollen
Dollars rollen
Maschinen laufen
Menschen schuften
Fabriken bauen
Maschinen bauen
Motoren bauen
Kanonen bauen
Für wen?
Macht kaputt, was euch kaputt macht!
Bomber fliegen
Panzer rollen
Polizisten schlagen
Soldaten fallen
Die Chefs schützen
Die Aktien schützen
Das Recht schützen
Den Staat schützen
Vor uns!
Macht kaputt, was euch kaputt macht!
Mensch Meier
Mensch Meier kam sich vor wie ne Ölsardine,
Irgendjemand stand auf seinem rechten großen Zeh.
Das passierte ihm auch noch in aller Hergottsfrühe
Im 29er kurz vor Halensee.
Der Kassierer schrie: "Wer hat noch keinen Fahrschein?"
Und Mensch Meier sagte laut und ehrlich: "Ick!"
"Aber ick fahr schwarz und füttere mein Sparschwein"
Und der Schaffner sagte: "Mensch, bist du verrückt?"
Doch Mensch Meier sagte:
"Nee, nee, nee, eher brennt die BVG!
Ich bin hier oben noch ganz dicht,
Der Spaß ist zu teuer, von mir kriegste nüscht!
Nee, nee, nee, eher brennt die BVG!
Ich bin hier oben noch ganz dicht,
Der Spaß ist zu teuer, von mir kriegste nüscht!"
Und da sagte einer, du hast recht Mensch Meier,
Was die so mit uns machen, ist der reine Hohn.
Erst wolln'se von uns immer höhere Steuern
Und was se dann versieben, kostet unseren Lohn.
Doch der Schaffner brüllte: "Muß erst was passier'n?
Rückt das Geld raus oder es geht rund.
Was ihr da quatscht, hat mich nicht zu interessieren,
Und wenn ihr jetzt nicht blecht, dann kostet das 'n Pfund!"
Da riefen beide: „Nee, nee, nee…..
"Halt mal an, Fritz!" brüllt da der BVG Knecht,
"Ick schmeiß den Meier raus und hol die Polizei."
Doch die Leute riefen: "Sag mal, bist du blöd, Mensch?
Wir müssen arbeiten, wir haben keine Zeit.
Und wenn die da oben x-Millionen Schulden haben,
Dann solln'ses bei den Bonzen holen, die uns beklauen.
Du kannst deinem Chef bestellen, wir fahr'n jetzt alle schwarz,
Und der Meier bleibt hier drin, sonst fliegst du raus!"
Und da riefen alle: „Nee, nee, nee …..
Wir müssen hier raus
Im Bett ist der Mensch nicht gern alleine
Und in meinem Bett ist grad noch Platz für dich
Doch mein Alter ist fast jeden Tag zu Hause
Und ich glaub er hat was gegen dich
Für mich ist die Welt nicht mehr in Ordnung,
Nicht früh um Sieben und auch nicht nach der Tagesschau
Für mich heißt das Wort zum Sonntag Scheiße
Und das Wort zum Montag Mach mal blau
Wir müssen hier raus das ist die Hölle
Wir leben im Zuchthaus
Wir sind geboren, um frei zu sein
Wir sind zwei von Millionen Wir sind nicht allein
Und wir werden es schaffen Wir werden es schaffen
Mein Alter meint die Welt wird sich nicht ändern
Dabei weiß er ganz genau was läuft
Doch er glaubt er vergißt die ganze Scheiße
Wenn er abends in der Kneipe hängt und säuft
Er sagt der schönste Platz ist immer an der Theke
Da hat er recht zu Haus ist kaum noch Platz für drei
Darum bin ich auch den ganzen Tag auf Arbeit
Man kann sagen ich bin so frei
Wir müssen hier raus das ist die Hölle
Wir leben im Zuchthaus
Wir sind geboren um frei zu sein
Wir sind zwei von Millionen
Wir sind nicht allein
Und was kann und hindern
Kein Geld Keine Waffen
Wenn wir es wollen
Wir werden es schaffen
Wir sind geboren um frei zu sein
Wir sind zwei von Millionen
Wir sind nicht allein
Wir sind geboren um frei zu sein
Halt dich an deiner Liebe fest
Wenn niemand bei dir is
Und du denkst dass keiner dich sucht
Und du hast die Reise ins Jenseits
Vielleicht schon gebucht
Und all die Lügen
[Geben dir den Rest]
Halt dich an deiner Liebe fest
Wenn der Frühling kommt
Und deine Seele brennt
Du wachst nachts auf aus deinen Träumen
Aber da is niemand der bei dir pennt
Wenn der auf den du wartest
Dich sitzen lässt
Halt dich an deiner Liebe fest
Halt dich an deiner Liebe fest
Wenn der Novemberwind
Deine Hoffnung verweht
Und du bist so müde
Weil du nicht mehr weißt wies weitergeht
Wenn dein kaltes Bett
Dich nicht schlafen lässt
Halt dich an deiner Liebe fest
Halt dich an deiner Liebe fest
Jenseits von Eden
Heiß heiß kochend heiß
Heiß heiß hundert Grad
Heiß heiß glühend heiß
Heiß heiß blühend weiß
Jenseits von Eden
Euphrat // und Tigris
Allah wollte es – so
Sechshundertsechsundsechzig
Schütze uns vor Gestern
Eins neun dreiunddreißig
In 3 - D und Farbe
Dann ist Sendepause
Das war der Wilde Westen
Hält Gott die Zehn Gebote
Ich will nicht
Daß du in Schwarz gehst
Weil ich tot bin.
Wo warst du im Krieg
Weißt du, was ich meine
Du warst auf der Suche
Ich war auf der Flucht
Hörst du die Räder rollen
Durchsichtig und klar
Irgendwann in der Nacht
In Musik gebadet
Jede Blume hat ihren Schatten
Zweitausend Lieder
Zweitausend Tode
Mamamama – warum hast du mich geborn
Oder hat mich der Esel im Galopp verlorn
Ach ich spring ins Leere
Halleluja Schwestern
Ich hab den Text vergessen
Ich bin mein Fragezeichen
Doch ich komm morgen wieder
Gib mir deinen Segen
Liebe – was ist das
Das ist das Leben in der Stadt,
Was soll daran schlecht sein
Liebe kommt von unten
Liebe hat schwache Worte
Ach ich bin so müde
Ich geh hier nicht weg
Geh zurück ins Meer
Such mir meinen Engel
Wer ist hinterm Spiegel
2. Diskografie (Alben)
Macht kaputt was euch kaputt macht (1970)
Warum geht es mir so dreckig (1971)
Mensch Meier (1971)
Allein machen sie dich ein (1971)
Keine Macht für Niemand (1972)
Wenn die Nacht am tiefsten (1975)
Das ist unser Land (1979)
IV (Das schwarze Album) (1981)
Auswahl I (1981)
Scherben (1983)
In Berlin 1984 (Live I) (1985)
Live II (1996)
18 Songs aus 15 Jahren (2005)
Live III (2006)
TON STEINE SCHERBEN - Gesamtwerk (2006)
Literaturverzeichnis
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Reiser, Rio: Rio Reiser live in der Seelenbinder-Halle. Möbius Rekords. Berlin/DDR. 1988.
Ton Steine Scherben & Christian Wagner (Regie): Land in Sicht. Indigo. Hamburg. 2003.
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Ton Steine Scherben: Mensch Meier. David Volksmund Produktion. West-Berlin. 1971.
Ton Steine Scherben: Keine Macht für Niemand. David Volksmund Produktion. West-Berlin. 1972.
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Ton Steine Scherben: IV. David Volksmund Produktion. West-Berlin. 1981.
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https://haschrebellen.de/haschrebellen Stand: 05.09.2017 – 21:50 Uhr
Bibelverweise zitiert nach:
https://www.bibleserver.com/text/ELB/Offenbarung13 Stand: 12.03.2018 – 12:40 Uhr
https://www.bibleserver.com/text/LUT/1.Mose4 Stand: 12.03.2018 – 12:22 Uhr
Fritz, Nathalie: Herbert Grönemeyer „Mensch“. In: http://www.laut.de/lautstark/cd-reviews/g/groenemeyer_herbert/mensch/index.htm, 05.05.10. Stand: 06.03.2018 – 12:32 Uhr
Anmerkungen zu den Songs von Robert Kneschke:
http://www.riolyrics.de/artikel/id:956 Stand: 08.09.2017 – 14:58 Uhr
http://www.riolyrics.de/song/id:44 Stand: 03.09.2017 – 15:33 Uhr
Lemmich, Bert: Ton Steine Scherben. In: Munzinger Online. Pop-Archiv International. Ravensburg. 15. Oktober 1996. http://www.munzinger.de/document/02000000238 Stand: 05.03.2018. – 11:49 Uhr
Löwisch, Reinhard: Vor 50 Jahren. Die Gruppe 47 in der Pulvermühle bei Waischenfeld. Artikelserie, veröffentlicht im Januar, Februar und März 2017 in der Lokalpresse: Nordbayerische Nachrichten (Forchheim), Fränkischer Tag (Forchheim) und Nordbayerischer Kurier (Pegnitz). Zitiert nach: http://www.loewisch.com/reini/heimatkunde/g-47-artikelserie.pdf Stand: 06.03.2018 – 10:00 Uhr
Schmidt-Salomon, Michael: Kann Musik die Welt verändern? Die Musik der alten und neuen Linken. Vortragsreihe: Musik und Politik. Universität Trier. http://www.schmidt-salomon.de/mupo2.html Stand: 25.08.2017 – 17:10 Uhr
Seidel, Wolfgang: Deutsche Popmusik. Wie deutsch ist Krautrock? http://www.deutschlandfunk.de/deutsche-popmusik-wie-deutsch-ist-krautrock.807.de.html?dram:article_id=360980 Stand: 18.09.2017 – 17:27 Uhr
Stahl, Enno: Popliteratur der 60er Jahre. 14.07.2014. http://www.pop-zeitschrift.de/2014/07/14/popliteratur-der-sechziger-jahre/ Stand 27.02.2018 – 16:07 Uhr
Walther, Danny: Die Fiedler-Debatte. Kleiner Versuch, die Chiffre 1968 von links ein wenig auf-zuschreiben. Magisterarbeit am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig. 2007. http://www.qucosa.de/fileadmin/data/qucosa/documents/3961/Magisterarbeit_Danny%20Walther.pdf Stand: 05:03.2018 – 22:30 Uhr
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Behrens, Roger: Dialektik der Scherben. In: Kritischer Kreis. Verein für gesellschaftliche Transformationskunde (Hrsg.): Steifzüge. Context. Wien. 01.07.2007. http://www.streifzuege.org/2007/dialektik-der-scherben Stand: 05.03.2018. – 11:36 Uhr
Bortot, Davide: Wo ist da der Hit? Musikexpress. Axel Springer. Berlin. 30.06.2015.
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Anmerkungen
Die Magisterarbeit wurde mir freundlicherweise vom Autor Bennet Schuster selbst zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt, die Arbeit wurde mit 1,0 bewertet.Diese Textmenge in dieser unformatierten Form leider etwas unbequem zu lesen, aber ich wollte den Fließtext jedoch für die Volltextsuche ins Archiv integrieren.
Die richtig formatierte Arbeit im PDF-Format gibt es hier im Download-Bereich:
http://www.riolyrics.de/mp3/id:28