Karte

Artikelarchiv

 (766 /  998)
alle /  Interviews /  Rezension /  lange Texte /  Rio als Autor /  Bücher /  im Volltext lesbar
Zeitraum
alle /  vor 2000 /  nach 2000

Datum

14.10.2005

Medium

edel Biographie

Ausgabe

Seite

1-2

AutorIn

Rio Reiser

Familienalbum Band 2

Album: „Familienalbum Band 2" VÖ: 14.10.2005

Es kann einen Menschen zerreißen, sein ganzes Leben lang geliebt und gleichsam missverstanden zu werden. Als Rio Reiser vor knapp zehn Jahren, nur einen Sommer vor seinem viel zu frühen Tod am 20. August 1996, im Hamburger Büro seiner Plattenfirma saß und zu Kaffee und Zigaretten Interviews gab, glitt sein Blick wieder und wieder ins satte Grün vor dem Fenster ab. Dann lächelte er manchmal, drehte sich zurück und schaute im Raum umher wie eine Hausfrau im frisch gewischten Wohnzimmer, die nicht mehr weiß, weshalb und für wen sie das noch jede Woche tut...

Dass Reiser beileibe nicht lebensmüde, sondern nur skeptischer und auch ein bisschen enttäuschter war denn zu Zeiten, da er mit Ton Steine Scherben musikalisches Feuer legte in der Republik, zeigte sein Gesicht, wenn er über seine Lieder sprechen durfte. Ganz früher, sagte er dann, hätten manche Leute die für vertonte Parteitagsreden gehalten, obwohl er doch nur gute Poesie habe machen wollen. Danach, als er solistisch mit dem "König von Deutschland" die Hitparaden stürmte, hätten sie ihn als Verräter beschimpft und als Helden gefeiert, doch beides sei er nicht gewesen, nur gute Poesie habe er machen wollen. "Vielleicht ist ja nun endlich die Zeit reif, mir das zu glauben." Sein Enthusiasmus war ungebrochen. Rio hätte nur noch ein paar Jahre länger leben müssen, um zufrieden zu bemerken, dass den Leuten nun von Jahr zu Jahr mehr auffällt, wie sehr dem Reiser der Coup gelungen ist.

Jetzt, da gute Poesie zur Mangelware wird, besonders im Pop, fallen Rio's Songs wieder richtig auf. Was übrigens für sein gesamtes Werk gilt. Von "Keine Macht für Niemand", der Scherben-Hymne jeder bundesdeutschen Demo in den Siebzigern, bis hin zu Reisers letzten Solo-Werken, wie dem Album "Himmel & Hölle" von 1995, nennen junge wie ältere Musiker dieses Landes seine Songs bis heute als erste, wenn sie jemand nach den wichtigsten einheimischen Einflüssen befragt. Dabei litt die Reputation der Band in den Siebzigern ganz heftig an Reiser's Beharren auf mehr als nur dem politischen Statement verpflichteten Liedern. Das Image des Kommunarden schmeckte Reiser nur so lange, wie es seine musikalische Bewegungsfreiheit nicht einengte, also alles andere als ewig.

Es hat lange, ob des beklagenswert frühen Todes Rio Reisers zu lange gedauert, bis das Werk des als Ralph Möbius am 9. Januar 1950 in Berlin geborenen Künstlers die gebotene Wertschätzung erfuhr. Vor zwei Jahren erschien mit dem "Rio Reiser Familienalbum" die längst fällige Hommage an den Poeten und Songwriter. Mit den Söhnen Mannheims, Fettes Brot, mit Wir sind Helden und Marianne Rosenberg, Nena und Joachim Witt, mit Fehlfarben, Marlon und Michels erboten Musiker der unterschiedlichsten Genres Rio den Kniefall.

Doch weil dies noch nicht alle Verehrer waren, erfährt die schöne Sammlung jetzt ihre Fortsetzung. Dort singt Annett Louisan den Song "B-Seite", ,covert Bosse "Warum geht es mir so dreckig" und Joachim Deutschland "Keine Macht für Niemand", sind Klee, Kinderzimmer Productions, Reinhard Mey und auch die Scherben Family angetreten, dem großartigen Songschreiber - oder sollte man sagen Liedermacher? – ihre Verehrung zu erweisen. Das "Familienalbum Band 2" ist wehmütige Erinnerung und zeitgemäßes Statement zugleich, mit Liebe, Bewunderung und derselben musikalischen Extravaganz, die Rio seinen Liedern schuf, werden eben diese Lieder manchmal mehr als dreißig Jahre nach ihrer Entstehung erneut zu Fanalen für die Kraft popmusikalischen Zeichensetzens.

Die einleitenden, gesprochenen Worte der einstigen Scherben-Managerin und heutigen Grünen-Politikerin Claudia Roth rufen den politischen Fragesteller Rio wach, im Verlauf des Albums gewinnt Reiser mehr und mehr an Facetten und Farben, wird zum Stichwortgeber und vielleicht letzten, relevanten Liederschreiber der Republik. So klar, wie nach dem Bonus-Track "Mein Name ist Mensch" von den Söhnen Mannheims, war uns noch nie, wie groß der Verlust 1996 in Wahrheit gewesen ist. Rio Reiser wird bis heute und vermutlich heute mehr denn je an allen Ecken und Enden furchtbar vermisst.

Weitere Informationen, Fotomaterial und Hörproben gibt es immer aktuell unter:
www.edelmedialounge.de

Anmerkungen

Biographie anlässlich der Veröffentlichung des Familienalbums, herausgegeben an die Presse von der Plattenfirma edel records GmbH aus Hamburg

Rezension zum Tonträger

Familienalbum 2 (Diverse, 2005)
Lesezeichen setzen:
Kommentare

noch keine Kommentare
Kommentar schreiben



Kommentare werden von uns überprüft, bevor sie auf der Seite erscheinen.

Zeig uns bitte, dass Du keine Maschine bist

Gib bitte hier Deinen Namen rückwärts und ohne Leerzeichen ein: