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Datum

00.00.1970

Medium

Bilderbuch

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Hoffmanns Comic Teater

Schöpferische Tätigkeit in der Kunst & Kultur dieser Gesellschaft

In dieser Gesellschaft soll schöpferische Tätigkeit Kunst und Kultur produzieren, soll Unterhaltung herstellen und Vergnügen bereiten. Die schöpferische Tätigkeit als Arbeit des Künstlers wird uns als geheimnisvoller Zaubertrick vorgestellt. Wir erfahren von der Begnadung des Künstlers. Wir kennen talentierte Künstler und wir kennen geniale Künstler. Schöpferische Tätigkeit wird uns als exklusive, ganz besondere Arbeit vorgestellt, die nichts desto trotz – auch das wird dem Nicht-Künstler erzählt – harte, harte Arbeit ist, die der des Arbeiters oder Angestellten an Härte in nichts nachsteht.

Der Künstler hat nicht zu denken. Er soll sich als Träumender begreifen, als Schlafwandler auf dem sicheren Grad der Genialität. So wird es ihm eingetrichtert, ihm und seiner Öffentlichkeit – im großen Variete der monumentalen Zauberkunststücke. Unbewusst soll die Kunst sein. Als auswählt soll sich der Künstler sehen. Zauberer und Clowns haben in dieser Gesellschaft immer das Privileg zur „schöpferischen Tätigkeit“ (im Bereich der Kunst und Kultur). So wie es zur Ausbildung eines richtigen Zauberkünstlers gehört, Befreiungskunststücke zu erlernen, so lernen auch die Kunst- und Kulturzauberer Befreiungskunststücke. In der Vergangenheit und Gegenwart erlaubte und erlaubt die bestehende Gesellschaft das „Zauberkunststück“ von der Befreiung nicht jedem, denn es gehört zum Sysrtem der Gesellschaft, dass die Beherrschten, die Unfreien ihren Zustand als ein von Gott gegebenes Schicksal begreifen. Die subjektive und die gesellschaftliche Befreiung ist für die Herrschenden dieser Gesellschaft eine gefährliche Sache. Sie kann nur scheinbar erlaubt werden - und auch dann nur den „Berufenen“.

Die Clowns sollen uns zum Lachen bringen, wenn es sonst nicht viel zu lachen gibt. Zauberer und Clowns werden von den Mächtigen kontrolliert und sind angewiesen, von der Wirklichkeit abzulenken. Der alte Zauber ist zerstört. Doch seine Zerstörer glauben an den zerstörten Zauber. Hat sich die Verlogenheit der Zauberer auch schon längst entlarvt, Magie, der Ersatz für Hoffnung auf eine gute Zukunft, zaubert den Profitmachern auch als billigster Aufguss noch einen prächtigen Gewinn.

Kunst und Kultur waren nicht immer so offensichtlich als Verschleierungs- und Vernebelungsmaschine zu erkennen. Nicht immer stand dieses Renommier- und Vernebelungsgebäude der Herrschenden der „ewig“ Gewinnenden auf so wackligem Fundament wie heute. Unverändert seit langem dient die Kunst den jeweils Herrschenden. Künstler und Öffentlichkeit sind streng voneinander getrennt, sind Produzenten und Konsumenten, sind Käufer und Verkäufer. Kunst war immer dazu da, Sehnsucht und Hoffnung von der Wirklichkeit abzulenken. Sie war immer der Spielplatz, auf dem das Mögliche als Unmöglicher gespielt wurde. Schnell und effektvoll erfüllte sie die Hoffnung in der Unwirklichkeit, malte das Paradies als eine unerreichbare Himmelsgegend. Die Vollendung des Menschen als ein Ideal. Vollkommenheit wurde in der formellen Irrealität angestrebt. Die Kunst sollte und soll den schöpferischen Drang, das Feuer der Revolution, entstanden aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit in die Unwirklichkeit transportieren. Der potentielle Sprengstoff gegen die Herrschenden wurde zur Illumination ihrer Macht, zum unterhaltenden Feuerwerk.


(hier fehlt die Seite 27 der Broschüre)
Als Trophäe – Kunst im Besitz der Herrschenden Diese Gesellschaft hat es bitter notig, den schöpferischen Drang des Menschen unter Kontrolle zu halten. Sie muss ihn einbauen in die kontrollierte Wirklichkeit ihres Systems. Sie muss versuchen, die, die es partout nicht lassen können, mit der Veränderung zu spielen, zu kaufen. Sie muss sie zu den ihren machen. Sie muss sich etwas einfallen lassen, diesem Drang immer wieder aufs neue einen systemfördenden Zweck zu geben. Klare Grenzen muss sie ziehen, die gefährliche Tätigkeit ordnen, bewerten, qualifizieren, prämieren. Sie braucht ein Heer von „Kulturpolizisten“, die der Kunst, der Unterhaltung und dem Vergnügen den politischen Gärstoff entziehen, sie harmlos machen. Sie muss für die schöpferische Tätigkeit ideologische Silos bauen – „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“. Die die sich nicht davon abbringen lassen berufen zu sein, muss man in den Sold der staatlich subventionierten Silomonopole nehmen, oder, wo sie ebenso sicher aufgehoben sind, in die Hände der Händler geben.

„Karitative Betreung“ in den Freizeit–Kinder-und-Hobby Silos. Der Rest wandert in den Hungerturm. Schöpferische Tätigkeit ist weder ein Zaubertrick noch sind zu ihr besondere Fähigkeiten oder Anlagen notwendig. Schöpferische Tätigkeit, als freier Vorgang im menschlichen Verhalten begriffen, ist bei bestimmter Konstellation auch ohne Absicht des Tätigen bereits in kleinsten Dosen gegen die Interessen der Herrschenden gerichtet und wird deshalb von ihr bekämpft. Die Veränderung, das Abenteuer, das wirklich neue liegt nicht im Interesse dieser Gesellschaft. Im Interesse dieser Gesellschaft liegt einzig und allein die Erhaltung und Verabsolutierung der kapitalistischen Macht. Für den unterdrückten Impuls nach Veränderung, für die große Unzufriedenheit gibt es in dieser Gesellschaft nur noch eine Dimension, in der die Mächtigen an der Macht bleiben – der Krieg, die Veränderung in der unmenschlichsten Dimension. Schöpferische Tätigkeit ist in dieser Gesellschaft nur als Akt der Selbstbefriedigung möglich, als widersinniger Vorgang, als Perversion, wenn sie nicht die positive Veränderung betreibt. Das heißt, die revolutionäre Veränderung einer Gesellschaft, in der die herrschenden Interessen, die Interessen der besitzenden Klasse sind, in der Monopolkapital und Bourgeoisie den totalen Stillstand, die Zementierung des bestehenden Zustands betreiben, weil die die schöpferische Veränderung ihren Besitz und ihre Macht in Frage stellt.

Schöpferische Tätigkeit ist also auf die Gesellschaft bezogen. Schöpferische Tätigkeit iat also vom ersten Augenblick an politisch. Solange die Mauern zum Denken, zum Bewusstsein hoch und fest sind, solange hat diese Gesellschaft nichts zu befürchten. Kunst und Kultur bleiben im Dienst der Bourgeoisie. Doch fallen diese Mauern, begreift der Entspannte seinen Zustand, sein momentanes Wohlgefühl als einen Aspekt seiner existentiellen Möglichkeit, als ersten Schritt der Befreiung, wird das momentane Vergnügen zur „Gegengenügsamkeit“, zur übermütigen Unzufriedenheit mit dieser Gesellschaft – werden die künstlerischen Mittel zum Planen und Probieren einer neuen, möglichen Wirklichkeit benutzt, und zeigt sich Kunst und Kultur nicht als Gegenteil von Denken und Wissen, von Tun und Wirklichkeit, sondern als günstigster Spielraum für das Denken, für die Anwendung des Wissens, für das zur Tat kommen und für das Eindringen in die Wirklichkeit – dann wird Kunst und Kultur für das System dieser Gesellschaft gefährlich. Dann werden Vergnügungskunst und Unterhaltung zum Mittel der Revolution. Der Revolution als gesellschaftlicher Zustand.

Geschrieben, Gezeichnet und hergestellt von
Hoffmanns Comic Teater

Kontaktadresse: Peter Möbius
1 Berlin 48, Kniephofstrasse 48
Tel 72 64 68

Anmerkungen

Das Hoffmanns Comic Teater, welches den Text verfasst hat, ist die "Keimzelle" der Ton Steine Scherben, der obige Text ist eine Broschüre, die leider ohne Datumsangabe ist, aber auf ca. 1970 datiert werden kann.
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